Die aktuelle Kritik

Staatstheater Oldenburg: „Farm der Tiere“

Von Falk Schreiber

George Orwells Klassiker ist die Fabel eines überzeugten Sozialisten, der entsetzt ist, wie Stalin die Ideen des Marxismus pervertieren konnte. Regisseur Ingo Putz entwickelt dazu keine eigene Haltung, schafft aber im Verbund mit Puppenbauer Maik Evers und der Berliner HfS Ernst Busch eindrucksvolle Bilder.

28. April 2025

Schauspieler*innen mögen keine lebenden Tiere auf der Bühne, weiß Dramaturg Matthias Grön. Weil: Tiere auf der Bühne ziehen die gesamte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Und lebensgroße Puppen, die Tiere darstellen, haben einen ähnlichen Effekt – alle schauen auf die Puppen, alle sind begeistert von ihrer Bühnenpräsenz, niemand interessiert sich dafür, wie neben ihnen performt wird. Was bei Ingo Putz’ Inszenierung von George Orwells Totalitarismus-Fabel „Farm der Tiere“ am Staatstheater Oldenburg freilich weniger ins Gewicht fällt: Hier sind die Tiere die primären Protagonisten, menschliche Schauspieler*innen treten nur in Nebenrollen auf. Entsprechend stört es niemanden, dass die als Schauspiel angekündigte Inszenierung im Grunde mustergültiges Puppentheater ist, entstanden als Kooperation des Staatstheaters mit der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und mit den beiden von dort ausgeliehenen Puppenspiel-Student*innen Laura Schulze und Jago Schlingensiepen neben dem örtlichen Ensemble auf der Bühne.

Vor allem aber: mit Puppen von Maik Evers (der im Programmheft auch als „Puppenregie“ geführt wird, was ungewöhnlich ist und einen Hinweis darauf gibt, wie stark dessen Einfluss auf die Inszenierung gewesen sein dürfte). Und diese Puppen sind schlicht spektakulär. Im Grunde hat Evers Tiere naturalistisch nachgebildet, den Esel Benjamin, der als Erzähler fungiert (und von Klaas Schramm geführt wird), das Pferd Boxer, das an die Kraft der Revolution glaubt (Laura Schulze), die Schweine, die in ihrem Handeln Marx, Trotzki (als Old Major und Spaniol: Andreas Spaniol) und Stalin (als Napoleon: Hagen Bähr) nachempfunden sind.

"Farm der Tiere": Hagen Bähr (Mr. Jones), Julia Rösler (Boxer, ein Ackergaul), Julia Friede (Mathilda, eine Ziege) und Ensemble © Stephan Walzl

Aber kurz bevor man der vollständigen Kopie erliegt und die Tierpuppen womöglich als niedlich missversteht, hat Evers kleine Irritationen eingebaut. Die Tiere bestehen nur aus ihren Extremitäten, die zumindest auf den ersten Blick nicht miteinander verbunden sind: Köpfe schaukeln in einigem Abstand vom Rumpf, Hufe sind nicht Teile des Körpers. Eine gespenstische Performance entwickelt sich da, dunkel und bedrohlich. Was noch dadurch verstärkt wird, dass man die Spieler*innen durchaus erkennt, sie aber schnell ausblendet: Das raffinierte Lichtdesign Steff Flächsenhaars sorgt dafür, dass die Schauspieler*innen im Schatten bleiben, während sie die Tiere wie auf Schubkarren vor sich herschieben und per ausgeklügelter Technik bewegen, in etwa wie riesige Marionetten.

Menschliche Protagonist*innen tauchen dabei kaum auf. Bähr gibt den ausbeuterischen Farmer Mr. Jones, dessen Grausamkeit und Misswirtschaft überhaupt erst die Revolution provozierten (und dass das der gleiche Spieler wie derjenige des Stalin-Schweins Napoleon ist, kommt nicht von ungefähr), im Grunde sind das unwichtige Figuren, die sich im schwer verständlichen Kauderwelsch unterhalten. Klar, wir befinden uns in der Tierwelt, da kann man in Menschensprache höchstens mal einen bestimmten Tonfall zuordnen. Gegen Ende aber kippt dieses Spiel, einzelne Darsteller*innen legen ihre Puppen ab, Bähr das Machtschwein Napoleon, Tamara Theisen das Chefideologenschwein Petzer. Das verdeutlicht das Schlussfazit, nach dem die neuen Machthaber nicht mehr von den früheren Unterdrückern unterschieden werden können, und vielleicht macht es sich die Inszenierung damit auch ein bisschen einfach. Weil sie zwar drastische, auf den ersten Blick einleuchtende Bilder findet, George Orwells vor 80 Jahren erschienenem Roman aber wenig hinzuzufügen weiß.

"Farm der Tiere": Hagen Bähr (Napoleon), Julia Friede (Mathilda, eine Ziege) © Stephan Walzl

Orwell wandte sich mit „Animal Farm“ gegen Totalitarismus, und als überzeugter Sozialist war er vor allem entsetzt, wie Stalin den Marxismus in der Sowjetunion zum totalitären System pervertierte. Der Stoff ist auch deswegen historisch, weil sich in ihm die Enttäuschung des Autors über die verweigerte Unterstützung der Sowjetunion für den linken Widerstand im Spanischen Bürgerkrieg niederschlägt. Dass Orwells Roman in der Folge vor allem als antikommunistische Propaganda gelesen wurde, dafür konnte der Autor nichts – Antikommunist war er definitiv keiner. Aber wenn man sich „Animal Farm“ heute noch einmal vornimmt, dann muss man sich irgendwie zu dieser ideologischen Vereinnahmung verhalten.

Man muss sich fragen, was es bedeutet, wenn die Selbstbezeichnung der revoltierenden Tiere in „Animal Farm“ auf Englisch „Comrades“ lautet, was auch in der Fassung von Dramaturg Grön mit „Genossen“ übersetzt wird. Man muss sich fragen, was es heißt, wenn Ideen von Vergesellschaftung und Übernahme der Produktionsmittel in Gewaltherrschaft kippen. Im Jahr 2025 ist die offene Gesellschaft vom Totalitarismus bedroht, zweifellos. Aber entspringt dieser Totalitarismus derzeit linken Positionen? Der Blick nach Russland, Ungarn, Amerika oder in die Türkei sagt: kaum. Aber Putz’ Inszenierung hat keine Haltung dazu, sie spielt einfach die selbst ideologiegetriebene Orwell-Rezeption nach. Dass sie dafür beeindruckende Bilder findet, sei ihr freilich unbenommen.


Staatstheater Oldenburg: „Farm der Tiere

nach George Orwell

Regie Ingo Putz | Puppenbau Maik Evers (Entwürfe zusammen mit Carola Hoyer) | Puppenregie/Coaching Maik Evers | Bühne Johanna Bode nach Entwürfen von Carola Hoyer | Kostüme Johanna Bode | Musik Johannes Winde | Licht Steff Flächsenhaar | Dramaturgie Matthias Grön | Mit Hagen Bähr, Klaas SchrammLaura Schulze, Julia Friede, Andreas Spaniol, Tamara Theisen, Jago Schlingensiepen | In Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch

Premiere: 25. April 2025
Dauer: 95 Minuten inkl. Pause

Infos und Spieltermine auf der Website des Staatstheaters Oldenburg