Die aktuelle Kritik

Kaufmann & Co.: „Absender verzogen - Empfänger unbekannt“

Von Tom Mustroph

An der Schaubude Berlin hatte ein Brief-Roman im Hörfunkstudio Premiere.

In ihrem Zwei Frauen-Stück „Absender verzogen - Empfänger unbekannt“ messen Alexandra und Eva Kaufmann das große Themenfeld Flucht und Migration, Heimat und Fremdsein aus. Ein Abend, der einen Nachhall noch über den Schlussapplaus hinaus hat.

Ein Tisch, eine Uhr links daneben, ein Mobile über dem Kopf und viele, viele Briefe auf dem Tisch. Das sind die Utensilien, mit denen Alexandra und Eva Kaufmann inszenatorisches Neuland betreten. Ein mutiger Vorstoß, bei dem manches Potential allerdings unerschlossen bleibt Wie festgeschnallt verharren die beiden Puppenspielerinnen während der knapp einstündigen Vorstellung an ihren zwei Stühlen. Sie simulieren ein Hörfunkstudio, in dem sie Texte lesen und immer wieder eine Klangumgebung erzeugen. Letzteres verzaubert, gelegentlich zumindest. Dann etwa, wenn sie am Ende des Stücks einen Space Walk, einen Ausflug in die Schwerelosigkeit, kreieren. Da fährt der Finger den Rand eines halb gefüllten Glases entlang und erzeugt die Schwingungen, die einen tatsächlich einen Raum jenseits der Stratosphäre annehmen lassen. Der rote Lichtpunkt inmitten der großen Uhr macht endlich Sinn als Roter Riese im All. Und auch die Lichtreflexe des Mobiles tragen das Ihre zur gelingenden Illusion bei. Oft genug sind die Geräusche aber lediglich Illustration zum gesprochenen Text. Fällt das Wort „Regen“, trommelt es. Ist von Papier die Rede, wird geraschelt. Kaufmann & Kaufmann bringen sich wegen des zu braven Einsatzes der Klangmittel um den Effekt, neue Imaginationsräume zu öffnen. Das ist schade, denn die szenische Anordnung ist vielversprechend.

Inhaltlich erweist sich das Duo ein wenig als Spätzünder. Themen sind Flucht und Migration; das ist sonst durch auf den Bühnen, zumindest denen der Hauptstadt. Immerhin reichern die beiden Spielerinnen den aktuellen Kontext mit Briefen aus anderen Zeiten an. Flucht heute wird mit Emigration in den 1930er Jahren verwoben, auch mit der noch früheren Auswanderung nach Amerika. Diese Perspektivwechsel erinnern daran, dass Europa auch einmal Auswandererkontinent war und nicht nur begehrte oder vermeintlich begehrte Destination mit all den sattsam bekannten Tendenzen des Verschließens und Abweisens. Eine vergleichsweise neue Note bringt die Erzählung über tierische Protagonisten wie Perserkatzen. Integration wird hier zur (Haustier-)Assimilation. Das Machtgefüge zwischen Aufnehmenden – durchaus wohlgesinnt Aufnehmenden, zumindest anfangs – und Aufgenommen werdenden wird bereits durch wenige Sätze deutlich. Sehr effektvoll ist auch das Verlesen des Briefs den eine Familie an ein Tierheim schickt. Sie beklagt sich darin bitter über die mangelnde Anpassungsfähigkeit der von dort bekommenen Katze und droht mit Reputationsverlust für die Einrichtung. Ein fabelhafter Kipp-Moment im oft stereotypen Diskurs um Geflüchtete, um Integration, um Ein- und Auswanderung. Überraschend ist schließlich die Tiefenwirkung des Abends. Auf der Oberfläche handelt er eine sattsam bekannte Thematik ab.

Noch Stunden nach Vorstellungsende tauchen aber einzelne narrative Fäden, einzelne Protagonisten udn Figuren aus diesem Erzählarrangement über Fremdheit und Weggehen, über Begegnung und über das Schaffen von einem Zuhause im Bewusstsein wieder auf. Ein Theaterabend mit Nachhall – das erleben erregungsgestählte Gemüter der Gegenwart auch nicht jedes Mal.

 

Premiere: 23.11.2018
Regie, Text, Spiel, Puppen: Alexandra Kaufmann, Eva Kaufmann · Bühnenbild, Lichtkonzept: Werner Wallner · Gefördert von: Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa · Dauer: ca. 50 Minuten 

Foto: Alexandra Kaufmann

0 Kommentare

Neuer Kommentar