Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen: "Death is not the end"
17. Mai 2024
Die Bühne ist mit einem schwarzen durchsichtigen Vorhang verhangen. Eine weiße, skelettartige Krokodilsfigur tritt auf und schreibt mit roter Farbe „Red Right Hand“ auf eine weiße Fläche. Ein Song, der auch Nicht-Nick-Cave-Fans aus dem Intro der Serie „Peaky Blinders“ ein Begriff sein könnte, der am Abend aber nicht gespielt wird. Die Figur erzählt vom ersten Mordopfer des Abends: Eine Mutter und ihre drei Kinder. Schemenhaft wirbeln Teile der Mutter und der Kinder hinter dem Vorhang, bis er schließlich gelüftet wird: Der Schleier zwischen Leben und Tod.
Doch da, wo es Mord und Totschlag gibt, gibt es auch tatkräftige Ermittler*innen. So werden im Fall des besagten Mordes die schwangere Kommissarin Louise (gespielt von Maximilian Teschemacher) und ihr Kollege Schnabel (gespielt von Gloria Iberl-Thieme) zu Rate gezogen. Auf Spurensuche in der Straßenbahn wird deutlich: Wir befinden uns mitten in Gelsenkirchen. Oder etwa doch nicht? Szenenwechsel: Innerhalb von Sekunden wird aus Gelsenkirchen eine Bar im Nirgendwo (Bühne und Kostüm: Louise Pons). Besungen wird die blutige Geschichte des Stagger Lee, der nicht nur den Barkeeper, sondern auch alle anderen in der Bar erschießt, stilecht mit einem Revolver aus Schaumstoff. Weiter im Album: Henry begegnet einer schönen Frau. Schmetterlinge und Vögel tanzen in der Luft. Er erzählt, dass zuhause seine Freundin auf ihn wartet und wird kaltblütig von ihr erstochen. Sein Innerstes, in Form von roten Schaumstofffetzen fliegt über die Bühne, wird von den Vögeln gefressen.
"Death is not the end": Maximilian Teschemacher (hinter den Figuren), Gloria Iberl-Thieme © Sascha Kreklau
Und so hangelt sich Das Helmi nach und nach durch alle grausigen Geschichten, die das Album „Murder Ballads“ von Nick Cave so zu bieten hat. Vor dem letzten Song bekommt Kommissarin Louise dann noch ihr Kind, mitten in der Wüste, wie es scheint und umgeben von Mutter Maria und anderen geisterhaft anmutenden Kreaturen - Womöglich eine Fatamorgana? Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer an diesem blutigen Abend. Ein Schild schwebt über der Bühne: „Revival”. Louise und ihr Kind erreicht am Schluss noch eine Nachricht aus dem All: „We are the Medium. And the Medium is the message and the message ist the medium“. Der letzte Song mit dem Titel „Seltsames Licht“, eine Eigenkomposition von Jakob Dobers (der sich auch für die Musikalische Leitung, Arragements und Übersetzung der Songtexte verantwortlich zeigt), verweist noch einmal auf den Titel des Abends: Der Tod ist nicht das Ende. Aber was ist es dann?
Die von Felix Loycke, Florian Loycke und Nolundi Tschudi gebauten Figuren zeigen großen Facettenreichtum, reichen von Gesichtsmasken mit beweglichen Mündern, riesigen Fliegen, kleinen Schmetterlingen bis hin zu tanzenden Blutflecken auf einem Teppich, die aussehen wie ein Rohrschachtest. Vorrangig verwendetes Material ist - typisch für Das Helmi - Schaumstoff, der die Figuren fragil und skelettartig wirken lässt und durch die grobe Bearbeitung jeder Figur einen unheimlichen Ausdruck verleiht.
Alles in Allem erscheint der Theaterabend als das, was er verkörpern sollte: Ein Rausch, psychedelisch, vernebelt. Und wie bei manch anderem Rausch fragt man sich am Ende vielleicht: Wie genau ist das jetzt eigentlich passiert und wieso?
"Death is not the end": Ensemble © Sascha Kreklau
Vermutlich ist „Death is not the end“ ein großes Spektakel für alle Fans von Nick Caves Musik. Was genau aber unbeteiligte Zeug*innen daraus mitnehmen, bleibt fraglich. Einmal durch das große Album gepeitscht bleibt am Ende doch die Frage nach dem Warum? Alle Songs sind gut übersetzt und das große Ensemble aus Teschemacher, Iberl-Thieme, Jakob Dobers, Daniel Jeroma, Florian Loycke, Brian Morrow, Nolundi Tschuldi und Amy G Dala singt und spielt (Figuren und Instrumente) überzeugend. Und doch verzweifelt die Kritikerin an einer Einordnung, einer Reflektion, einer Conclusio. Einfach etwas, das die Songs aktuell erscheinen lässt oder zumindest einen Verweis darauf gibt, dass das Werk Nick Caves aus den 90ern und der darin thematisierte Stoff aus fernerer Vergangenheit von aktuellem Interesse ist.
Beim Song „The Kindness of Strangers“, der wieder mal vom grausamen Tod einer Frau (der Tramperin Mary Bellows) durch ihre männliche Mitfahrbekanntschaft erzählt und am Ende folgert: „So mothers keep your girls at home, don´t let them journey all alone“, schafft das Ensemble dann doch eine Positionierung. Warum sollen die Frauen denn zuhause bleiben und nicht die Männer einfach besser erzogen werden?! Ein kurzes Aufblitzen der Realität im vernebelten Nick Cave Trip.
Musiktheater im Revier: „Death is not the end“
Ein Erweckungsmusical nach Nick Caves Mörderballaden
Von Das Helmi Puppentheater
Musik von Nick Cave and the bad Seeds und Jakob Dobers
Deutsche Übersetzung der Songtexte von Jakob Dobers
Regie und Textfassung: Florian Loycke | Co-Regie: Nolundi Tschudi | Musikalische Leitung, Arrangements und Übersetzung der Songtexte: Jakob Dobers | Bühne und Kostüm: Louise Pons | Puppenbau: Felix Loycke, Florian Loycke, Nolundi Tschudi | Licht: Mario Turco | Ton: Jörg Debbert | Dramaturgie: Anna-Maria Polke | Puppenspiel: Jakob Dobers, Gloria Iberl-Thieme, Daniel Jeroma, Florian Loycke, Brian Morrow, Maximilian Teschemacher, Nolundi Tschudi | Band: Jakob Dobers, Florian Loycke, Nolundi Tschudi, Brian Morrow, Amy G Dala
Premiere: 05.05.2024
Dauer: 130 Min (inkl. Pause)
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