Young Writers

Hassan im Glück: Heimat und Verlust

Von Dio Airich

Für seine harte Arbeit hat Hassan sich einen Klumpen Gold in Größe seines eigenen Kopfes verdient, doch eigentlich will er nur eines: zurück in seine Heimat Afghanistan zu seiner Familie.

Die Sache mit der Heimat ist sowohl unter Migrant*innen als auch ihren nachfolgenden Generationen ein altbekanntes Thema. Irgendwann hörte ich auf zu zählen, wie oft mein Vater zurück in die Heimat reiste; mal war es für zwei Wochen, mal blieb er gleich mehrere Monate dort. Es ist nicht nur die zurückgelassene Verwandtschaft oder der alte Freundeskreis, die einen immer und immer wieder zurückkehren lassen: Kein Ort fühlt sich so an wie die Heimat. „Wir haben dort so viele Erinnerungen,“ sagen meine Eltern, es sei die Nostalgie, die sie am meisten drängt, den Heimatort zu besuchen. Als ich selbst das erste Mal nach Kasachstan mitgenommen wurde, besuchte ich mit meiner Mutter gemeinsam ihr Heimatdorf: Sie ging wieder durch die Flure ihrer alten Schule, wir durften das ehemalige Haus ihrer Großeltern besichtigen, das sich trotz des neuen Besitzers kaum verändert hat. Einige der Dorfbewohner*innen erkannten meine Mutter sogar sofort wieder, als wäre sie nie fort gewesen.

Meine Eltern leben inzwischen länger in Deutschland, als sie je in Kasachstan lebten, sie sehen Deutschland als ihr Zuhause, trotzdem war „Heimweh“ die erste Antwort auf die Frage, warum sie immer wieder zurückreisen. „Heimweh“, auch wenn die Heimat nicht immer gut zu ihnen war. „Heimweh“, auch wenn meine Mutter es sich nicht vorstellen könnte, endgültig zurück nach Kasachstan zu ziehen.

Heimweh hat auch Hassan. „Immer wenn ich Heimweh habe, singe ich ein Lied,“ rät ihm Darsteller und Erzähler Abdul Haq Haqjoo, also singen sie gemeinsam. Als dies Hassans Heimweh nicht lindert, beschließt er, gemeinsam mit seinem riesigen, hart verdienten Klumpen Gold zurück in seine Heimat zu reisen, nach Afghanistan, dort lebt seine Familie. Schon früh auf seiner Reise merkt er, dass dieser Klumpen Gold viel zu schwer ist und tauscht ihn lieber gegen ein Pferd, der finanzielle Verlust wird vom Erzähler bemeckert. Nun ist Hassan aber kein besonders begabter Reiter und tauscht sein Pferd lieber gegen einen Ochsen, den er für eine Kuh hält. „Meine Mutter wird sich freuen,“ behauptet er, denn eine Kuh könne ja Milch geben. Nach einem misslungenen Melkversuch bietet ihm ein Metzger im Tausch für Hassans „Kuh“ ein Schwein an – Moment, Hassan ist Muslim, dann vielleicht doch lieber ein Schaf? Also zieht Hassan mit einem Schaf weiter, was den Erzähler frustriert, er kann nicht dabei zuschauen, wie Hassan mit jedem Tausch immer wertlosere Tiere ergattert, schließlich würden die Zuschauer*innen ja denken, es sei alles seine Schuld, wenn die Geschichte nicht gut ausgeht. Nachdem Hassan dann auch noch sein Schaf gegen eine Gans tauscht, muss der Erzähler abbrechen. Frustriert setzt er sich vor die Bühne und bittet das Publikum zu gehen. Als dieses sich nicht rührt, bittet Hassan, das Stück doch zu Ende zu erzählen, sonst käme er ja nie nach Hause. Also schenkt der Erzähler ihm eine Schleifmaschine – Werkzeug wäre viel wertvoller als die Gans, denn damit könne er sich Geld verdienen – und schickt ihn weiter auf den Weg. Die Schleifmaschine ist aber zu schwer, so wie der Goldklumpen, und bei einer Trinkpause, fällt sie in den Brunnen und Hassan steht nun ohne jegliches Kapital da. Als der Erzähler dann völlig verzweifelt, tröstet Hassan ihn, denn er sei auch ohne Gold und ohne Pferd und ohne Schleifmaschine glücklich und gesund in seine Heimat zurückgekehrt und kann nun endlich seine Mutter wiedersehen.

Hassan im Glück haucht durch seine migrantische Perspektive neues Leben in das bekannte Grimm-Märchen und Abdul Haq Haqjoo bringt vor allem als afghanischer Puppenspieler, der im Exil in Frankreich lebt, eine rührende Bedeutung in Hassans Heimreise ein. Hassan mag auf seiner Reise alles Materielle verloren haben, aber er hat es nach Hause zu seiner Mutter geschafft und mehr wollte er auch gar nicht. Einmal wieder zurück in die Heimat zu kehren, einmal die Familie wiederzusehen, ist ein Privileg, das nicht jedem zusteht und Hassan weiß dies zu schätzen.

Ob Hassans Heimkehr nun für immer ist oder ob er wie meine Eltern nur für kurze Zeit wieder die Luft der Heimat schnuppert ist unklar, doch in jedem Fall ist es die Reise wert.

 

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