Young Writers
Prakti-Interview
Interview mit Ann-Kathrine Buchmakowsky von Philipp Ungerer am 2. Mai 2024
Überarbeitung und Transkription von Ann-Kathrine Buchmakowsky
Foto: Philipp Ungerer
Disclaimer: Der nachfolgende Text ist ein Transkript der Audioaufnahme. Zur besseren Leserlichkeit wurden Veränderungen am Text vorgenommen (Satzbau, Füllwörter, grammatikalische Anpassungen), welche gekennzeichnet wurden.
Philipp: Das Puppentheater zieht den Zahn der Zeit. Also ist am Zahn der Zeit dran. Das Puppentheater ist sensibel, was so diskutiert wird gesellschaftlich, weil es ja in der Produktion, in der Umsetzung vielleicht auch viel kurzfristiger, spontaner, jahrmarktsmäßiger funktionieren kann. Wie ist so dein Zugang oder was hat dich dafür begeistert, hier bei FIDENA oder in diesem Bereich der Theaterwissenschaft einen Fokus zu setzen? Du bist ja hier Praktikantin. Vielleicht stellst du dich einfach kurz vor.
Ann-Kathrine: Ja, ich bin Ann-Kathrine Buchmakowsky, ich bin Praktikantin in der Produktion bei der FIDENA. Ich bin jetzt ungefähr seit fünf Wochen dabei und schon sehr sehr hibbelig, denn die FIDENA steht tatsächlich in den Startlöchern und im Kopf tut sie das aber auch schon die letzten zwei bis drei Wochen. Genau das heißt, ich arbeite zusammen mit dem Jonas Leifert, der hier der Produktionsmanager ist und anderen Praktikant*innen zusammen im Forum. Wir kriegen alle Aufgaben zugeschoben, die sonst niemand machen möchte und die irgendwie nützlich sein könnten lacht, das heißt einerseits - Gott sei Dank - tragen wir gerade jetzt noch keine allzu große Verantwortung, solange wir sauber und sorgfältig arbeiten, andererseits sind wir die ersten Ansprechpersonen für die Puppenspieler*innen und die Künstler*innen, die dann später bei der FIDENA auftreten und betreuen unsere deutschen und internationalen Gäste und sorgen dafür, dass sie auch gut ankommen und gut versorgt sind.
Philipp: So you are used to speak English in the last weeks.
Ann-Kathrine: Nicht wirklich, aber wir können gerne switchen. Aber du hast gerade meinen Herzschlag ein bisschen nach oben… Ich brauche dann immer ein paar Minütchen bis alles flüssig wird, aber es festigen sich gerade ganz viele technische Vokabeln, die ich sonst nie gebraucht hätte, glaube ich. Also man liest sie jetzt immer häufiger.
Philipp: Willst du vielleicht davon mal ein paar droppen? Was sind so Begrifflichkeiten?
Ann-Kathrine: Also ganz viel benutze ich momentan „venue“, was ich sonst nie benutze, das merke ich jetzt auch gerade wieder. Dann sind natürlich die Technical Rider voll mit Fixierungsstellen [an Traversen], die man dann auch immer übersetzen muss. Ich hatte vor drei Wochen, aber ich weiß die Vokabeln nicht mehr, hatte ich einen Flaschenseilzug. Da bin ich ja auch drüber gestolpert. Das habe ich, glaube ich, noch nie gelesen, irgendwo. Und ansonsten glaube ich ja alles, was man so informationsmäßig [braucht], um sich [in Bochum] zu orientieren. Genau, aber du hattest mir eine Frage gestellt, die ich noch nicht beantwortet habe. Ich habe sehr viel darum herumgeredet, und zwar, wie ich zum Puppentheater gekommen bin. [...] Und mir ist das fast ein bisschen peinlich, denn es ist gar nicht so politisch, wie du das gerade aufgemacht hast für mich. Tatsächlich war der Grund, warum ich zum Figurentheater wollte und warum ich immer wieder auch Seminare bei Mareike [Gaubitz: Leiterin des Dokumentations- und Forschungszentrums des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspiekunst, Lehrbeauftrage der Ruhr Universität Bochum] besucht habe, [sie] bietet Seminare an der Ruhr Universität Bochum an und das auch schon seit vielen Jahren. Und da kann man dann auch immer niedrigschwellig Zugang [zum Figurentheater] finden. Und was mich daran fasziniert [...] ist, dass sich der Blick total verändert hat. Also ich glaube, man gewinnt schon so eine Art professionelle Scheuklappen irgendwann für [...] viel Tanz, für viel[e Formen von] Theater, für Schauspiel, für viele Performances oder Performance Künste. Und immer, wenn ich mit Figurentheater in Kontakt komme, merke ich, da wächst so eine euphorische Pflanze in mir, die erblüht in so einem kindlichen Staunen. Darüber, dass ich diese Momente verliere, in denen ich diesen kritischen analytischen Blick habe. Ich weiß auch gar nicht, ob ich mir wünsche, dass ich den jemals fürs Figurentheater bekomme. Ich glaube, es wäre so eine Art Berufskrankheit, könnte man das nennen, falls sich das irgendwann mal ganz ausprägen sollte. Ich hoffe, dass das Staunen noch lang so lange wie möglich bleibt, denn ich vergesse einfach immer wieder, dass das ein Objekt ist, das gerade von einem Menschen bewegt wird, das keine eigene Agency hat, das sich nicht positioniert, sondern das eigentlich positioniert wird, das nicht lebendig ist, sondern animiert wird. [...] Ich finde es unglaublich. Ich kenne das Phänomen, ich weiß, was passiert, aber ich kann mich einfach nicht entziehen. Und in dieser Stärke, dass ich so hineingezogen werden, das habe ich nach dreieinhalb Jahren oder fast dreieinhalb Jahren Theaterwissenschaftsstudium nur noch ganz selten. Und das ist total schön. Ich habe das auch wieder gemerkt auf der Pressekonferenz. Als dann der offizielle FIDENA Trailer gezeigt wurde, da kam diese ganze Vorfreude dann auch hoch und auch so ein kleines Tränchen im Augenwinkel. Und ich dachte so „Oh Gott, das wird wieder schön“.
Philipp: Kann man das so zusammenfassen: Die Dinge werden belebt, die kriegen plötzlich einen Namen und du glaubst, dass [es] den Namen hat, auch wenn es nur eine Puppe ist?
Ann-Kathrine: Ich glaube, gerade der Name ist nicht so wichtig. Ich glaube tatsächlich, dieses, also dieses Benennen oder Labeln, das ist, glaube ich, gar nicht so wichtig bei den Figuren. Ich glaube, es ist tatsächlich die Interaktion, also dieser Charakter, der sich aus dem lebendig Sein ergibt.
Philipp: Ja, ich meine auch, wenn diese Figur halt sagt: „Ich heiße so“, dann glaubst du dem das, auch wenn jetzt nicht der Name im Stück eine Rolle spielt oder so, also wenn diese Figur sagt „…und übrigens, ich bin der so und so“ und das ja, also man trägt das dann so weiter dann.
Ann-Kathrine: Also ja, also auf dieser physischen Ebene gehört die Stimme dann definitiv zur Puppe und nicht mehr zum Puppenspieler oder zur Puppenspielerin. [D]ieser ganze physische, also wirklich dieser Sehens-Aspekt, also auch das Laufen oder so, das ist etwas Eigenständiges, was die [Figur] macht und die Reaktion auf die unterschiedlichen Situationen, in der sich dann ein Objekt oder eine Puppe oder was auch immer befindet, und die Vorgehensweise, die sich daraus entwickelt, das ist dann der Charakter. Ich habe das Gefühl, der [Charakter] ist dann auch in dem Moment, wo diese Puppe animiert wird, [...] eingeschrieben. [D]as ist ein vollständiges komplexes Wesen, das auf Dinge reagiert in seiner Umwelt, dass auch manche Sachen auch einfach nicht tun würde, obwohl man es in diese Richtung ja manipulieren könnte, […] weil das auch einfach eine geschlossene Form auf einmal hat. Die auch nicht beliebig mehr zu manipulieren ist, wenn sich diese einmal so entfaltet hat auf der Bühne.
Philipp: Die du ja auch in deiner Fantasie mit Leben füllst.
Ann-Kathrine: Ja, auf jeden Fall. Also das ist ja der andere ganz große Aspekt, deswegen habe ich gerade gesagt, so auf der physischen Ebene dieses Animieren oder dieses Sprechen, das kann man ja schon irgendwie festmachen vielleicht. Ein bisschen schwammig die Vokabel, aber das lässt sich so beobachten und einordnen. Aber du hast ja ganz recht, dieser ganze andere Rest, auch dieses Situative, dann irgendwie dieser Figur zu geben, das ist, glaube ich, tatsächlich ein sehr individueller Blick, der dort auch diesen Figuren gegeben wird. [Dieser Blick] der sehr wahrscheinlich beeinflusst werden kann, aber der, glaube ich, auch immer diese Aktualität herstellt, die das Puppenspiel hier hat, [die dem] Puppenspiel innewohnt. [...]
Philipp: Wenn ich mal den Begriff „Innewohnen“ auch weiterspinne, auch [weiterspinne] in Bezug auf „Solidarität“, also das Puppenspiel ist ein Seismograf der Zeit. Menschen drücken das so aus, was jetzt so los ist und erzählen Geschichten, die auch animieren, sich über moralische, ethische Fragen Gedanken zu machen. Und in der Konsequenz setzt man das dann ja auch in der Wirklichkeit als Person um. Und ist auch ansprechbar für seine Community der anderen Puppenspieler oder man unterstützt sich. Also, es gibt einen Family Charakter. Ist das etwas, was dich auch begeistert? [Etwas,] das du auch aus dieser Warte auch betrachte[n] oder wertschätz[en kannst], dass Teile, … also dass diese Szene auch eben einfach solidarisch ist untereinander.
Ann-Kathrine: Also da bin ich tatsächlich, glaube ich, einfach netzwerktechnisch noch nicht so gut aufgestellt, dass ich darauf eine gute Antwort geben könnte. Deswegen hoffe ich, dass Mareike dir dazu schon ganz viel sagen konnte, weil ich glaube, zu dieser internationalen Vernetzung und Zusammenarbeit davon [...] habe ich bis jetzt halt noch nicht so viel mitbekommen, weil ich mich auch einfach noch nicht lange und vor allen Dingen ja auch noch gar nicht wirklich professionell, ausschließlich oder intensiv mit dem Puppenspiel auseinandergesetzt habe. Deswegen würde ich die Expertise da nicht bei mir verorten.
Philipp: Wenn ich den Begriff „Balance“ ins Spiel bringe. Du stehst jetzt vor dem Festival, hast schon eins erlebt, was ist das so [für] ein Balance-Akt, so ein Theaterfestival wie das der FIDENA zu erleben? Was bewegt sich da so bei dir jetzt in der Verantwortung, aber dann auch: Was ist so dein Balanceakt? Wie..?
Ann-Kathrine: Wie kriegt man das alles unter einen Hut?
Philipp: Zum Beispiel, ja.
Ann-Kathrine: Also ich habe mich schon mit dem Praktikum [...] darauf eingelassen, dass es sehr, sehr zeitintensiv wird. Ich habe mich auch tatsächlich bewusst dazu entschieden, jetzt an dem Punkt in meinem Studium, ich habe noch sehr viel Corona Semester, deswegen habe ich so ein bisschen verlängerte Regelstudienzeit und bin jetzt aber trotzdem schon sehr gut vorangeschritten. Das heißt, ich kann auch bald meine Bachelor Prüfung ablegen und habe nicht so viel Uni. Ich habe momentan ein regelmäßig stattfindendes Seminar und der Rest findet zwischendurch und später statt, das heißt, da habe ich mich generell schon mal so… Das Studium ist gerade das Wichtigste, das [es] irgendwie so abzuschließen gibt so langsam in meinem Leben. Das heißt, da habe ich schon mal irgendwo die Bahn freigemacht, dass das nicht zu sehr gegeneinander läuft oder so vor 2 Jahren, da habe ich für die FIDENA einfach eine Woche lang die Uni geschwänzt, aber da war ich ja quasi auch auf der anderen Seite, da war ich ja eher in dieser Besucher- beziehungsweise sogar dieser Seminarteilnehmerperspektive. Also ich habe ein Seminar für ein anderes geschwänzt, könnte man sagen. Und ansonsten genau gehe ich noch arbeiten. Ich habe einen Nebenjob. Dass das Praktikum bezahlt ist, das war nicht unbedingt so ausführlich in der Stellenbeschreibung beschrieben, da stand, es gibt ein Taschengeld, aber das kann ja alles Mögliche heißen. Aber ich kann tatsächlich [...] die Einnahmen, die jetzt wegfallen, dadurch, dass ich momentan nicht in meinem Nebenjob so intensiv arbeiten kann, wie ich das sonst tue, gut mit dem Honorar, das ich jetzt bei der FIDENA kriege, ausgleichen. [D]as ist auch sehr schön, diese finanzielle Sicherheit zu haben. Ich glaube, das sind schon mal zwei wichtige Faktoren, die mir das Arbeiten gerade extrem erleichtern. Genauso hat mein Partner jetzt eine wichtige Prüfung abgeschlossen, die auch sehr zeitintensiv war, das heißt, es ist gerade so genau der Wechsel, er hat jetzt wieder mehr Zeit, ich habe jetzt gerade wieder weniger Zeit und ich hoffe, dass es jetzt zu Hause auch alles so läuft, also das ist tatsächlich einfach ein Punkt, der sich sehr gut selber irgendwie ausbalanciert hat, weil es gerade auch so viele Übergänge gibt und weil ich das halt auch rechtzeitig kommunizieren konnte mit meiner Arbeitsstelle. Ansonsten von meinem Kopf her… Ich glaube, da ist [die Stelle], wo es am meisten irgendwie reinhaut, weil ich total gerne hier bin und auch gut alles abgearbeitet bekommen. Das klingt ein bisschen lieblos, aber manchmal ist es halt so, aber trotzdem viele Dinge erfordern einfach sehr viel Kommunikation, sehr viele Dinge werden sich natürlich auch dann erst während des Festivals herausstellen. Wie ist das jetzt wirklich dann, wenn man dann - ich mach jetzt zum ersten Mal Künstlerbetreuung - wie es dann wirklich? Welche Anforderungen haben die [Künstler*innen], welche Erwartungen haben die [Künstler*innen] an mich? Wie viele Telefonate werde ich wohl führen müssen spontan, weil irgendwas nicht klappt? Wie wird die Kommunikation mit den Technikern sein? Werde ich abends noch wach genug sein, um an den Partys teilzunehmen? Werde ich überhaupt alle Veranstaltungen, die ich [selbst] halt als Mitarbeiterin besuchen möchte - also wirklich „nur ins Theater gehen“ - werde ich das überhaupt machen können? Weil alles einfach total spontan wird. Und ich freue mich mega darauf. Und gleichzeitig bin ich aber auch froh, dass es wirklich jetzt nicht länger als zwei Wochen diese intensive Zeit gibt, also die eine Woche Festival und dann noch eine angeknackste Woche, wo einfach nur Aufbau und technische Einrichtungen und Künstler werden von A nach B abgeholt und alle kommen so an, … und dann [muss] ganz viel Material durch die Gegend geschafft werden, dass es wirklich nur zwei Wochen gerade sind, da bin ich schon ein bisschen froh, weil ich glaube, ansonsten ist das auch wirklich einfach ein mentaler Kraftakt, da immer spontan gute Entscheidungen zu treffen und relaxt auf alles zuzugehen.
Philipp: Relaxt, ja. Also du trägst ja mit der Freude, die du sozusagen dabei empfindest, ja zu dieser sag ich mal Jahrmarktsstimmung bei…
Ann-Kathrine: Ich hoffe, ich hoffe. Ich werde mit so einem Grinsen über das Festivalzentrum laufen. Wir kriegen auch schöne T-Shirts, ich freue mich schon sehr darauf.
Philipp: Die Parade zum Beispiel, na die wird ja … Pauke oder die Posaunen werden klingen, so alle werden Bescheid wissen. Jetzt geht es hier los in Bochum. Die nimmt ja auch nochmal einerseits das Thema auf die vielfältige DNA, die vielfältige Welt der Tiere, um uns herum die, die wir begleiten als eins der anderen Tiere. Das heißt die nimmt so die ja, einfach gesellschaftliche Verantwortung thematisch auf. Wir sitzen da in ganz konkreten Veränderungsprozessen, das Recht der lebendigen Welt zu verbriefen und uns einzuschränken in unterschiedlichen Formaten. Und andererseits auch die Vielfalt der Puppenspiel-Kultur. Also es bildet sich auf beiden Ebenen ab. So empfinde ich das Thema, also wir sind vielfältig, die Natur ist vielfältig, lasst uns aufeinander wertschätzend und wohlwollend einwirken. Bist du dir über diese vielfältige Landschaft, die dieses Festival so zusammenträgt insbesondere bewusst? Du bist ja Praktikantin hier, ist das auch einer dieser Faktoren, der dich so begeistert, weil du einfach so ‘ne Komplexität erwartest?
Ann-Kathrine: Also ich glaube schon. Also es gibt da glaube ich zwei Ebenen, die mich reizen. Die erste Ebene, worauf deine Frage vielleicht dann auch abzielt: Ich finds total schön, dass so viele unterschiedliche Produktion bei der FIDENA zusammenkommen oder generell bei Figurentheater unter dieses Feld einfach fallen. Also dass man mit dieser, mit dieser Figurentheater-Brille auch auf einmal anfängt, ganz viele Elemente in Theateraufführungen zu finden, die vielleicht nicht so gelabelt sind, aber die sich trotzdem [...] Mitteln bedienen, die man dann auch benutzt, wenn man von Figurentheater spricht oder [...] wenn man Figurentheater macht einfach. Das finde ich total toll. Ich freu mich total, dass wir so viele internationale Gäste dabeihaben, weil ich glaube, dass das sehr viele spannende Impulse bringt; und auch auf wissenschaftlicher Ebene mit KompleXX [Figurentheater, dem Bündnis der Figurentheaterszene], dem Symposium eine ganz, ganz tolle Möglichkeit ist, auch in so einen lebendigen Diskurs zu treten. Gerade wenn man wie ich aus der Philologie kommt und wahrscheinlich auch sehr viele Leute, die irgendwas mit Kunst oder akademischen Wissen zu tun haben, das Ganze [...] vor allem über Schrift und Text vermittelt oder sich aneignet... Dieses Wissen liegt gerade in dem Potenzial, dass wir uns alle in echt und in Farbe sehen können und auch diesen Raum selbst, also dieses Format, über das dieses Wissen transportiert wird, gestalten können. [Das] birgt ganz hervorragende Möglichkeiten, dieses Wissen dann auch zu leben. Also beispielsweise [es] zugänglicher es zu machen, es dekolonial zu untersuchen, also zum Beispiel Sprecherpositionen im Raum oder generell Machtstrukturen jeglicher Art dadurch irgendwie aufzubrechen und zu entdecken und auch wissenschaftlichen Diskurs oder im wissenschaftlichen Kontext zu überlegen, „was machen wir eigentlich gerade, wenn wir hier wissenschaftlich auf einem internationalen Symposium diskutieren, also wie zugänglich ist das, wie nachhaltig ist das?“ Denn das konzentriert sich ja in dem Moment genau wieder. [...] Und die andere Ebene ist… Ich glaube gerade das Materialtheater hat ein durch seine [...] Praxis des Spielens einen total interessanten Modus [von] - nicht Probleme[n] - [von] Systeme[n] von Umwelt zu erzählen, weil es eben keinen menschlichen Akteur, keine menschliche Akteurin meistens per se hat, sondern das Material seine eigene Geschichte erzählen kann und seine eigenen Verbindungen irgendwie aufzeigen kann. Und klar ist es wieder eine Art Zuschreibung und [die Materialien nehmen] natürlich auch eine repräsentative Rolle irgendwo ein, aber ich glaube, gerade Figurenspieler*innen und Puppenspieler*innen haben einfach durch ihre Profession sehr sehr tolle Möglichkeiten diesen Assemblagen und Netzwerken eine Lebendigkeit zu geben, die sie mit Menschen und menschlichen Akteuren und Akteurinnen kommunizieren lässt. Und das finde ich auf einer philosophischen Ebene total interessant, wie sich möglicherweise durch Material- oder Objekttheater organisches Wissen transferieren lässt und irgendwie sichtbar gemacht werden kann oder sich auch einfach in der Materialität widerspiegelt.
Philipp: So ein bisschen verdauen lässt auch. Weil ich verstehe es ja so: Das Krokodil öffnet wieder sein Maul und es verschluckt die Gemeinde, die ganze Welt und wir befinden uns dann in seinem Bauch.
Ann-Kathrine: Und werden alle durchgemischt.
Philipp: Und werden verdaut und… oder sind [selbst] Teil dieser vielfältigen Verdauungsprozesse. Ja ne, wo dann dieses Netzwerk, diese Materialität …
Ann-Kathrine: Wo wir alle zersetzt werden in unsere Einzelteile.
Philipp: Ein Freudenfest
Ann-Kathrine: Ich bin sehr bildlich, deswegen bin ich auch schon im Punkt, wo wir irgendwann wieder aus dem Krokodil rauskommen. Lacht
Philipp: Wie sehen wir denn da aus? Lacht
Ann-Kathrine: Das fand ich jetzt nicht, so schmeichelnd, obwohl wir ja dann auch voller Bakterien sind und auch immer noch sehr lebendig sind und immer noch ja einfach sehr viel zu, also sehr viel Verbindung irgendwie auch zu der Erde gewinnen, wenn wir kompostieren … so vor uns hin. Lacht
Philipp: Wir werden zu Dünger. Lacht
Ann-Kathrine: Wir werden zu Dünger und dann können neue Pflanzen wachsen. Die FIDENA macht uns zu Dünger. Jetzt schweif ich ganz ab.
Philipp: Auf dass die richtigen Samen in uns fallen. Die Jahreszeit passt ja. Also ich bin jetzt gerade durch den Wald spaziert und da fallen einem so die letzten Samen, nicht Samenkapseln, Blattkapseln, also das ist so der erste Regen, Kapselschnee oder wie nennt man sowas? Also was da gerade aus den Bäumen fällt, ja die ersten Kapseln und Blätter dann aufbrechen, die Fallen zu Boden und man fragt sich ja, was ist da jetzt alles wieder aufgebrochen? Was bringen wir zutage jetzt hier. Also was tritt hier zutage? Also es gibt unterschiedliche Formate. Wo Menschen darauf reagieren, [dass] etwas zutage tritt. Da haben wir uns ja schon darauf geeinigt, dass das Figurentheater da eine Riesenpalette an Formaten bereitstellt, dass das Material selbstständig anfangen kann zu netzwerken. Dann gibt es Feste. Also die normalen sag ich mal: Jahrmarktsatmosphäre, das Festivalzentrum, Partys noch, vielleicht an anderen Orten. Also es gibt ja ein reichhaltiges Angebot, [dass] zutage [gefördert wird]. Da sind wir auch wieder bei der Industrie und Kultur.
Ann-Kathrine: Und bei der Erde auch wieder.
Philipp: Genau, genau und daher ganz wichtig: das Vorher, Währenddessen und Nachher. Wir sitzen jetzt „vorher“ sozusagen. Bereitet, besorgt, versorgt, umhegt… Geht es auf, gibt es nicht auf? Mal gucken und dann so mittendrin so: [...] Ist der Ball dann im Spiel? Da müssen sich die Leute auch einfach selb[st] den Ball zuspielen. Und dann im Nachhinein: [W]as könnten wir zum Feedback, sag ich mal oder zur Nachverfolgung… Wie kriegen wir das gefasst, was eigentlich alles entstanden ist so? [D]as ist ein großer Punkt des Change-Bewusstseins in einer gewissen Weise. Man kann produzieren und machen und die Materialschlacht, was aufbauen. Und alleine das wirkt schon. Und dann kommt die nächste Materialschlacht und nochmal. Wir haben ja ein Jahrhundert von Materialschlacht hinter uns. Unbegrenzter Aufbau und Aneinanderreihung von was auch immer und das im Rhythmus. Und das hat sich dann sogar noch gelohnt. Aber, ist das der Ansatz? [I]n so einem Jubiläumsjahr wie diesem jetzt schaut man ja auch mehr zurück. Wahrscheinlich, ne: „Was hatten wir alles schon.“ Was ist denn schon zutage getreten, was finde ich im Archiv oder was ist mit unserem Netzwerk? Und dafür gibt es ja auch das KompleXX-Format, wenn man so will. Was jetzt nicht spezifisch fürs Jubiläum eine Rolle spielt, aber irgendwo auch schon, denk ich mal. Und das internationale Symposium, was irgendwie schon, aber auch irgendwie wieder nicht… Aber wie ist so dein Einstieg in diese Geschichte, was ist schon alles so zusammen zutage getreten? Welche Leute freuen sich, wieder ihre Freundschaften hier auf den Punkt zu bringen, die sie schon vor 40 Jahren geschlossen haben? Kriegst du was davon mit, also dass Leute so aus dem Bereits-zutage-getretenen und den letzten Jahrzehnten schöpfen? Und [dass] die vertrauensvolle Atmosphäre herrscht, ist ja vermutlich auch eine der Konsequenzen.
Ann-Kathrine: Auf jeden Fall. Also ich bin ja noch ein bisschen sehr jung für, besonders für 40 Jahre oder so. Ich bin gerade mal Anfang 20 und wie gesagt auch noch gar nicht so lange in Bochum und in der Theaterwissenschaft oder der Theaterszene hier unterwegs. Was ich allerdings immer wieder merke und jetzt auch wertzuschätzen [lerne] ist, was für eine großartige, herzliche und ja, ich weiß nicht “sozial belesen” klingt ein bisschen stiefmütterlich, Annette Dabs einfach ist, die so viele Anekdoten zusammengesammelt hat. Also ich glaube, es gab bis jetzt noch kein Frühstück oder Mittagessen, wo man zusammensaß und sie nicht gesagt hat: „Ach, der eine Künstler, die andere Künstlerin… Dann habe ich den getroffen und dann ist das passiert. Und weißt du noch vor zwei Jahren, als wir da waren und dann 1998, dann war das so und so, und da weiß ich noch… und dann habe ich den noch getroffen vor sechs Jahren und der ist ja auch nicht mehr hier und der ist ja ein bisschen schrullig geworden, oder die ist ja immer noch … die kann ja so toll singen …“ und, auf wen sie sich freut, auf dem Festival. Und ich glaube, [...] das ist total persönlich. Ich frag mich immer, wieviel von diesem wunderbaren, von dieser wunderbaren Freude auch auf diese Szene dann wirklich professionellen Sinne so nach außen sickert jetzt natürlich ein kleines bisschen. Ist das jetzt okay, dass ich über die Chefin-Chefin-Chefin hier so schwärme? Aber ich arbeite ja nur 2 Monate hier, das heißt, ich krieg jetzt auch keinen Vorteil durch, denk ich mal. Lacht Das fällt mir bei der Frage sofort ein und ich glaube ansonsten: Das ist jetzt wieder mit dieser akademischen Brille und auch mit dem Privileg verbunden, dass ich halt auch im Kontext von Seminaren schon hier war, merkt man diesem Ort auch seine Geschichte an, also nicht nur, weil es sich jetzt hier so [um] ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt, sondern ich glaube, man merkt schon, wenn man hier durch die Büros, durch die Räume wandelt, nicht nur durch die Räume, die jetzt auch speziell hier mit Aktenordnern und Stülpboxen, mit Puppen und Zeitschriftensammlern befüllt sind oder die Bibliothek, sondern das ganze Haus spiegelt diese Liebe zur FIDENA wieder. Es sind überall Plakate. Es sind überall so Kleinigkeiten oder Beschriftungen auf den Ordnern, die irgendwie so ein kleines Stückchen irgendwo aus der Vergangenheit… einen neugierig machen und da so hinziehen. Und dann gibt es natürlich auch überall [...] diese Figuren […] nicht nur [in den] Vitrine im Flur, sondern auch in der Küche stehen einfach random Puppen einfach zwischen den Kochbüchern und es ist alles mit ganz viel Liebe hier auch zusammengetragen, ohne dass ich jetzt irgendwie überfüllt wirkt. Also es ist so, es gliedert sich so organisch in das Leben, was hier dann auch stattfindet, also dieser Blick auf die ganzen Dinge ist irgendwie so integriert in das Haus.
Philipp: Was früher mal ein Wasserspeicher war.
Ann-Kathrine: Ja, was früher mal ein Wasserspeicher war und wo auch ganz andere Menschen schon drinnen waren und gelebt haben. [...] Ich freue mich immer über alle möglichen Figuren, denen ich begegne.
Philipp: Begegnungskultur.
Ann-Kathrine: Du hast auch irgendwie… Hast du so Moderatorenschule gemacht oder warum hast du so tolle Überleitung? Das ist ja total beeindruckend. Lacht
Philipp: Lacht Ja, also du hast [es] ja auch [auf] einen Punkt gebracht. Wir werden hier Highlights erleben. Und die Sonne und der Mond, alles wird sich drehen. Nicht nur um uns, sondern wir auch darum und so weiter und sofort. Also wir können uns auch selber in Szene setzen irgendwie. [D]ieser Raum ist jetzt ganz bald eröffnet. [...] Aber bin jetzt ja auch so reingeworfen. Ich bin nicht aus der Szene, aber ich habe ‚nen Ball dabei, das heißt das spielerische Element wird sich immer erzeugen oder wird entstehen, wenn ich so unterwegs bin. Also ich versuche mit Leuten ins Gespräch zu kommen, den Ball, irgendwie einerseits zu reichen - um dir schon mal Bewegung in die Hände zu bringen -
Ann-Kathrine: Ja, das hast du gut geschafft, der ist sehr spannend, der Ball.
Philipp: Und wenn da Bewegung in die Hände kommt und das kann man dann vielleicht auch nochmal zum Puppenspieler… Gerade so den Puppenspielern, die so Finger ins Detail bringen, da passiert ja ganz viel im Kopf. Also die Finger sind ja die best-verknüpftesten Extremitäten, die wir haben. [...] Also die Finger sind halt von der Arbeit… also ohne diese Hand, wenn die Finger, nicht so gut verbunden wäre, wären so viele feine Sachen gar nicht möglich. Und ich bin ja der Meinung, nicht nur der Meinung, sondern ich habe festgestellt, dass wenn man mit den Fingern arbeitet und spielerisch unterwegs ist, dann passiert auch was im Kopf. In der spielerischen Assoziation im Kopf passiert was, was auch als spielerische Energie zur Verfügung [steht] und daher gehe ich davon aus, dass Puppenspieler ganz inspirierte Gesprächspartner sein werden. Darüber zu sinnieren, was alles so zu Tage treten soll mit der Macht der Puppe, der Figur. Und was sonst so los ist. Und man einigt sich darauf, etwas zutage treten zu lassen. Das ist ja auch immer ein Get Together, um zu schauen „Wie geht es weiter? Was bringen wir auf die Bühne? Oder was bringen wir auf die Straße? Oder welche Straße bedarf unserer Hilfe?“ Du kennst das ja bestimmt auch was da so… Straße, Demonstrationskultur wie vielfältig da auch mit Puppen Themenwagen…. also, mit diesen Mitteln gearbeitet wird, auch der Bedarf da ist…
Ann-Kathrine: Dass es unterschiedliche Ausdrucksformen auch gibt…
Philipp: Dass es einfach so beseelt wird durch diese Fähigkeiten, die hier schlummern. Ja, von daher freue ich mich, da von dir noch weiter zu hören,[...] wenn du sonst ‘nen Tipp hast oder ich hab was Spannendes, sag ich dir sehr gerne Bescheid.
Ann-Kathrine: Auf jeden Fall die Parade besuchen. Ja, auf jeden Fall das machen.
Philipp: Ja. Also ich werde einen Film drehen auf der Parade.
Ann-Kathrine: Also ich habe ja schon gesagt, es gibt Abstriche, wenn man das Praktikum macht und da [an diesem Tag] bin ich nicht auf der Parade eingeteilt. Da bin ich in der Turbinenhalle den ganzen Tag.
Philipp: Da ist dann aber noch gar nicht so viel los in der Turbinenhalle, oder?
Ann-Kathrine: Da sind nur dann Techniker und Künstler und ich…, die Mittagessen vielleicht holt oder so.
Philipp: Also: Live Stream, Parade…
Ann-Kathrine: Genau das machst du dann für mich. Dann bin ich auch mit dabei, [U]nd alle, alle, alle müssen auf jeden Fall Kuscheltiere, Puppen, aber ich bin auch totaler Fan von Sockenpuppen, die sind schnell gebastelt, die sehen total toll aus und es ist super leicht sie zu bespielen. Sie haben sehr viel Charakter deswegen, nutze ich hier das Werberohr, die Werbetrommel: Macht euch Puppen, es macht sehr viel Spaß sie zu bespielen und man braucht auch keine Angst haben, das zu machen, weil wenn die Puppe was Komisches macht, dann warst du das ja nicht, dann war es deine Puppe und das ist die Herangehensweise mit der man das auch machen sollte. Die darf auch frech sein und sie darf auch grantig sein, die darf auch nur kuscheln wollen, die muss auch nicht reden, aber sie wird lebendig, wenn man es ihr erlaubt.
Philipp: Vielen Dank. Wunderschönes Abschlusswort von dir
Ann-Kathrine: Juhu. Danke auch.
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