Puppentheater Zwickau: "Der Traumzauberbaum"
26. März 2024
Reinhard Lakomy ist Kult. Allerdings nur im Osten und nur für eine bestimmte Klientel. Denn der langhaarige Nickelbrillenliedermacherbarde, der nur ein Klavier braucht, um erfolgreich in den Bann zu ziehen, erfand schon Ende der Siebziger gemeinsam mit seiner Frau, der Schriftstellerin Monika Ehrhardt, den „Traumzauberbaum“ – ein balladengestütztes Kindermusical für die Allerjüngsten. Gemeinsam mit Angelika Mann und Veronika Fischer spielte er den Traumzauberbaum 1980 als Hörspiel für Amiga ein. Seither ist er allen Kindern auch dank anhaltender, sehr reger Tourneetätigkeit durch den gesamten Osten ein Begriff und ob des Erfolgs blieb kaum noch Zeit für die Bespaßung seiner eigenen Alters- und Preisklasse, also für eine Karriere à la Wenzel oder Gundermann.
Seine Best-of-Platte („Die großen Erfolge“) erschien als fünftes Album schon 1977 – da war er 31 Jahre jung, das nächste war dann schon sein Abschiedssoloalbum „Die 6-Uhr-13-Bahn“ anno 1993 bei Buschfunk. Dazwischen gab es allerdings immerhin noch vier sehr beachtete rein instrumentelle Elektronikalben zu Lebzeiten, denn Lakomy bastelte nicht nur Instrumente, sondern entwickelte auch eine elektronische Spracherkennung sowie ein Notenschreibprogramm. Außerdem lotste er Edgar Froeses Tangerine Dream Mitte der 80er in den Ostberliner Palast der Republik.
Sein reichhaltiges künstlerisches Erbe wird von Monika Ehrhardt (genauer eigentlich Monika Ehrhardt-Lakomy) als Autorin wie Rechteinhaberin gehegt wie gepflegt und ist per Reinhard-Lakomy-Ensemble, gemeinnütziger Traumzauberbaum GmbH und dem Lacky Musikverlag nachhaltig institutionalisiert. Das Ensemble tourt heuer, genau elf Jahre nach „Lackys“ Tod, mit sieben verschiedenen Shows immer noch wie wild durch die Osthälfte der Republik. Soviel zur Vorgeschichte, um das überraschende Ereignis dieser Zwickauer Puppentheater-Uraufführung historisch einzuordnen, denn es gibt ja noch drei Fortsetzungen dieser Story plus zehn andere Geschichtenlieder-Geschwisterchen, wobei die Netztraumbaumpräsenz bald 950 000 Veranstaltungsbesucher und fünf Millionen verkaufte Tonträger zählt.
"Der Traumzauberbaum" © Ralph Köhler
Monika Gerboc, Slowakin des Jahrgangs jener traumhaften Plattengenese und aus Snina, der östlichsten Stadt mit dem höchsten Berg des noch recht jungen eigenständigen Landes, kam anno 2015 in Cottbus erstmals damit in Berührung, ihre Tochter war damals drei – so dass dieses Alter nun auch hier als Mindestaltersempfehlung gilt. Gerboc war damals nach dem Schauspiel- und Regiestudium in Banská Bystrica und einem Aufbaustudium Puppenkunst im nordostpolnischen Białystok am Piccolo-Theater engagiert und wollte es eigentlich sofort auf ihre Art umsetzen. Allerdings scheiterte es damals noch an Rechtefragen. Sie kam just 2016, als das Zwickauer Puppentheater von der Stadt Zwickau aufgrund der ewigen Plauener Geldprobleme als Sparte aus dem Theater Plauen-Zwickau herausgelöst und im stadteigenen Kulturbetrieb eingegliedert ward, als neue Direktorin nach Westsachsen.
Ihr Haus, inzwischen frisch renoviert, liegt direkt hinter dem Gewandhaus (also dem großen Theater) am Markt mitten im Zentrum – und hat als Bühne wohl den dichtesten Regionalbahnanschluss Deutschlands in Sichtweite, der sogar zwei direkte Anschlüsse ins böhmische Bäderdreieck gewährt. „Viel Platz für kleine Helden und große Kunst auf kleiner Bühne. Unsere Angebote sollen euch kreativ, stark, schlau, mutig und glücklich machen“, so der öffentlich formulierte Anspruch des Hauses.
Und sie blieb hartnäckig dran am Traumzauberbaum – nun gelang die Aufführung am vergangenen Wochenende unter ihrer Regie. Die Geschichte ist dabei so simpel, dass sie die Bezeichnung „Musikmärchen“ verdient: Der Traumzauberbaum wohnt sieben Tag weit im Wald, seine Blätter – durchaus in Sachen Farbe und Stammbaum sehr divers – formen sich, oft per Stab geführt, nicht nur in phantasievollen Gedanken rasch zu neuen Gestalten: von der Katze über den Fuchs zum Uhu.
"Der Traumzauberbaum" © Ralph Köhler
Die Hauptgestalten als sich neckendes Kinderpärchen, welches im, am oder mit dem Baum lebt, sind hier zwei Pilze als Klappmaulpuppen: Moosmutzel und Waldwuffel streiten sich um die goldene Stimmgabel, sortieren die Blätter – die schwarzen verheißen böse Albträume, die blauen feuchte Regenträume – die Kids hassen Regen und wollen diese vorsorglich entsorgen, was dem Zausel, eine Art wunderlicher Wettergott, nicht gefällt. Er lässt seine Wolken verschwinden, was rasch zum Austrocknen des Bächleins am Fuße des Baums und zur großen Verwelkung führt. Nur ein blaues Blatt bleibt, von Waldwuffel vergessen, hoch am Baum…
Gerboc verlässt sich weitgehend auf den Originalton des Hörspiels, allein der Zausel wird neu eingesprochen. Ihre drei schwarz gekleideten, fast unsichtbaren Spielenden (Hanna Daniszewska, Kateryna Bondarenko, Calum Mac Askill) illuminieren quasi die Songs in phantastischen Bildern, die durchaus das Original toppen – was nicht leicht ist, denn die Zwischengeschichten zwischen den kurzen Liedperlen sind als Dialoge nur kurzgehalten. Das geschieht sehr dynamisch und mit vielen Überraschungen: über 75 Figuren und gefühlt 300 verschiedene Blättern wirbeln wie von Geisterhand über die schwarze Guckkastenbühne vorm Originalbaum, der nur durch Augen zur Gestalt wird. Höhepunkte sind dabei sicher „Der Eierbecher“ und das „Gespensterduett“. Der „Frosch-Rock’n’Roll“ löst bei der Premiere kreischende Begeisterung aus.
"Der Traumzauberbaum" © Ralph Köhler
Nun gibt es – aufgrund des Typus, seiner Vielfältigkeit und auch der spektakulären Unangepasstheit nirgends ein passendes Pendant, das man als Vergleich zu Lakomy anführen könnte. In der „Zone“ als Liedermacher für Kinder genauso bekannt wie Gerhard Schöne, als rauchiger Barsänger populärer als Holger Biege. Raue Stimme, herrlicher Humor, große Karriere ganz ohne FDJ- und Parteibuch und dennoch vielfacher Preisträger – Lakomy ist auch unter Ossis schlicht ein Unikat, dem ein Berliner Ehrengrab gebührt und dessen Name zwei Schulen und eine Magdeburger Straße tragen. Anfängern sei als Einstiegsdroge das Lied „Heute bin ich allein“ von 1972 anempfohlen – und zwar als echte Handlungsanweisung bis zum harten Finale in der eigenen „Böse-Buben-Bar“.
Und so darf man gespannt sein, wie Gerbocs Trio den Abend für Erwachsene gestaltet, denn einmal im Monat gibt es einen „Magischen Sonnabend“ für Erwachsene, in der auch ab und an eigene Stücke auf jugendfrei getrimmt werden – für 25 Eulen samt Aftershowparty mit Imbiss – für Traumzauberbaumpfleger am 6. April als „Ostalgie in Lakomys Traumzauberwald“.
Das Kinderstück, eine wirklich (auch ästhetisch) ganzheitlich durchdachte Inszenierung, die sich wie ein Musikvideofilmrausch anfühlt und sich sicher wunderbar für den sensiblen Erstkontakt für künftige Theaterfans eignet, läuft hingegen bis Mitte Mai wie verrückt: 22 Vorstellungen sind in den ersten acht Wochen nach der Premiere schon fix geplant. Und sollte das Experiment gelingen, warten ja vielleicht noch eine wilde Traumlaus namens Agga Knack, das Hochzeitspferd Rosenhuf und der Weihnachtsretter Herr Kellerstaub auf theatrale Erweckung in diesem Traumbaumkosmos.
Puppentheater Zwickau: "Der Traumzauberbaum"
Musikmärchen von Monika Ehrhardt (Buch) und Reinhard Lakomy (Musik)
Regie: Monika Gerboc | Ausstattung: Laura Černáková | Dramaturgie: Dominique Suhr | Spiel: Hanna Daniszewska, Kateryna Bondarenko, Calum Mac Askill
Premiere: 17. März 2024
empfohlen ab 3 Jahren
Aufführungsdauer: ca. 50 Minuten ohne Pause
Hier geht's zur Website des Puppentheaters Zwickau und hier zur Internetpräsenz des Traumzauberbaums.