Schnitzel of Love- eine Liebeserklärung an den Schmerz
In Schnitzel of Love wird ein Gefühl des Betrugs und Schmerzes aus dem Bauch herausgeschnitten, dem Körper also endgültig entnommen und anschließend zweckhaft verwertet. Das Stück Fleisch wird durch eine Reinkarnation zum Schnitzel und dann sogar in vielfältiger Ausprägung ein zweites Mal wiedergeboren. Die fortschreitenden Kreisläufe der Verarbeitung werden zur Metapher von Liebeskummer, der mit positivem Ausgang verdaut werden kann. Die langwierige, aber sich lohnende Chance wird aufgezeigt, etwas Schmerzliches in etwas Neues, Buntes, Unbändiges und Florierendes zu transformieren. Die Inszenierung ist sehr unmittelbar und ungefiltert in ihrem Ausdruck und dadurch berührend, authentisch, performativ und sehr poetisch, sie ist verdeutlichend und ermutigend darin, dass aus Schlechtem Gutes werden kann.
Als Einstieg plaudert Stefanie Oberhoff etwas unverblümt aus dem Nähkästchen, und es ist nicht eindeutig durchschaubar, ob sie dies als Künstlerin oder Privatperson tut. Sie offenbart, dass ihr Exmann eine Affäre mit einer gemeinsamen Arbeitskollegin hatte und sie selbst daraufhin dieses komische Gefühl des Betrugs und Schmerzes im Unterbauch. Deckt diese Information also in diesem Moment den Grund und die Essenz der Inszenierung auf sowie den Versuch, damit umzugehen? Das von der begleitenden Hundepuppe Anubis herausgeschnittene Stück Fleisch aus dem Bauch wird zum Schnitzel, das zunächst als eine Figur mit Augen und Haaren zusammengenäht und dekoriert wird, und anschließend in der Pfanne gebraten wird. Das daraufhin langsame, tragische Inszenieren des Sterbens des Schnitzels wird zur Analogie zum Liebeskummer: Nur beschwerlich wird er durchgebraten, ist lange zäh und nicht zur Verdauung bereit. Das Schnitzel kämpft ums Überleben, singt davon, dass man sich an es erinnern wird. So wird ihm und dem Negativen an sich, ebenso wie durch seine Figürlichkeit, eine Wichtigkeit zugesprochen, eine Rolle, eine Plattform, es wird ernst genommen, auch wenn es letztendlich trotzdem sterben muss.
Es wird ersichtlich, negativ Kategorisiertes wie Liebeskummer muss ernst genommen werden, erst zum Leben erweckt und kennengelernt werden, durchlebt werden, voller Schmerz im brutzelnden Öl ausgehalten werden, am eigenen Fleisch, an der eigenen Substanz, bevor es als bloßes Ding ohne Leben und Emotionalität und als durchgegartes Stück Fleisch verzehrbar ist. Ist das Fleisch noch zu zäh, wird man es kaum kauen können oder sich daran verschlucken. Alles braucht seine Zeit, und auch die Darstellerin demonstriert dies, lässt sich bewusst Zeit, das Schnitzel erst zu nähen, es zu formen, es figürlich zu machen, es als Person und Objekt zugleich erfahrbar und fassbar zu machen. Man muss seinen Schmerz greifen und benennen können, ihn kennenlernen, Zeit mit ihm verbringen, ihn wie einen vorübergehenden Zimmergenossen akzeptieren. Wenn der Schmerz greifbar ist wie ein kleines Individuum mit eigenen Spielregeln und Charaktereigenschaften, muss er nichts Fremdes, Unbehagliches, Angsteinflößendes mehr sein. Nicht nur Positives muss angenommen werden, Negatives ist ebenso Teil von uns, braucht ebenso Platz zum Sein, zum Atmen, zur Entfaltung, zum Tanzen und Singen wie das Schnitzel in Stefanie Oberhoffs Inszenierung. Man lernt durch das bessere Kennenlernen des vermeintlich Negativen wertvolles Neues, wächst zum Beispiel an Bewältigungsstrategien und verbesserter Resilienz.
Wichtig ist für mich zu beobachten, dass der Schmerz, d.h. das Schnitzel in Form einer Figur etwas ist, das in der Kontrolle der Darstellerin liegt: Sie entscheidet den Umgang mit diesem Schnitzel, sie belebt es, ist seine Schöpferin. Das Schnitzel wird in seiner Figürlichkeit zum Pendant zu Menschlichem, so präsentiert sich eine Analogie und ein Hinweis auf Selbstermächtigung statt Fremdbestimmung. Wir haben die Fäden unserer Emotionen in der Hand, wir können sie uns als kleine form- und lenkbare Figuren vorstellen, wir können diese Figuren beeinflussen und sie zum Leben erwecken sowie sterben lassen. Wir haben die Macht über unsere Perspektive, unseren Umgang mit Gefühlen. Der Schmerz als Figur kann sich wie bei allen anderen Puppen auch nicht vollends selbst ermächtigen. Die transparent offengelegte Steuerung durch die sichtbaren Hände der Darstellerin sind eine Erinnerung daran, dass wir die Kontrolle haben, wir die Strippenzieher*innen unserer selbst und unseres Lebens sind.
Die Hundepuppe Anubis ist in der Inszenierung der Begleiter, der das Stück Fleisch herausschneidet, und der Hund ist es auch, der das Schnitzel letztendlich zum größten Teil verspeist. Aus dem Bauch des Hundes kommen zum abschließenden Happening und Happy End sehr viele bunte Papierschnipsel als das verdaute Endprodukt und Stefanie Oberhoff resümiert: „Die Verwandlung ist geglückt!“ Der Hund kann hierbei durch seine Puppenexistenz eingesetzt werden, um die Transformation abstrakt und künstlerisch darzustellen, am menschlichen Körper wäre dasselbe schwierig. Hierdurch wird auch ersichtlich, wie unsichtbar und wie viel komplexer Prozesse der Trauer und des Verarbeitens beim Menschen oft sind. Hier wird ein solcher Prozess anschaulich inszeniert mithilfe einer Art nichtmenschlicher Plattform und Leinwand, auf die der Schmerz dargestellt und projiziert werden kann. Der Hund als Inbegriff des besten Freundes des Menschen zeigt, dass es okay ist, Schmerz individuell zu gestalten und zu bewältigen, ihn auch mal abzugeben, woanders aufzuladen, um sich von etwas Gewicht befreien zu können. Es muss und kann nicht jeder Schritt des Prozesses allein am eigenen Körper stattfinden, eine Heilung vollzieht sich auch durch und mit Freund*innen, durch Kollektivität, durch Formen, die wir vielleicht nicht erwarten oder genau identifizieren können. Und vor allem auch durch einen Akt des Reclaiming des Schmerzes und durch das Motto „fake it till you make it“, durch eine Inszenierung wie hier: eine Illusion, die man zunächst vor allem sich selbst abkaufen muss, damit sie zur eigenen, befreienden Wahrheit wird, egal wie unrealistisch und abstrakt, durch die Papierschnipsel. Denn, wie man bei Stefanie Oberhoff sieht, kann etwas sehr Poetisches und Künstlerisches daraus entstehen.
Die Performance heißt Schnitzel of Love, doch könnte sie auch Schnitzel of Loss heißen. Der Name jedoch impliziert, dass nichts verloren gegangen ist, sondern nur neu verarbeitet wurde. Ein radikaler Optimismus wird als Perspektive gewählt. Durch den Namen findet eine positive Konnotation des Schnitzels statt, das trotz allem und trotz seinem Tod noch immer Liebe ist, Substanz und Beweisstück von Liebe. Selbst der Schmerz, das, was rausgeschnitten und verarbeitet (psychisch wie materiell durchs Kochen) werden soll, ist als Stück Fleisch ein Manifest der Liebe. Es wird ein Blickwinkel und eine Überzeugung eingenommen, die die vergangene Liebe nicht bereut, die sie immer noch als Liebe wahrnimmt, zwar abgestorben und überschüssig wie Fett, doch nur weil es wirkliche und wahre Liebe war, kann es sie auch heute noch sein, deshalb kann sie erst schmerzen und ist von Relevanz. Die Transformation des Schmerzes steht in dieser Inszenierung ganz im Sinne des Mottos des Festivals: Change. Veränderung muss geschehen, damit Neues und Besseres entstehen kann. Wenn alles beim Alten bleibt und keine produktiven Gegenhandlungen oder Befreiungshandlungen vollzogen werden, schmerzt der Unterbauch, schmerzt das Verdauungszentrum, nichts was einst aufgenommen wurde, kann sinnvoll verwertet werden in etwas Kraftgebendes oder wieder Aufblühendes. Es braucht Veränderung, vom Schmerz zur Nahrung, die wieder neue Energie gibt, um weiterzuleben und weiterzulieben.