Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Kasper? Kasper! Ein Festival"

Von Anke Meyer

Kaspern gegen Tod und Teufel. Ein Festivaltag in Magdeburg.

18. Juni 2025

„Was machen wir hier eigentlich?“ fragen sich die Studierenden nicht nur einmal während ihrer dreitägigen Masterclass „Kasper 3.0“ im Magdeburger Puppentheater. Der Zweifel am Sinn einer Beschäftigung mit Kaspertheater, während die Theaterakademien in Charkiw und Kyjiw – aus denen drei der zwölf teilnehmenden jungen Frauen vor einer Woche gekommen sind – vielleicht gerade beschossen oder bombardiert werden, hält auch nach der erfolgreichen Präsentation ihrer Arbeitsergebnisse an. Manche der gerade ausgiebig bejubelten Darstellerinnen wirken eher verzweifelt, als beglückt. War doch, so berichtet der Leiter der Masterclass, der Magdeburger Regisseur und Puppenspieler Leonhard Schubert, die drückende Sorge der Ukrainerinnen um Freund*innen und Verwandte während der Proben täglich präsent. Handelte es sich also bei den szenischen Forschungen zum „Spielprinzip der Lustigen Figur im europäischen Kontext“ angesichts des erbarmungslosen Krieges gegen europäische Nachbarn um ein sinnloses, gar ein zynisches Unterfangen? – Nein, denke ich.

Denn was ich als Zuschauerin der Präsentation „Kasper Go Home!“ erlebt habe, waren nicht nur sehenswerte weibliche Zugriffsversuche der polnischen, ukrainischen und deutschen Puppentheater-Studentinnen auf die gemeinhin männlich konnotierte Figur, sondern vor allem Szenarien der Bedrohung, aus denen sich der sonst so siegesgewisse Komiker des Puppentheaters nur mit Mühe herausretten kann – wenn überhaupt. So geschehen im gespenstischen Kampf gegen die klassischen Kasper-Kontrahenten Tod und Teufel, die hier – offenkundig nach Plünderung des Magdeburger Figuren-Fundus – gleich in Heerscharen auftreten. Die Assoziationen zum gegenwärtigen Geschehen sind da nicht weit, das Lachen konkurriert mit dem Grauen. Die kriegserfahrenen jungen Frauen haben ihren Künstlerinnen-Alltag behauptet und vielleicht einen Moment davon mit den anderen Teilnehmerinnen und uns Zuschauer*innen teilen können. Was der tschechische Dichter Jiří Weil für das literarische Schreiben vermutet, mag auch für das Theater gelten: Es kann keine politischen Veränderungen bewirken, aber es kann die Welt (für die Künstler*innen und Rezipient*innen) „ein bisschen zusammenhalten“.1 So demütig wie groß gedacht …

Teatro delle Guarattelle: "La Luna e Pulcinella" © Giorgio Cossu

„Kasper Go Home!“ war die letzte Veranstaltung meines persönlichen Festivaltags bei “Kasper? Kasper!“, dem fünftägigen Festival mit „Shows, Spektakel und Symposium zum Spielprinzip Kaspertheater im zeitgenössischen Puppenspiel“, zu dem das Puppentheater Magdeburg in der ersten Juniwoche eingeladen hatte. Zuvor konnte ich bereits eine weitere weibliche, diesmal italienische Version des Umgangs mit der komischen Figur erleben: In „La Luna e Pulcinella“ ließ sich die virtuose Figurenführung von Irene Vecchia, die gemeinsam mit Bruno Leone das Teatro delle Guarattelle in Neapel leitet, bewundern. Ihr rasantes Spiel mündet im Zusammenspiel mit der Musikerin Cristina Vetrone immer wieder in perfekt rhythmisierte und dynamische Percussion-Nummern, bei denen die Holzköpfe der Puppen und die zum Prügeln eingesetzten Stöcke quasi zu Instrumenten werden. Ein signifikantes Element für den Witz dieser Traditionsfigur – gestern wie heute. Die verhandelte Geschichte vom Umzug der Frauen auf den Mond als Aktion gegen männliche Dominanz und Gewalt (Lysistrata ick hör dir trapsen!) gerät jedoch ein wenig brav, auch wenn der Gegenspieler der Pulcinella-Gefährtin Theresina, ein femizidbesessener Serienmörder, potenziell über die szenische Konstruktion hinausweist.

Lutz Großmann: "Solo mit Drehorgel" © Alvaro Schoeck

Lutz Großmanns „Solo mit Drehorgel“, das auf einem kleinen Platz in der Nähe des Theaters gezeigt wurde, meidet Kloppe und Radau. Eher zurückhaltendend und sparsam setzt er klar definierte musikalische Fragmente per Drehorgel und wohlklingender Taschentrompete ein. Mit dehnbaren, magisch-magnetisch an der Drehorgel haftenden und kletternden Figuren erkundet Großmann vorsichtig Zwischenräume, die in Augenblicken der Stille und des gegenseitigen mehr oder weniger erfolgreichen Annäherns, Allein- und Zusammenwirkens entstehen. Ob die an der Haltestelle direkt hinter den zahlreich versammelten Zuschauenden im Minutentakt piependen Straßenbahnen-Türen in die Dramaturgie einbezogen waren, ist zu bezweifeln – ein etwas ruhigerer Platz hätte der kleinen Inszenierung wohlgetan. Übrigens: Großmanns seit über 20 Jahren laufendes, eigentlich nicht tot zu kriegendes, also im Kern frisch gebliebenes Erfolgsstück „Kasper tot. Schluss mit lustig?“ machte auf seiner Abschiedstournee ebenfalls beim Magdeburger Festival Station. Farewell!

Compagnie La Mandale: "Les Impavides Bretons" © Julien Saison

Das wollte man zwischendurch auch manchmal den in ihre verrückt gewordenen (Ab)Wasserrohre abtauchenden „Furchtlosen Bretonen“ zurufen. Die wasserfesten komischen Figuren hielten in der gleichnamigen Inszenierung der französischen Compagnie La Mandale das Publikum selbst über einen echten Regenguss hinweg bei der Stange. Diese mit reichlich anarchischem Witz gefütterte, durch ein kongenial eingesetztes Geräuscheinstrumentarium (Marie de Plou Nazelle) begleitete Installateurs-Dokuserie ist wohl die bisher einzige Open-Air-Produktion meines Lebens, die aus Regen sogar noch dramaturgischen Gewinn ziehen konnte. Und das mit Handpuppen. Ein herrlich fieser Spaß!

Teatro Matita: "E Beh (Pulcinella)" © Vladislav Steinbauer

Mit einem anderen fiesen Spaß, allerdings eher sophisticated und morbide, hatte mein Festivaltag begonnen: mit Teatro Matita/Matija Solces „E beh! (Pulcinella)“. Im Vergleich mit dem ausgeklügelten Rohrgeflecht der furchtlosen bretonischen Klempner sowie deren Instrumenten- und Objektarsenal war der Materialeinsatz bei Solces Solo für Puppen, einen Stuhl, einen Spieler und ein Akkordeon eher minimalistisch. Ganz im Gegensatz zur versprühten Energie und den geforderten Imaginationsleistungen des Publikums – denn der slowenische Puppenspieler Matija Solce versteht es meisterhaft, mit Fragmenten und Andeutungen Figuren und ganze Abläufe heraufzubeschwören und dabei mit seinem anarchischen Schalk und seiner unbändigen Musikalität Lachstürme zu provozieren. Trotz oder gerade wegen der Grundierung all seiner Inszenierungen, und so auch dieser eigenwilligen Pulcinella-Version, durch die so banale wie schwerwiegende Wahrheit: Wir alle müssen sterben. Untertext: Also habt euch nicht so! Habt lieber Spaß! Vor allem daran, wie Pulcinella den Tod verdrischt – um den dadurch anscheinend selbst Hingeschiedenen dann fleißig und nach allen Regeln der Kunst wiederzubeleben. Zur Freude des Publikums. Denn was wäre die komische Figur ohne den Tod?

Und wie könnten wir in Zeiten wie diesen, wo reale staatstragende Figuren besessener um sich schlagen als jeder stockbewehrte Kasper auf der Puppenbühne, wie könnten wir ohne aufsässigen Humor unsere persönliche Welt „ein bisschen zusammenhalten“?


1 s. Erica Zingher: „Schreibend die Welt ein bisschen zusammenhalten“, taz.de, 9.6.2025.


Kasper? Kasper! Ein Festival

Shows, Spektakel und Symposium zum Spielprinzip Kaspertheater im zeitgenössischen Puppenspiel

4. – 8. Juni 2025

Infos auf der Website vom Puppentheater Magdeburg

Besprochene Produktionen:

Kasper Go Home! von der Masterclass Kasper 3.0 mit europäischen Puppenspiel-Studentinnen, Deutschland/Polen/Ukraine | La Luna e Pulcinella von Teatro delle Guarattelle, Italien | Solo mit Drehorgel von Lutz Großmann, Deutschland | Les Impavides Bretons von Compagnie La Mandale, Frankreich | E Beh (Pulcinella) von Teatro Matita, Slowenien