Die aktuelle Kritik

Robert Richter, Annika Schaper, Schaubude Berlin: „Heinrich der Fünfte (Hendrik de Vijfde)“

Von Johanna Sausen

Robert Richter und Annika Schaper gelingt ein humorvolles und nachdenkliches Puppenspiel über die Grausamkeit eines Krieges und die Rückeroberung von Macht.

7. März 2025

Die französische Burg aus Pappe wirkt friedlich, als sich das Licht im Theatersaal der Schaubude langsam senkt. Der Erzähler, gespielt von Robert Richter, tritt mit einem Buch in der Hand auf und beginnt zu lesen, bricht jedoch gleich wieder ab. Etwas scheint zu fehlen. Er rollt einen Papp-Kubus mit der Aufschrift “Staatskasse” auf die Bühne, aus dem sich sogleich Heinrich der Fünfte, von Annika Schaper als Handpuppe gespielt, aufrichtet.

Angelehnt an das gleichnamige Historiendrama von Shakespeare nimmt sich “Heinrich der Fünfte” von Ignace Cornelissen den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich zum Anlass, um die Sinnlosigkeit von Gewalt zu entlarven und dabei hoffnungsvolle Wege des Widerstands aufzuzeigen. Ausgangspunkte der Geschichte sind ein bankrottes England und der junge, mit seiner Verantwortung überforderte englische König, Heinrich der Fünfte. Mit einem Buch, das vermeintlich sein Anrecht auf die französische Krone belegt, macht er sich auf den Weg nach Frankreich, um seinen Besitz einzufordern.

In der Inszenierung von Schaper (es ist ihr Diplomprojekt) und Richter verlässt Heinrichs Handpuppe in diesem Moment seinen Staatskassenkubus und taucht hinter der Burg aus Pappe wieder auf, welche nun zum zentralen Handlungsort der Inszenierung wird. Hier bieten sich diverse Bewegungsmöglichkeiten, wie zwischen Zinnen hervorlugen, vom Turm in die Ferne rufen oder hinter vorgeschobenen Fenstern verstecken.

"Heinrich der Fünfte": Robert Richter © Veronika Maslikova 

Als der französische König plötzlich stirbt, mischt sich ein Notar als Anwärter auf dessen Erbe in die Handlung ein und wird so zu Heinrichs Gegenspieler. Der Konflikt führt zum Krieg. Der rote Faden, den der Erzähler bewahren will, wird von Katharine, Tochter des französischen Königs, ebenfalls Handpuppe und von Annika Schaper gespielt, neu verknotet. Denn nach dem Tod ihres Vaters wehrt sie sich gegen die Besitzansprüche des Notars auf die französische Krone sowie auf sich selbst als potentielle Ehefrau.

Der Rahmen, in dem sich Katherine in der Geschichte bewegt, ist vor allem eines: patriarchal und von Gewalt geprägt. Das macht die Inszenierung immer wieder deutlich, wenn der Erzähler ihr beispielsweise befiehlt zu weinen. Doch Katherine entscheidet sich dagegen. Und auch als sie auf Anweisung des Notars in ein Burgverlies gesperrt wird, gibt sie nicht auf und beginnt, Fluchtpläne zu schmieden.

Zugleich sterben englische und französische Soldaten im Kampf vor den Toren der Burgmauern. Durch die verfremdete Darstellung mit grünen und roten Luftballons, die immer wieder zum Platzen gebracht werden, gelingt die Vermittlung der Gewalt hier noch immer auf möglichst sanfte, zugängliche und dennoch eindrückliche Art und Weise. Auch an der Burg zeigt sich das Ausmaß des Krieges. Untermalt mit atmosphärischer, leise anklingender Musik von Marten Straßenberg und Christian Schaper erfährt der Handlungsort eine kleine Verwandlung: einige Türen, Fenster fallen ab, hier und da verliert das Gemäuer einen Stein oder eine Zinne.

"Heinrich der Fünfte": Annika Schaper © Veronika Maslikova 

Das Puppenspiel lebt von seinem schnellen Tempo und der Präzision, die beide Spielenden auf den Punkt beherrschen. Mit den von Simone Pätzold und Madita Kuhfuhs gestalteten Handpuppen, die sich vor allem durch realitätsnahe Köpfe und Hände auszeichnen, die den Spieler:innen nachempfunden sind, gelingt ein spannendes Wechselspiel zwischen Handpuppen und Schauspielenden, in dem sich immer wieder verändernde Machtdynamiken zeigen.

In einem Moment, in dem sich Katherine in ihrem Gefängnis all ihrer Mittel beraubt sieht, erkennt sie Robert Richter als Erzähler innerhalb der Geschichte. Kurzerhand tauscht sie ihre eigene Rolle aus und tritt als Erzählerin in Gestalt von Annika Schaper hinter der Pappburg hervor. Ex-Erzähler Robert Richter findet sich dadurch nun als Handpuppe im Turm eingesperrt wieder.

Das Publikum wird somit Zeuge einer feministischen Rückeroberung von Macht, die durch Katherines Figur erlebbar wird. Scheint sie zunächst nur wie ein Kind, das auf Heinrich trifft und mit ihm Schach spielt (welches sie ihm erst erklären muss), so legt sie nach dem Tod ihres Vaters plötzlich einen inneren Schalter um, der von Stärke und Verantwortungsbewusstsein geprägt ist.

Es macht Spaß, diese Entwicklung mitzuerleben. Der rote Faden der Geschichte verliert sich zugunsten der Hoffnung. Nur so kann Katherine aus ihrem konservativen Rollenbild ausbrechen und Wege aufzeigen, die abseits von Gewalt und Krieg existierten. Sie bleibt die Einzige, die laut wird, um zu schlichten. Das macht Mut und zeigt: Sich zu wehren lohnt sich.


Robert Richter, Annika Schaper, Schaubude Berlin: „Heinrich der Fünfte (Hendrik de Vijfde)

von Ignace Cornelissen, deutsch von Patricia Linden, Puppentheater frei nach William Shakespeare

Spiel und Regie Annika Schaper, Robert Richter | Konzept Annika Schaper | Outside Eye Sarah John, Anna Menzel | Szenographie Madita Kuhfuhs, Annika Schaper | Puppen Madita Kuhfuhs, Simone Pätzold | Musik Marten Straßenberg, Christian Schaper | Dramaturgie, Beratung Tim Sandweg | Unterstützt von Jonathan Gentilhomme, Ingo Mewes, Julian Jungel, Helene Kummer

Premiere: 21. Februar 2025
Dauer:
50 Minuten
Alter: ab 8 Jahren

Infos auf der Website der Schaubude

Weiterer Spieltermin im Theater Salz+Pfeffer Nürnberg