Alba Scharnhorst & Selina Glockner, Kulturschmiede Arnsberg: "REDSHIFT – Tales of Gaining Power"
3. Juli 2024
Sie ist mitten unter uns. Auch wenn wir sie erst nicht zu sehen meinen. Sie verbirgt sich im Schatten der Scheinwerfer, bis sie uns sich zum Sehen vorgibt. Ein erhabener Blick blitzt aus der Dunkelheit hervor – umherschweifend, eingebettet in einem Meer aus rotem Tüll, thronend über uns.
was siehst du? a strong woman or a floating dress. is there any difference? 1
„REDSHIFT - Tales of Gaining Power“ ist ein Solo, konzeptioniert und nach Abend abwechselnd performt von Alba Scharnhorst und Selina Glockner. Es oszilliert. Ist es Tanz? oder Objekttheater? – Im wortwörtlichen Sinne werden wir Zuschauer*innen in ein Spiel eines weiblich gelesenen Körpers, eines mehrschichtigen roten Tüllrocks mitgenommen. Ein Spiel von Macht, das aus einer weiblichen* Perspektive beleuchtet wird.2 Mitten auf der Bühne steht ein Gerüst aus schwarzen Balken, wir Zuschauenden darum sitzend positioniert. Das Machtverhältnis ist damit von Beginn an klar. Die Performerin ist über ein Seil mit dem Gerüst verbunden. Sie hält sich mit ihrer eigenen Kraft. Unter ihr ein Spiegel aus Wasser.
under the surface: macht und ohnmacht, wie dünne schichten, kaum mehr voneinander zu unterscheiden.
Das bestehende Machtverhältnis ist fragil, das Balkengerüst wackelt. Es knarzt bei einer unsicheren Bewegung. Gerade dann, wenn der weibliche* Körper auf der obersten Planke zur Mitte kraucht. Das Gerüst hält das Verhältnis. Aber wie lange noch? nutze den freien Fall. Die am Körper herunterhängenden Bahnen an Stoff werden ausgebreitet, wie Flügel. Ein vielsagender Blick ins Publikum. Wissend, dass es hält.
„REDSHIFT“ lädt die Zuschauer*innen dazu ein, gemeinsam in den bodenlosen Grund zu blicken. Mit Bestimmtheit und mit Wagemut. Mit einem Funken an Spaß, wenn wir in das Spiel des schwingenden Körpers/Stoffes miteintauchen und einen Wassertropfen abbekommen. Mit dem Wissen darum, wie schnell sich Verhältnisse drehen können und sich die Erzählungen über den weiblichen* Körper ändern können. Die Performance fordert die Zuschauer*innen gerade durch assoziative Textpassagen, die aus dem Off ertönen und das Gesehene in ein anderes Licht setzen, auf, die eigene Wahrnehmung von Weiblichkeit* zu verschieben.
„Redshift – Tales of Gaining Power“ © Thimo Kortmann
was siehst du? what if the shift leads upside down?
Körper und Rock: Es verflüssigt sich zu einem. Im stetigen Schwingen des Körpers lässt sich beides nicht mehr unterscheiden. Eine barocke Hexe – ein herrenloser Geist – eine rosenrote Blume – eine Feuerqualle – eine kühle Mermaid? Lagen von Stoff über Stoff, die in Lichtatmosphären und Wasser getaucht werden: Das Kostüm, designt von Isabell Wibbeke, kennt unzählige Verwandlungen. Es gibt nichts zum Sehen vor. Es ist eine Projektionsfläche für das, was wir in ihm sehen wollen. Die Stimme aus dem Off mahnt uns dessen immer wieder. Der Rock wirft uns Zuschauende auf unseren eigenen Blick zurück: Was sehen und lesen wir in dem Stoff und dem Körper, der ihn trägt? Ist es ein Objekt? oder eine Objektifizierung? Es geht um Zuschreibungen. „REDSHIFT“ ist eine Einladung der Künstlerinnen, weibliches* Auftreten in einem neuen Licht wahrzunehmen.
eine Begegnung eurer Blicke in meinem
Und es geht um Macht, die im Blick liegt. Wer blickt? Und wer wird angeblickt? Die Blicke, die in einer frontalen Bühnensituation von den Zuschauer*innen ausgehen und auf die Performer*innen geworfen werden, werden in „REDSHIFT“ bewusst gemacht. Die bekannten Machtverhältnisse werden sogar umgekehrt: Wir als Zuschauer*innen sitzen um das Bühnengerüst herum, sehen uns gegenseitig beim Zuschauen zu. In unserer Mitte: Ein auffordernder Blick über unseren Köpfen hinweg, der unseren Blick sucht. Er blitzt immer wieder durch die Lagen an Tüll hervor und erwischt uns. Vielleicht ist da auch ein Lachen, wenn ihr Blick uns trifft. „REDSHIFT“ – von wo geht also die Macht aus?
So wie die Solo-Performance nichts zum Sehen vorgibt, gibt sie auch keine Antworten vor. Es liegt bei den Zuschauer*innen. Sie sind aufgefordert, sich auf die Performance einzulassen. Darauf, was sie wahrnehmen und was sie denken – von ihrem jeweiligen Platz aus. „REDSHIFT“ lässt viele Deutungen, Antworten zu. Es spielt mit der Positionierung im Raum, mit individuellen Perspektiven. Es ist Bewegung von Körper, Stoff in Licht und Wasser getaucht.
Ein letzter Gedanke: Was kann weibliche* Macht sein? Der Schluss verrät es vielleicht: Pulsierende Wellen, von der Mitte ausgehend – alle im Raum mit in seinen Bann ziehend und damit in seinen Kreis aufnehmend. Macht, sollte das nicht eher etwas mit Menschen sein als über sie?
Die Eindrücke, die ich in dieser Besprechung beschreibe, sind flüchtige, vereinzelte Momente. Mit ihnen möchte ich Sie neugierig machen und die Einladung der Künstler*innen wiederholen: Lassen Sie sich auf einen Redshift ein.
1 Alle kursiv gesetzten Passagen sind Zitate des Perfomance-Textes.
2 Die Schreibweise ‚weiblich*‘ soll auf die gesellschaftliche Konstruktion von ‚Geschlecht‘ hinweisen. Das Sternchen verdeutlicht, dass mit dem Begriff mehr als physisch-biologische Merkmale verstanden werden, sondern vor allem gesellschaftliche Zuschreibungen und Vorstellungen von ‚Weiblichkeit‘. Das Sternchen soll nicht bedeuten, dass es unterschiedliche Kategorien von weiblichen Personen gäbe. Weiblich sind alle, die sich als weiblich definieren.
Alba Scharnhorst und Selina Glockner; Kulturschmiede Arnsberg: „REDSHIFT – Tales of Gaining Power“
Künstlerische Leitung, Choreografie, Objekte, Performance: Alba Scharnhorst, Selina Glockner | Lichtszenografie: Thimo Kortmann | Kostümdesign: Isabell Wibbeke | Sounddesign und Komposition: Janna Berger, Kai Wenas | Künstlerische Produktionsleitung: Rixa Knaack-Meyer zur Capellen | Künstlerische Assistenz: Tabea Below
Weitere Spieltermine: