Die aktuelle Kritik

Theater Duisburg: "Das Institut der Dinge"

Von Pia Soldan

Mit „Das Institut der Dinge“ hat Regisseurin Sophie Bartels einen gemütlichen Theaterabend geschaffen, der durch die Leistungen des Duisburger Jugendclubs „Spieltrieb“ zu einer Collage aus gelungenen kleinformatigen Kunstwerken wird.

Ein Reh aus Plastik, ein Wackeldackel, zwei graue Kunststoffkisten. Ringsumher reichen Folien von der Decke bis zum Boden der Spielfläche, dahinter befinden sich Scheinwerfer. Das Publikum scheint allein mit dem kalten Dunst, der durch das über die Bühne wabernde Trockeneis verursacht wird. Plötzlich erstrahlt Licht hinter der Folienbühne und durch die Transparenz des Materials werden Menschen sichtbar, grau in grau mit weißem Kittel. Nur in den Details unterscheiden sie sich: Die Sortiererin (Lea Sehlke) hat ihren Kittel als Cocktailkleid gebunden, die Chefin (Smilla Aleweiler) trägt eine glitzernde Brosche auf der Brust und dann ist da noch die Maschinistin (Belana Zumbrägel) – das T-Shirt bis über den Bauchnabel hochgebunden, an den Füßen lilachangierende Boots, ein weißes und ein schwarzes Schnürband.

Zunächst hat die Hygienebeauftragte (Lisanne Steinwartz) ihren Auftritt. Mit einem Staubwedel ausgestattet geht sie von Person zu Person und versieht jede mit einer individuellen Desinfektionsbehandlung. Auch ihre jeweiligen Attribute, wie z. B. der überdimensionierte Bleistift der Protokollantin (Jessica Mettin) oder die Fahrradhupe in Form eines Papageis, den die erste Institutsbegleiterin (Leoni Gaitanis) stets in der Brusttasche ihres Kittels mit sich führt, werden desinfiziert. Dabei ist jede Bewegung anders, ebenso wie jedes Geräusch, mit dem Steinwartz den Vorgang untermalt. Doch der durch Regeln vorgegebene Rahmen bleibt immer gleich. Die Belegschaft dieses Instituts steht in exakter Reihe auf einer eingezeichneten Linie, unterstreicht aber innerhalb der Regelgrenzen durch Gesten oder Blicke die eigene Individualität.

„Lassen Sie uns da beginnen, wo wir gestern aufgehört haben“, fordert die Chefin schließlich ihre Mitarbeiterinnen auf und die Protokollantin verliest: „Dinge ohne Plädoyer – Plastikblumen, MSV-Merch, eine Frauenfigur. Dinge mit Plädoyer – ein Zollstock, eine Madonna, eine Krücke.“

Dinge und deren massenhafte Vernichtung stehen im Zentrum der Science-Fiction-Objekttheater-Dystopie "Das Institut der Dinge" am Schauspiel Duisburg. Foto © Sascha Kreklau

Spätestens hier wird klar, worum es geht: Schickt die Maschinistin nun eine Krücke durch ihren selbst entwickelten Schredder, vernichten Laserstrahlen alle Krücken rund um den gesamten Erdball. Die Hygienebeauftragte wendet sich an die Menschen, die in diesem Moment mit einer Krücke unterwegs sind: „Wenn sich diese gleich in Luft auflösen wird, bitte fallen Sie weich.“ Es geht um die totale Vernichtung, das absolute Aufräumen. Denn „die Schreckensherrschaft der Dinge“ steht „in voller Blüte“ und Aufgabe des "Institutes der Dinge" ist es, der Überfüllung der Welt mit Dingen entgegenzutreten und radikal auszusortieren.

Und so folgen die Institutsmitarbeiterinnen einer ritualisierten Verabschiedung, indem sie mit einer kurzen Geste das zu vernichtende Ding imitieren und dabei eine absurde Komik verursachen, bevor das Ding dem Schredder übergeben wird. Melodramatisch lenkt die Maschinistin ihre Erfindung mit der Zauberkraft ihrer ausgestreckten Hand. Ebenso absurd wirkt der Kinder-Kriechtunnel, wenn die Schauspielerinnen ihn sich schwebend über die Bühne winden lassen, ihm ein grausam gelungenes „Eigenleben“ verleihen und sich so unter seine Herrschaft stellen.

Tatsächlich ist es dieses Verhältnis zwischen dem unbelebten Material und dem Eigenwillen des Menschen, das die Schauspielerinnen in hoher tänzerischer Qualität gekonnt umkehren und was „Das Institut der Dinge“ zum lebendigen Materialtheater macht. Scheinbar profane Objekte werden so zu Macht ausübenden Wesen.

Institutsbegleiterin Le Bleu (Leoni Gaitanis) verabschiedet den Zollstock vor seiner endgültigen Vernichtung. Foto © Sascha Kreklau

Auch eine emotionale Abhängigkeit wird deutlich, wenn jede Institutsmitarbeiterin jeweils einem der Dinge im Rahmen der Abschiedszeremonie die letzte Ehre erweist. Besonders eindrücklich tut dies Leoni Gaitanis in der Verabschiedung des Zollstocks, der zurechtgebogen durch die Hände der Schauspielerin vom Messwerkzeug – „Hat Messen eigentlich was mit Vermissen zu tun?“ – zum Bilderrahmen mit Blick in die Kindheit der Sortiererin und schließlich zum Haus ihrer Eltern wird. Doch die Entscheidung ist bereits gefallen, auch der Gliedermaßstab kommt in den Schredder.

Beim Schreddern achten die Institutsmitarbeiterinnen peinlich genau darauf, dass das Objekt vollständig sauber ist. Anschließend vakuumieren sie es. Man stelle sich vor „ein einziges Haar würde in den Vernichtungsprozess geraten. Dann hätten wir alle keine Haare mehr“.

Eine leise Freude ist der Maschinistin anzumerken, eine leise Freude, die immer wieder mit der strengen Regelhaftigkeit des Instituts bricht und angenehm aufstört. Die eigene Destruktivität spiegelt sich jedoch, wenn die Maschinistin begeistert ausmalt, was denn geschähe, wenn ein Körnchen Beton mit in den Schredder geriete: „Boom, kein Beton mehr, sterbende Menschen, schreiende Kinder!“ Ist das Stück vorrangig ebenso nüchtern gehalten wie das Regelwerk des Instituts, so breitet sich in diesem Moment echte Freude über die Dramatik des Massensterbens aus.

Es ist wohl eine Frage des ästhetischen Verständnisses, wie viel Gefühl so ein Theaterabend braucht, um das Hirn zum Arbeiten zu bringen. Und wer ein wenig emotional veranlagt ist, sich vielleicht an das theatrale Unbehagen des einundzwanzigsten Jahrhunderts gewöhnt hat, wird sich auf der Duisburger Bühne nicht mit einem imposanten Gesamtkunstwerk befriedigt sehen, das Emotion und Verstand fesselt, bis zu dem Moment, in dem das Licht ausgeht. Denn „Das Institut der Dinge“ stört nicht auf, sondern lässt wohlgeordnet einen Schritt nach dem anderen folgen und ist dabei etwas einlullend.

Dieses Konglomerat aus überzeugenden Fragmenten, schauspielerischen, tänzerischen und musikalischen Einzelleistungen unter dem Dach einer hochgradig interessanten Idee, setzt Spieltrieb ebenso grausam wie komisch in die Tat um.

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Regie 
Sophie Bartels

Kostüme | Bühne  
Sebastian Ellrich

Es spielen
Smilla Aleweiler, Leoni Gaitanis, Jessica Mettin, Anna-Maileen Unger, Lea Sehlke, Lisanne Steinwartz, Vriska Sweekhorst, Belana Zumbrägel

Spieltrieb – Jugendclub im Theater Duisburg

Fotos: Sascha Kreklau

weitere Vorstellungen: 13.06.2022 - 19:30 Uhr; 20.06.2022 - 19:30 Uhr, 21.06.2022 - 19:30 Uhr; 22.06.2022 - 19:30 Uhr

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