Die aktuelle Kritik

Ambrella Figurentheater im Hamburger Puppentheater: "Zottelhaube"

Von Falk Schreiber

Ein zutiefst menschenfreundlicher Stoff, eine grundsympathische Inszenierung: „Zottelhaube“ vom Ambrella Figurentheater ist in jeder Hinsicht liebreizend, da verzeiht man der Produktion auch kleinere Ungeschicktheiten und größere Grobheiten.

Gott, ist das liebenswert! Die Bauersfrau bekommt Zwillingstöchter: Marie schön, Zottelhaube hässlich. Nachdem die Mutter bei der Geburt gestorben ist, ist der Vater von der Erziehung beider Kinder überfordert, und finanziell ist es auch eng, aber vielleicht kann er eine Tochter dem kinderlosen Königspaar überlassen? Und zwar die Schöne – damit die neuen Eltern ihr Kind von Anfang an lieben? Er liebt die andere ja ohnehin, egal, wie hässlich sie ist.

Das norwegische Märchen „Zottelhaube“ beschreibt eine Welt, in der alle für ihr Gegenüber nur das Beste wollen. Und dabei auch mal übers Ziel hinausschießen: Das Königspaar etwa entpuppt sich als Helikoptereltern, Marie wird verzärtelt, bekommt einen Hauslehrer und soll den Palast am Besten überhaupt nicht verlassen. Und als sie sich doch einmal davonschleicht, begegnet ihr natürlich sofort Zottelhaube, die sie als Seelenverwandte erkennt – und als die Eltern ihr darauf den möglicherweise schlechten Einfluss verbieten, versinkt Marie in einer Depression. Aber auch das lässt sich lösen, indem das Bauernkind im Königsschloss als Küchenhilfe anheuert.

Kurz gesagt, ist „Zottelhaube“ einfach eine zutiefst menschenfreundliche Geschichte. Die vom Ambrella Figurentheater auch ebenso freundlich gespielt wird: als konzentriertes, auf knackige 50 Minuten eingedampftes Marionettenspiel, ohne inszenatorische Mätzchen, aber mit Mut zum Missgeschick. Als Spielerin Heike Klockmeier einmal die Fäden der Marie-Figur durcheinandergeraten, behilft sie sich mit einem „Mooooment, ich habe mich hier gerade verheddert!“, und schon geht es weiter. Menschen machen Fehler, hilft nichts – da kann man sie auch gleich ins Spiel einbauen.

Und dieses Spiel ist bei Klockmeier so grundsympathisch, da stört es gar nicht, dass „Zottelhaube“ das Marionettentheater ästhetisch nicht unbedingt auf ein neues Level hebt. Jürgen Maaßens Puppen sind hübsch, aber nicht unbedingt facettenreich. Dass etwa Zottelhaube wie behauptet so unerträglich hässlich sei, bildet ihre Puppe jedenfalls nicht ab: Die ist eine freundlich-chaotische Mischung aus Roter Zora und Pumuckl. Das Spiel besticht durch Freude an Details wie einem kleinen Vogel der durch die Szene flattert, als Marie aus dem Schloss in eine Heidelandschaft flüchtet. Und die Bühne ist ein einfacher Holzkasten, der mal die Burgmauer darstellt, mal Maries Kinderzimmer und mal den Acker vor der Bauernhütte. Ästhetisch interessant ist der Einsatz von Schlagschatten: Wenn die Scheinwerfer direkt aus dem Publikum auf die Bühne strahlen, doppelt sich das Spiel auf den Vorhang hinter dem eigentlichen Geschehen, dann verlagert sich „Zottelhaube“ plötzlich ins Schattentheater. Ebenso ist das Paarspiel klug gelöst: Durch raffinierte Zugtechniken kann Klockmeier zwei, manchmal sogar drei Figuren parallel miteinander agieren lassen. Dass man sich ein bisschen verknotet, wenn Marie und Zottelhaube sich gleichzeitig auf den Rücken eines Ziegenbocks werfen – ja, sei es drum. Passiert.

Besonders differenziertes Spiel ist dabei natürlich nicht möglich. Die Inszenierung entscheidet sich entsprechend für die einfache Lösung, unterschiedliche Nebenfiguren mit grob gesprochenen Dialekten auszustatten: Die Köchin also sächselt, der Bauersfreund berlinert, der Arzt hat einen osteuropäischen Akzent. Und unterteilt werden die Szenen mit eher pflichtschuldigen als wirklich zwingenden Songs aus der Feder von Regisseur Dietmar Staskowiak. So etwas muss eigentlich nicht sein, darf aber natürlich. Gerade, wenn eine Produktion so grundsympathisch daherkommt, wie „Zottelhaube“. Wenn die Puppen so ausgeklügelt gebaut sind wie hier und ein Stoff sich als so menschenfreundlich und reizend erweist wie diese Märchenbearbeitung.

Im Gegensatz zu vielen anderen Märchen endet „Zottelhaube“ versöhnlich. Die Geschwister leben wiedervereint bei der Königsfamilie, und der leibliche Vater darf zum Puddingessen vorbeikommen. Dass Zottelhaube hässlich sei, ist mittlerweile nicht mehr der Rede wert – die Puppe war, wie gesagt, schon immer durchaus ansehnlich. Und der Vater hatte schon zu Beginn klargestellt, dass es darauf nun wahrlich nicht ankomme.

 

Zottelhaube

Frei nach dem gleichnamigen norwegischen Märchen

Premiere: 27. November 2021

Idee und Spiel: Heike Klockmeier

Figuren und Szenografie: Jürgen Maaßen

Regie und Musik: Dietmar Staskowiak

Fotos: © Ambrella Figurentheater

www.ambrella.de

Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien Hamburg

 

1 Kommentar
Peter Waschinsky
28.12.2021

Zottelhaube

Marionetten statt Tischpuppen? Märchen statt Innovation? Geschichte aus reichem EU-Land statt Afrika?
Und eine Kulturbehörde, die das finanziert?
Dazu ein Rezensent, der hier neben Lob auch Kritik wagt?
Unfassbar.

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