Die aktuelle Kritik

Puppentheater Halle: „Die Verwandlung“

Von Thilo Sauer

Die Adaption des bekanntesten Textes von Franz Kafka am Puppentheater Halle stellt Perspektiven auf den Kopf.

5. März 2025

Als die Spieler:innen des Puppentheaters Halle am Abend nach aufwendigen Vorbereitungen auf die Bühne traten, fanden sie sich im Salon zu ungeheuren Ungetümen verwandelt. Die Puppenkünstlerin Claudia Luise Bose hat die berühmte Novelle „Die Verwandlung“ von Franz Kafka – obwohl dessen großes Jubiläum bereits vorbei ist – auf die Bühne gebracht und dabei die Grenzen des Puppenspiels ausgereizt, um die gemeinte Entfremdung noch zu verstärken.

Mit Holzstreben hat Ausstatterin Katrin Busching einen Raum auf der Bühne definiert. Während die Holzlamellen der Seitenwände parallel verlaufen, werden bei Boden und Decke die Abstände zwischen den Hölzern nach vorne hin weiter, sodass ein Perspektiveneffekt entsteht. Das Licht fällt von verschiedenen Seiten auf die Bühne und erzeugt gelegentlich ein flirrendes Schattenspiel. In der Mitte stehen schlichte quaderförmige Stühle und Tische, die sich ineinander stapeln lassen. Das lässt den ganzen Raum irgendwie skandinavisch modern wirken, aber die Holzstreben könnten auch schwedische Gardinen sein…

Das Publikum begutachtet den Raum noch eingehend, als aus den Lautsprechern die ersten Sätze der berühmten Novelle tönen. Wir werden in die Gedankenwelt von Gregor Samsa hineingezogen und fragen uns, wo er wohl stecken könnte. Mit Gedanken an das Promo-Plakat entsteht im Kopf die Vorstellung einer Art Schabe, die zwischen den Holzlamellen hockt.

Hinter der Rückwand bewegt sich endlich etwas, drei große Schatten. „Gregor?“, ruft die Mutter. Dann öffnet sich die rückwärtige Tür und die Stimmung der Inszenierung wird gesetzt. Denn weder treten Menschen in Verkleidung auf, noch schwarz gewandete Spieler:innen mit Puppen. Franziska Dittrich, Nils Dreschke und Luise Friederike Hennig sind scheinbar selbst zu alien-artigen Puppen geworden. Sie tragen violette Kleidung, die auch ihre Haut sein könnte, vereinzelt ziehen sich gelbliche Kalkablagerungen über die Körper.

"Die Verwandlung": (v.l.n.r.) Sebastian Fortak, Nils Dreschke, Luise Friederike Hennig, Franziska Dittrich © Falk Wenzel

Die ebenfalls violetten Kopfmasken sind unförmig und riesig – immerhin müssen sie die Köpfe der Spieler:innen komplett umschließen. Ihre Stirnpartien sind wulstig, die Münder verzogen in Trauer oder Entsetzen. Sie wirken grotesk, befremdlich. Unterstrichen wird das durch die affektierten Bewegungen: Der Prokurist trommelt bedächtig mit seinen Fingern auf eine Art Box in seinen Händen, die Mutter hebt langsam die Hände in die Höhe oder geht in die Knie, die Schwester steht leicht o-beinig am Bühnenrand und bewegt zwei Stück grauen Styropors wie beim Violinenspiel, in Zeitlupe prügelt der Vater auf den verwandelten Gregor ein. Am deutlichsten wird das Groteske bei den drei Herren, die zwischenzeitlich zur Untermiete einziehen: sie sind eine Maske mit drei Gesichtern, wobei zu jedem Gesicht eine bestimmte Körperpose gehört.

Doch dann ist da noch Gregor. Denn das „Ungeziefer“ bleibt nicht imaginär zwischen den Holzlamellen hocken. Einmal klettert die Schwester hoch und öffnet eine Klappe in der Decke, um etwas zu essen hinzustellen. Dann kommt Gregor über die Außenwände hingeklettert. Sebastian Fortak jedoch trägt keine Maske, sein menschliches, verschmiertes Gesicht scheint regelrecht aus ihm herauszuquellen. Sein Körper ist nur noch wenig violett, aus den gelblichen Ablagerungen bricht etwas Schwarzes hervor. Es scheint fast, als sei seine Metamorphose nur weiter fortgeschritten als die der anderen.

"Die Verwandlung": (v.l.n.r) Luise Friederike Hennig, Sebastian Fortak © Falk Wenzel

So spielt der Abend auch geschickt mit Perspektiven: Im Text wird Gregor in seinem Zimmer eingeschlossen, doch auf der Bühne bleibt seine Familie im Zimmer, während Gregor eher außen herum klettert. Und aus unserer Perspektive, mit sozusagen normalen Gesichtern, wirken alle anderen befremdlich, während Gregors Entfremdung zur Lohnarbeitsgesellschaft ihn scheinbar menschlicher werden lässt. Dadurch werden auch seine sorgenvollen Gedanken über seine Familie nochmal deutlicher: Während seine Familie nur denkt, wie schlimm alles ist, überlegt Gregor, wie es den Dreien besser gehen kann.

Die Inszenierung leidet etwas unter der hohen Popularität seiner Vorlage, denn abseits der faszinierenden Ausstattung überrascht der Fortgang der Geschichte wohl kaum jemanden. Spannend ist allerdings, dass in dieser Inszenierung nicht der Vater allein die treibende Kraft ist, sondern vielmehr die Tochter. Ob damit einfach nur das dominante Narrativ, dass sich Kafkas Texte immer um die schwierige Beziehung zu seinem Vater drehen, umgangen oder etwas über die junge Generation gesagt werden soll, muss wohl jede:r im Publikum für sich entscheiden.


Puppentheater Halle: „Die Verwandlung

nach Franz Kafka, unter Verwendung der Dramatisierung von Philipp Löhle

Spiel Franziska Dittrich, Sebastian Fortak, Nils Dreschke, Luise Friederike Hennig, Nils Thorben Bartling | Puppenbau Simon Buchegger | Regie Claudia Luise Bose | Dramaturgie Christoph Werner | Bühne und Kostüme Katrin Busching | Musik Bernhard Range | Regieassistenz Caroline Hain | Requisite und Inspizienz Verena Brink

Premiere: 28. Februar 2025
Dauer: ca. 75 Minuten

Infos und Spieltermine auf der Website vom Puppentheater Halle