Schrödingers Katze – Lebendig, tot, oder beides? Können wir uns unserer Existenz sicher sein?
Mitzi’s Mensch ist ein philosophisches Figurentheaterstück, welches in Form einer Lecture Performance aufgebaut ist, die von dem Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“ handelt. Dabei ist das eigentliche Thema des Stücks die Frage nach der eigenen Existenz, veranschaulicht durch Schrödingers Katze. Aber eventuell ist ja auch genau dies die Lecture Performance, die gar nicht aus der Quantenphysik kommt, sondern aus der Philosophie. Vielleicht ist es beides, ein Puppenspiel und eine Lecture Performance zur gleichen Zeit.
Erwin Schrödinger entwickelte 1935 ein Gedankenexperiment, bei dem eine Katze mit einer Giftampulle, einer geringen Menge radioaktiver Substanz, einem Detektor und einem Hammer in einer Box eigesperrt ist. Es gibt eine 50%ige Chance, dass sich innerhalb einer Stunde die radioaktive Substanz freisetzt, der Detektor den Hammer aktiviert, welcher daraufhin die Giftampulle zerschlägt.1 Geschieht dies, ist die Katze tot. Geschieht dies nicht, ist die Katze lebendig. In der Quantenphysik gibt es jedoch nicht nur den einen Zustand. Solange die Box also verschlossen ist, ist die Katze beides: tot und lebendig. Erst beim Öffnen der Box weiß man, ob die Katze lebt oder nicht. Das ist schwer vorzustellen, also stellt sich die Frage, was es bedeutet, dass die Katze sowohl tot als auch lebendig ist.
In Mitzi´s Mensch wird die Box geöffnet und heraus kommt: Eine Kreatur. Irgendwie Katze, aber irgendwie auch nicht. Lebendig, aber gleichzeitig tot. Sie ist Schrödingers Katze, eine Katze ohne Namen, die den Namen Mitzi erhält.
Mitzi sieht sich selbst als existierendes, selbstbestimmtes Wesen. Sie meint, es wäre doch auch möglich, dass sie ihren Puppenspieler steuert, oder sie sich gegenseitig steuern, und er nicht die komplette Kontrolle über sie hat. Das Beispiel, dass sie sich gegenseitig beeinflussen, dient auch als Erklärung für ihren Zustand: tot und lebendig. Ihrer Existenz ist sie sich zunächst sicher: Sie denkt, also ist sie (Anspielung auf René Descartes?). Doch als sie erfährt, dass sie nur ein Gedankenexperiment ist, und somit eigentlich nicht existiert, gerät ihre Welt ins Schwanken.
Dies ist besonders für die Zuschauer*innen spannend: Man sieht, dass Mitzi eine Klappmaulpuppe ist, und man weiß, dass man sich in einem Figurentheaterstück befindet, und doch hat man eine Figur vor sich, die von sich selbst sagt, sie existiert. Natürlich sagt man zunächst, Mitzi ist eine Puppe, natürlich denkt und fühlt sie nicht wirklich.
Damit wird eine der Fragen aufgeworfen, die die Menschheit seit jeher beschäftigen: Können wir uns unserer eigenen Existenz sicher sein? Ist unsere Wahrnehmung echt, oder sind wir nur Figuren in einem Videospiel in einer posthumanen Welt?
Der Philosoph René Descartes entwickelt die Methode einer methodischen Skepsis: Um zur Wahrheit zu gelangen, muss man alles für wahr Geglaubte verwerfen, denn alles kann Trug sein. Nach Descartes gibt es jedoch eine Wahrheit, die sich nicht anzweifeln lässt: Unsere Existenz. Selbst, wenn unsere ganze Außenwelt die Täuschung eines bösen Gottes ist, können wir uns unserer Existenz sicher sein, denn: „Cogito ergo sum“ also „Ich denke, also bin ich“. Dies ist die eine Wahrheit, die sich der methodischen Skepsis entzieht, denn der Zweifel an der Existenz ist ein Gedanke des Denkers, ohne den Denker würde es keinen Zweifel geben.2
Descartes Ansatz ist ein in der Philosophie und auch Film weit verbreiteter Ansatz. Eine modernere Fassung davon ist, dass wir bloß Gehirne in einem Tank sind, die künstlich am Leben gehalten werden. Die modernste Fassung ist vermutlich die Film-Trilogie Matrix von den Geschwistern Wachowski. Dies ist jedoch nicht ganz so radikal wie Descartes: Es gibt eine Außenwelt, in der Künstliche Intelligenzen leben und Menschen „züchten“, diese sind an Computer angeschlossen, wo sie in einer virtuellen Welt leben.
Um nicht zu weit vom Thema abzukommen, würde ich es hiermit allerdings bei Descartes belassen, schließlich erkennt man seinen Ansatz von Bewusstsein auch in Mitzi’s Mensch, Mitzi ist sich sicher, dass sie existiert, weil sie denkt. Würde sie nicht existieren, würde sie nicht denken können. Der Blick von außen verrät jedoch: Mitzi ist lediglich eine Klappmaulpuppe, die von ihrem Puppenspieler gesteuert wird, und der ihr die Worte in den Mund legt. Auch schreibt man Mitzi kein Bewusstsein zu. Gleiches kann auch auf uns zutreffen, wenn man von der Theorie ausgeht, dass wir Figuren im Videospiel eines Posthumanen sind. Diese Posthumanen schreiben uns vielleicht auch kein Bewusstsein zu, und doch haben wir – nach Descartes – eines. Leben wir dagegen in einer von KIs gesteuerten Matrix, wird uns vielleicht ein Bewusstsein zugesprochen werden, doch entsteht die Frage, ob wir dann eigentlich frei sind, und einen freien Willen haben.
Auch dies ist eine Frage, mit der man sich bei Mitzi’s Mensch auseinander setzen muss, denn auch hier entsteht ein Zwiespalt zwischen dem, was man als Zuschauer*in sieht, und der Realität in dem Stück: Mitzi ist sich zwar ihres Puppenspielers bewusst, aber sie meint trotzdem frei zu sein, vielleicht steuert sie ja auch ihren Puppenspieler, oder beide einander, gleichzeitig. Als Mitzi aus Versehen ihren Menschen tötet, als sie mit ihm Schrödingers Experiment nachstellt und dieser dann auch noch verschwindet, begibt sie sich auf die Suche nach ihm. Dabei ist Mitzi allein auf der Suche nach ihrem Menschen, sie meint, sie bewegt sich ohne ihn, eigenständig. Jedoch verrät der Blick von außen, den die Zuschauer*innen haben, dass Mitzi von ihrem Menschen gesteuert wird, der sich aber auch vor ihr versteckt. Mit diesem Blick von außen kann man also davon ausgehen, dass Mitzis Handlungsfreiheit eine Illusion ist, sie ist determiniert und alles, was sie macht, ist geskriptet. Das wirft die Frage auf, was mit unserem freien Willen ist, ob er echt oder eine Illusion ist. Man geht mittlerweile davon aus, dass selbst willkürlich scheinende Handlungen vorangegangenen Impulsen folgen. Inwiefern sind wir dann freier als Mitzi? Sind wir überhaupt freier als sie?
Die Theorie des Determinismus besagt, dass auch unsere Handlungen vorherbestimmt sind. Im theologischen Determinismus glaubt man, dass alle unsere Handlungen von einer Gottheit vorherbestimmt sind, somit wären wir nicht freier als Mitzi. Diese Gottheit wäre dann unser*e Puppenspieler*in.
Peter Bieri vertritt in „Das Handwerk der Freiheit“ die Ansicht, dass wir bedingt frei sind. Wir haben die Freiheit das zu tun, was wir wollen, bzw. können wir nichts anderes tun als das, was wir wollen, doch unser Wille ist abhängig von dem, was wir bisher erlebt haben und folgt somit einer kausalen Kette von Ereignissen. Wie wir darüber urteilen, liegt jedoch bei uns, und diese Urteile formen unseren Willen.3
Ausgehend von dieser Position wären wir freier als Mitzi, denn auch, wenn unser Wille von äußeren Umständen gesteuert würde, hätten wir eine Handlungsfreiheit, nach unseren Urteilen. Mitzi hat diese nicht, ihre Bewegungen werden gesteuert.
Wenn man davon ausgeht, dass wir Figuren in einem Videospiel eines Posthumanen sind, schreiben diese Posthumanen uns eventuell auch kein Bewusstsein zu – so wie wir als Zuschauer*innen Mitzi kein Bewusstsein zuschreiben. Wir sagen von uns selbst, dass wir ein Bewusstsein haben; was, wenn Mitzi das auch denkt, obwohl wir sehen, dass sie komplett gesteuert ist?
Während des Schreibens hat sich mir immer wieder die Frage gestellt, warum ich gerade bei Mitzi´s Mensch das Bedürfnis habe, über Determinismus zu schreiben, letztlich ist jede Puppe durch ihre*n Spieler*in determiniert, doch darüber macht man sich in der Regel keine Gedanken. Vielleicht liegt es daran, dass es in Mitzi´s Mensch allgemein um die Frage nach Existenz geht, und diese mit dem Determinismus verbunden ist. Denn wenn wir tatsächlich bloß Figuren in einem Videospiel sind, die einer Programmierung folgen, somit keinen Einfluss auf unser Schicksal haben, welche Bedeutung hat dann noch Descartes nicht-bestreitbare Wahrheit „cogito ergo sum“?
Anmerkung: Auf Gegenpositionen zum Determinismus, wie z.B. Jean Paul Sartre bin ich bewusst nicht eingegangen, da diese nicht auf Mitzi´s Mensch anzuwenden ist.
1 Unbekannte*r Autor*in, Schrödingers Katze – ein Gedankenexperiment, in: https://www.leifiphysik.de/atomphysik/quantenmech-atommodell/versuche/schroedingers-katze-ein-gedankenexperiment, Zugriff am 11.05.2024.
2 Johannes Haag und Markus Wild, „Descartes: Fundierung des Wissens und Therapie der Leidenschaften“, in: Philosophie der Neuzeit, München, 2019 S.13ff.
3 Peter Bieri, Das Handwerk der Freiheit, 2001, S.79ff.
Foto: Florian Feisel