Die aktuelle Kritik

Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen: „Warten in Godow“

Von Andreas Herrmann

Der Bautzener Puppenchef Stephan Siegfried inszeniert mit Witz und vollem Einsatz.

„Warten in Godow“ heißt es am Bautzener Burgtheater. Und zwar als 3-D-Schauspiel, wesentlich hautnaher als Netflix – gespielt im alten Kasperlepuppenbühnenformat, hier als Fernseher getarnt, wobei im Saal auf den Tischchen je eine uralte Fernbedienung liegt. Der Untertitel lautet „Gedöns vonner Insel - Folge 1“, von und mit Stephan Siegfried, dem frischen Puppenspartenchef aus dem Norden und in Regie von Jungschauspieler Richard Koppermann.

Koppermann, sieben Jahre jünger und aus Stade stammend, hat sich auf der Theaterakademie Vorpommern das Ostseefachwissen erworben – und die Qualifikation für dieses transkulturelle Duett mit Siegfried. Ersterer ist aus dem Schauspielensemble des Deutsch-Sorbischen Volkstheater nicht mehr wegzudenken – und überzeugt auch als Musicalstar, also singend wie tanzend. Gemeinsam liefern sie nun in der offenen Reihe „Spieltrieb“ einen furiosen Puppenstreich als Uraufführung für Erwachsene, der Siegfried als Solo mit eingebauten Filmchen und zwölf Puppen (alle mit eigener Stimmlage und Charakteristik) spielerisch wie bastlerisch wunderbar gelingt, wobei er immer harsch am Rand zum Chaos agiert, ab und an was nicht funktioniert, was durch Improvisation und Szenenapplaus kompensiert wird und so das Zeug zum Kultstück hat.

Die Grundidee ist die des Einwohnerschwundes auf der kleinen, eigentlich zehnköpfigen Ostseeinsel Godow. Gesprochen: Gooodow, also nicht wie der Godooot von Beckett und wie die hier lebenden Sachsen Godow nennen würden, so sie es kennen täten. Diese erwarten mehrheitlich eine syrische Flüchtlingsfamilie, damit Schule, Konsum und Einmannpolizeiwache vielleicht doch bleiben können.

Dabei geht es vor allem um Kommunikation. Aber das eigentlich nur untereinander. Oder zwischen Sachsen und Fischköppen – also um stetes Mißverstehen schon ganz ohne andere Fremde: um Humus, Hummus oder Homos, um „Nu“, „Ne?“ und „Ni“ oder Aische oder Eiche. Denn all das bricht auf, als die fesche Polizeianwärterin Maike Maier, Tochter des Dresdner Polizeichefs, hier zur Bewährung auftaucht, damit die Insulaner und die syrische Familie voreinander beschützt werden – und den Fischer namens Fischer zum Radfahren mit Licht und den Bauernsohn Manni per Manifest zu „Mannis Fest“ drangsaliert.

 

Immigration erbeten

Der Inselreporter Peter Godow hat Probleme mit Tochter Greta (die nur als Protestschild auftaucht), der Fischer ist nur Angler (und umgekehrt), der einzige junge und tatkräftige Mann ist der Pole Oleg als Krankenpfleger. Nur Frührentner Günther, als Ex-Fremdenführer der einzig Belesene am Ort, mosert griesgrämig intolerant herum – und das Warten dauert wie bei Beckett mählich an … Da aber die zweite Folge mit Windstrom & Artensterben schon im Kopf von Siegfried ist, wird das Gedöhns wohl bald zur gefragten Analogflixserie mit Gefahr von Lachkomalatenz auswachsen.

Siegfried kennt vermutlich mindestens eines der drei Godows von Wikipedia persönlich, denn er ward 1988 in Waren (Müritz) geboren und spielte früh und oft bei der bekannten „Müritz-Saga“ mit. Nach dem Puppenspieldiplom mit Siegel von Ernst Busch in Ostberlin kam er 2012 nach Bautzen – als jüngstes Ensemblemitglied der Sparte. Und spielte hier die Titelrolle in „Faust“ und den Wolf des Rotkäppchens, ehe ihn die Neugründung einer Puppentheatersparte für vier Jahre ans Theater Koblenz sog.

Dann kam er zurück, seit November 2018 leitet er das Bautzener Puppentheater. Beim jüngsten Sonnenallee-Sommertheater auf dem Hof der Ortenburg, wo eine seltene Mischung aus Burgtheater, Sorbenmuseum und sächsischem Landgericht thront, spielten Koppermann und Siegfried schon gemeinsam und rasten auf den Suhler Simson-Kultmopeds vom Typ S 50 heran: Insgesamt 35 Vorstellungen mit je tausend Leuten in sechs Wochen, das hätte in Summe ein gutes Stadion gefüllt.

Im Repertoire taucht der Name Siegfried derzeit in zwölf Stücken mit Rollen auf, dazu kommen sechs mal Regie und je zweimal Verantwortung für Bühne und Puppen. Darunter auch: „50 Shades of Red - Rotkäppchen P18“ – eine Art Theatersport für Märchenfiguren als großer Spaß mit gleichem Kultpotenzial.

 

Regie: Richard Koppermann

Bühne: Jörg Jansing

Puppen, Text & Spiel: Stephan Siegfried

Netzinfos: www.theater-bautzen.de
Foto: Miroslaw Nowotny

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