Wood Paths: kontroverses Materialtheater?
Bei keinem Stück der diesjährigen FIDENA sind so viele Personen, ohne Rückkehr, gegangen wie bei Wood Paths. Warum, ist nicht ganz klar. Vielleicht war es zu simpel, zu „langweilig“? Zumindest hat das Stück ohne Sprache, mit nur ein paar Sätzen auf Papier, stattgefunden. War die Erotik zweier holzhackender Männer in enger Kleidung zu viel? Unerwartet? Wenn ein Teil des Publikums aufsteht und geht wirkt das als wäre das Stück unglaublich kontrovers, besonders bei Kommentaren wie „Macht mal Feierabend!” und „Blödsinn”. Dabei ist erstmal gar nicht viel passiert - vielleicht war genau das auch das Problem.
Wood Paths beginnt mit zwei Männern, die eine Leinwand aus Papier auf der vorderen Hälfte der Bühne begutachten. Ein großer Drucker an der Seite der Bühne druckt währenddessen einen einfachen Dialog. Nach einer Weile tragen die Männer die Leinwand an das hintere Ende der Bühne und entblößen dabei Holzstämme, Paletten und Holzblöcke, welche zusammen mit Werkzeugen auf der Bühne verteilt sind. Dann beginnt das Holzhacken. Was vielleicht nach einer nervigen und körperlich anstrengenden Arbeit klingt, bekommt im Rahmen dieser Performance ganz andere Blickwinkel. Das Auftreffen der Äxte auf die Holzstämme erzeugt Töne, jeder der beiden Stämme klingt ein wenig anders. In der großen Halle hallt es. Die Männer hacken in einem gleichmäßigen Rhythmus, erst gemeinsam, dann abwechselnd, dann wird der Rhythmus schneller. Das Ganze scheint ohne Absprache zu passieren, man kann eine Harmonie spüren. Dann wird ein Stamm der Länge nach gespalten, was neue Töne erzeugt. Die Hammer klingen metallisch auf den Keilen und das Holz fängt an zu knacken; je weiter die Keile ins Holz getrieben werden, desto lauter wird das Knacken, bis sich der Stamm irgendwann komplett in zwei Teile teilt.
Kleinere Teile des Holzes werden in Scheite gespalten. In einem Teil der Bühne werden sie aufgestellt, zusammen mit den größeren Stücken. Es ähnelt einem Garten mit Zaun.
Akkuschrauber kommen ins Spiel, die Paletten werden auseinandergeschraubt und zu mehreren Platten wieder zusammengesetzt. Dabei drehen die Akkuschrauber teilweise durch, es kommt ein neues Sound-Element hinzu. Nun liegen 6 quadratische Platten auf der Bühne, welche mit der Hilfe von Seilen zu zwei Dreier-Sets verbunden werden. Die Seile formen Gelenke und somit lassen sich Dreiecke bilden, welche später zu einem Würfel verbunden werden. Der Würfel wird mit Hilfe von Flaschenzügen an einer Aufhängung über der Bühne hochgezogen. Dort bleibt der Würfel eine Weile hängen, bis sich plötzlich ein Seil löst und sich der Würfel an einer Seite öffnet. Skeptische Blicke, der Würfel wird wieder heruntergelassen, auseinandergebaut und neu zusammengezurrt und geschraubt.
Einer der Männer zieht ein Cutter-Messer aus der Hosentasche und schneidet einen Schlitz durch die Papierwand am Ende der Bühne, das Geräusch der Klinge im Papier klingt in der Halle sehr laut. Dann verschwindet er durch den Schlitz.
Ab hier nimmt das Stück eine kleine Wende. Der Mann kehrt irgendwann als Waldwesen verkleidet wieder. Er trägt ein unförmiges Kostüm in verschiedenen Grüntönen, mit dem er sich in einem Wald vermutlich sehr gut tarnen könnte. Der zweite Mann verschwindet auch durch den Schlitz in der Papierwand. Das Waldwesen begutachtet den „Garten“ auf der Bühne, kommt dem Holz nahe, schmiegt sich daran. Der Drucker hat ein großes Stück Papier mit Wald darauf ausgespuckt. Das Waldwesen befestigt das Stück Papier mit zwei Holzlatten an einer Wand und lehnt sich dagegen, als würde es sich verstecken. Es ist getarnt.
Von hinten werden vom zweiten Mann Löcher in die Papierwand geschnitten, er schaut durch, dann steckt er seine Arme durch und wickelt sich mit Hilfe des Waldwesens in das Papier ein. Papiermann und Waldwesen verbinden die Holzplatten, die jetzt eine lange Platte mit mehreren Gelenken formen, wieder mit Seilen von der Aufhängung über der Bühne. Langsam wird das Konstrukt von links und rechts in die Höhe gezogen, dabei bewegt es sich erst fast als würde es atmen. Mit einer wellenartigen Bewegung wird das Holzkonstrukt Meter für Meter höher gezogen, es erinnert an eine Raupe. Als die richtige Höhe erreicht ist, formt sich ein Vogel, oder vielleicht ein Schmetterling, aus einer einfachen Linie, wie zum Beispiel von Kindern oft gemalt. Zwei Flügel und ein kleines V als Körper. Die Flügel beginnen zu flattern, von draußen klingen die Rufe von Gänsen in die Halle. Der Holz-Vogel fliegt, das Licht wird gedimmt. Ende.
Der Applaus erklingt, aber man kann ein Zögern wahrnehmen. Das Gesehene muss noch verarbeitet werden.
Through playing with the materiality, symmetry and asymmetry of wood, the creative team speaks directly about humans and culture, exploring the rules for the coexistence of the old and the new, the relationship and the developmental potential between the two. It is a mandala-like performance about the never-ending human striving to create order in the world around us and the short-lived victories in this effort.1
So heißt es auf der Website von Ģertrūdes ielas teātris. Und das konnte auch gesehen werden. Das Holz wird ständig bearbeitet, aus den Paletten wird etwas Neues gebaut und dann wieder und wieder etwas Anderes. Es scheint nie fertig zu sein. Der Drucker auf der Bühne erinnert an die Industrie, genauso wie die große Papierwand - verarbeitetes Holz - im Gegensatz zu den rohen Holzstämmen, welche bearbeitet werden. Das Waldwesen könnte für die Natur selbst stehen, vielleicht ist es ein lebender Wald? Zusammen mit dem Papiermann wird der Kontrast zwischen der freien, nicht von Menschen berührten Natur und dem industriellen Produkt von verarbeitetem Holz betont. Andererseits auch die im Zitat genannte „coexistence“ zwischen alt und neu, zwischen Industrie - Mensch - und Natur. In jedem Fall wird gezeigt, dass Holz vielfältig und wandelbar ist, dass es verschiedene Klänge, Formen und Gerüche haben kann.
70 Minuten fliegen vorüber wie der Holzvogel am Ende des Stückes. Es ist kein klassisches Theater, wie die Meisten es kennen, man muss sich darauf einlassen und offen für Neues sein. Aber wenn man es tut, dann erfährt man eine interessante Performance mit Holz und kann hinterher noch viel darüber nachdenken.
1 Ģertrūdes ielas teātris https://git.lv/en/shows/view/101
Foto: Lena Melzer