Theater Salz+Pfeffer, Nürnberg: "Kleiner Mann, was nun?"
11. März 2025
Klein ist er wirklich, der Herr Pinneberg, wie er etwas verloren auf einem Quader sitzt. Ein Püppchen im weißen Arbeiterhemd. Aus dem Off spricht eine Ärztin zu ihm, für Verhütung sei es nun zu spät. Pinneberg, der einfache Angestellte, bewegt vom neuen Leiter des Hauses Salz+Pfeffer in Nürnberg, Roland Klappstein, ist nicht begeistert: Er verdient doch im Monat nur 180 Mark!
Hans Falladas naturalistisch-sozialkritischer Klassiker „Kleiner Mann, was nun?“ in der Inszenierung von Christian Sengewald ist die erste Erwachsenenproduktion des Nürnberger Hauses für Figurentheater unter neuer Leitung. Klappstein übernahm die Funktion vom Ehepaar Schmidt, das sich nach fast 30 Jahren zurück in die Tourneetätigkeit verabschiedet hatte.
Das Drama vom kleinen Mann, der in ständiger Angst vorm Jobverlust versucht, seine kleinfamiliäre Existenz zusammenzuhalten, steht einerseits explizit für die Zeit vor der Machtergreifung der Nazis – Falladas Text erschien erstmals 1932. Andererseits hat der späte Kapitalismus diese Nöte des einfachen Menschen ja nicht ausgemerzt. Die politischen Entwicklungen in Deutschland und der Welt geben dem Kleinen Mann eine konkrete Relevanz, auch wenn der Naziterror sowohl im Fallada als auch im Salz+Pfeffer nur sporadisch aufglimmt.
Die zeitgenössisch gekleideten Puppen der Inszenierung kommen von Peter Lutz. Einmal sind das die kleinen Tischfiguren mit beweglichen Gliedmaßen, die neben Klappstein von Jennifer Quast gesteuert werden. Der Klein-groß-Kontrast entsteht, wenn der kleine Mann und sein „Lämmchen“ Emma den sie überragenden Flachfiguren gegenüberstehen. In der Suppe rührend ist das etwa ihre Mutter, die ebenfalls nicht in Freudenstürme ausbricht, sondern sich beklagt: Warum nur kriegt sie einen Schwiegersohn, dessen Überstunden nicht bezahlt werden?
"Kleiner Mann, was nun?": Roland Klappstein, Jennifer Quast © Berny Meyer
Es ist erstaunlich, wie es Klappstein und Quast gelingt, ihre beiden Protagonisten zu beleben. Die maximalpräzise Gestik von Pinneberg und Lämmchen, die Art wie sie sich sanft polternd über die Quader des Bühnenbilds schleppen, ihr schnippisches Kopfwenden im Streit mit dem Verlobten, all das täuscht vollends darüber hinweg, dass ihre Gesichter unbeweglich sind.
Als Pinneberg und Lämmchen nach Berlin ziehen, weil ihm eine neue Stelle beim Herrenausstatter Mandel in Aussicht steht, treffen sie auf den Lebensgefährten von Pinnebergs Mutter, Jachmann, einen Ganoven im Anzug und mit Schmierhaaren. Es ist vor allem dieser Jachmann, an dem Klappstein sich austoben kann, den er genüsslich schnarren und grollen lässt, der schmierig das Lämmchen umgarnt und halbseidene Strippen zieht, sodass der nächste flache Riesenkopf, ein gewisser Lehmann mit hin und her huschenden Augen, dem Pinneberg tatsächlich eine Stelle anbietet. Trotz der Konjunktur!
Das Bühnenbild von Sarah E. Schwerda, zunächst sehr minimalistisch wirkend, entfaltet jetzt seine Raffinesse. Auf die kurze Seite gestellt und aufgeklappt wird aus dem einfachen Quader eine Umkleidekabine mit aprikotfarbenem Vorhang. Mühsam schiebt der Pinneberg ein Jackett über ein anderes Bühnenelement. Quast lässt den fetten Abteilungsleiter genüsslich an der Zigarre schmatzen. Daneben bekommen sie und Klappstein zunehmend Momente, in denen sie selbst auch spielend ins Stück gleiten.
"Kleiner Mann, was nun?": Roland Klappstein, Jennifer Quast © Berny Meyer
Für die Umbaupausen zwischen Kaufhaus, Wohnung, Schwimmbad und Kino hat der Musiker Fabian Kratzer behutsame Melodien komponiert, die in der Fülle jedoch wenig Varianz aufweisen und nicht gerade dazu beitragen, das am Anfang so angenehm hohe Tempo des Stückes aufrecht zu erhalten. Während Pinneberg und Lämmchen sich in der Wohnungssuche und jungen Elternschaft aufreiben, während er dann doch wieder seinen Job verliert, weil er den großen Schauspieler Schlüter zu übergriffig zum Kauf eines Anzugs drängen wollte, während sie nähen gehen muss und die beiden in einer Laube des ehemaligen Kollegen und FKK-Freunds Heilbutt unterkommen, gerät „Kleiner Mann, was nun?“ leider zu einer mühsamen Abfolge der Beschwerlichkeiten.
Es ist ein bisschen der Vorlage geschuldet, aber auch der schieren Länge der Inszenierung, dass mit der Zeit die Dringlichkeit abhandenkommt und die existentielle Krise vor dem Hintergrund des Weltenbrands so vor sich hinplätschert. Da helfen leider auch die roten Spots auf weißen Leinwandbahnen und Redeausschnitte von Goebbels und Weidel nicht viel, sie erfüllen nicht viel mehr als den Zweck einer Erinnerung an historische Kontinuitäten. So bleibt von dieser Inszenierung am Theater Salz+Pfeffer zwar der Eindruck von filigranem Puppenspiel, nicht aber der des schlagkräftig aufrüttelnden Stücks zur rechten Zeit.
Theater Salz+Pfeffer, Nürnberg: "Kleiner Mann, was nun?"
Nach dem Roman von Hans Fallada
Spiel Roland Klappstein, Jennifer Quast | Regie Christian Sengewald | Figurenbau Peter Lutz | Stückfassung Annika Schaper | Ausstattung und Bühne Sarah E. Schwerda | Kostüm Lena Peschke | Musik Fabian Kratzer | Videoprojektion Mario Egger
Premiere: 8. März 2025
Dauer: 2 Stunden, 1 Pause
Weitere Infos und Spieltermine auf der Website vom Theater Salz+Pfeffer