"Kakao mit Zucker" von KMZ Kollektiv: Augen Öffnen und Kritisch Konsumieren
Die Uraufführung von Kakao mit Zucker funktioniert die Turbinenhalle der Jahrhunderthalle zu einem „interaktiven Theaterparcours“ um, wie die Gruppe es selbst auf ihrer Webseite beschreibt. Unter der Anleitung der Darsteller*innen Antonio Cerezo, Yahima Piedra Córdova und Daniela del Pomar erfahren Zuschauer*innen von der Geschichte der „Schokolade“, der neue Name, den europäische Kolonialisten der wertvollen Köstlichkeit „Kakao“ aus Südamerika gaben.
Szenen der Inszenierung wirken mit einer Wucht von aufgeladenen Bildern: Panisch springen Kakaobohnen, mit den Vibrationen eines Trommelfells animiert, werden von gierigen Händen gegrapscht, aus ihrem Umfeld gerissen. Sie stellen die Geschichte der Gewalt der Kolonialmächte dar; Ressourcen werden geraubt, Menschen ausgebeutet. In einer Projektion lecken sich adelige Europäer*innen hungrig die Lippen, lechzen nach mehr, immer mehr Schokolade. Das ernste Thema mag abschreckend wirken, bei einer ab acht Jahren empfohlenen Inszenierung. Doch das KMZ Kollektiv passt genau den Moment ab, an dem die Erzählung von grausamer Geschichte in Horror umschlägt und unterbricht, fragt nach der Gegenwart. Wie ist es denn jetzt? Besser? Bestimmt besser.
Anders ist es, kommt die Antwort. Noch immer nicht gut. Hier kristallisiert sich das Überthema der Arbeit heraus, welches sich durch die gesamte Inszenierung zieht: Kinderarbeit auf Kakaoplantagen. Die autobiografisch gerahmten Geschichten der Darsteller*innen zu Beginn des Stücks ergeben nun Sinn, Erzählungen aus ihrer Kindheit von Arbeit, zum Beispiel Helfen im Haushalt, um ein bisschen Geld zu verdienen, um dieses Geld dann für Schokolade auszugeben. Diese Geschichten werden mit Kinderarbeit auf Kakaoplantagen gegenübergestellt.
Die Trommel kommt wieder ins Spiel, jetzt bestäubt mit einer dicken Schicht Kakaopulver. Ein Strichmännchen wird gezeichnet. Die Trommel vibriert, das Bild verschwindet. Erneut werden die Striche gezogen, immer und immer wieder, hektisch, fast fiebrig wird das Material zu Strichmännchen geformt, ebenso rasant fallen die Bilder wieder in sich zusammen. Beinahe sofort werden aus den Furchen im Kakaopulver Menschenleben, die Hektik des Zeichnens liest sich als Dringlichkeit, der Wunsch, diese Menschen sichtbar zu machen. Die Strichmännchen sind Kinder, Kinder, die nicht spielen können – und von welchen europäische Konsument*innen von Kakaoprodukten nichts mitbekommen.
Auch Schuld an diesen versteckten Ungerechtigkeiten sind undurchsichtige Fairtrade Logos und Initiativen von Schokoladenherstellern auf Verpackungen. „Wir kontrollieren uns selbst!“, tönt es stolz von einer Aufnahme. Konzerne, die ihre ethischen Problemzonen ‚selbst kontrollieren‘ sind wenig wert, wenn nicht genauere Daten und weiteres Engagement öffentlich gemacht werden. Bewussten Konsum schlägt das KMZ Kollektiv vor – nicht als Lösung des Problems, aber als Ansatz, der nicht so schwer umzusetzen ist.
Das Offenlegen der problematischen Geschichte und der anders problematischen Gegenwart der Schokolade gelingt. Trotz des Verzichtens auf Erklärungen von komplexeren historischen und sozioökonomischen Verflechtungen, oder gerade deswegen, kann Kakao mit Zucker anhand des namengebenden Materials bewegen. Ganz sicher bleibt das Publikum auch nach der Aufführung bewegt. Wenn dann beim nächsten Einkauf am Süßigkeitenregal angehalten wird, denken bestimmt viele, Erwachsene wie Kinder, anders über Schokolade nach. Schließlich steckt hinter der süßen Tafel noch viel, viel mehr als bloß „Kakao mit Zucker“.
Foto: Jörg Gröger