Neue Diskurse

Internationaler Besuch aus Brasilien in Bochum

06. März 2019

Researcherin Adriana Schneider Alcure im Gespräch mit Mareike Gaubitz, Leiterin des Dokumentationszentrums des dfp, am 07.02.2019

Adriana Schneider Alcure ist Professorin und freie Regisseurin in Rio de Janeiro. Für ihr Post-Doc Forschungsprojekt "Artistic, Political and Pedagogical Strategies in the Uses of Popular Forms of Puppet Theatre: On the Kaspertheater" ist sie dank eines Stipendiums der Humboldt Stiftung derzeit am Institut für Archäologie und Kulturanthropologie in Bonn. Als Researcherin in Residence war sie vom 03.-10. Februar 2019 zu Besuch in Bochum am Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst und hat sich mit Mareike Gaubitz über ihre Forschung, ihre praktischen Arbeiten und das Puppentheater in Brasilien unterhalten. Einige ihrer Texte sind auf dem Portal oder in der Bibliothek nachzulesen.

Mareike Gaubitz: Adriana, kannst Du mir ein paar Worte über Deine Theater-Biographie erzählen?

Adriana Schneider: Mit dem Theater habe ich angefangen als ich 10 Jahre alt war und meine Ausbildung war sehr verschiedenen Interessen gewidmet. Zum Beispiel habe ich meinen Bachelor in Kommunikation, meine Magisterarbeit übers Theater und meine Doktorarbeit in Anthropologie gemacht. Das sind sehr unterschiedliche Fächer, die aber alle einen starken Bezug zueinander haben. Seit ich 10 Jahre alt war mache ich ohne Halt Theater, bin Schauspielerin, Regisseurin und Dramaturgin. Ich glaube, der Kern meiner Arbeit ist die Erschaffung eines kollektiven Prozesses, ich arbeite immer in einer Gruppe oder einem Kollektiv. Mittlerweile habe ich zwei Gruppen, Coletivo Bonobando und Grupo Pedras. Die Schauspieler*innen des Coletivo Bonobando sind schwarze Bewohner*innen der Favelas, den Armenvierteln Rio de Janeiros. Brasilien war ein Kolonialland! Die Kolonisation war super hart, voller Gewalt, der Prozess war nicht einfach. Diese Kolonial-Gedanken und alles was damit zusammenhängt sind sehr wichtig für meine Arbeit. Deswegen erforsche ich seit vielen Jahren die Beziehung von Kunst und Politik zwischen Theorie und Praxis. Seit 2009 bin ich Professorin an der nationalen Universität von Rio de Janeiro. Dort haben wir ein neues Post-Graduation-Programm nach dem Magister oder Doktor der allgemeinen szenischen Künste. Regisseurin bin ich, seit ich 20 Jahre alt bin und das Inszenieren gefällt mir sehr. Für meine Arbeit ist es außerdem wirklich wichtig zu reisen, verschiedene Kulturen zu entdecken. Deswegen habe ich Anthropologie studiert. Es hilft, Theater nicht nur in der kanonischen, westlichen Szene zu verstehen, sondern auch andere Möglichkeiten kennen zu lernen, Theater zu machen. Die populären und traditionellen Formen des Ausdrucks sind sehr, sehr wichtig für mich.

M: Bei all den verschiedenen Bereichen, in denen sich Deine Arbeit bewegt, von der Anthropologie bis zur Politikwissenschaft, wann und wie bist Du zum Puppentheater gekommen?

A: In meiner Kindheit! Mit dem Puppenspiel hat man immer eine Beziehung oder einen ersten Kontakt in der Kindheit. Das ist interessant. Bei mir war es mit elf Jahren… Ich erinnere mich nicht sehr präzise, aber es gab einen Workshop, da habe ich eine Puppe gebaut und dann kam das Wow! Ich habe viel als Amateurin mit Puppen gearbeitet. Nach meinem Bachelor wollte ich einen Magister machen, ich habe ein Thema gesucht und bin über Mamulengo gestolpert. Mamulengo ist ein traditionelles Puppentheater in Brasilien, wie der Kasper, und sehr alt, ich glaube, es ist ungefähr am Anfang unserer Kolonialzeit entstanden. Die Portugiesen haben Puppentheater bei der Katechese1 benutzt. Es war super, Mamulengo hat in dieser Zeit angefangen. Ich habe ein Buch von Hermilo Borba Filho gefunden und dachte: Wow, was ist das? Um es mir anzusehen bin ich nach Pernambuco gefahren, einem Bundesland nordöstlich von Brasília in Brasilien, wo es noch viele Zuckerrohrplantagen gibt. Dort konnte ich viele Mamulengueiros, also Puppenspieler, treffen. Mamulengo hat eine sehr starke Beziehung zum Zuckerrohr: Exportgut und Kulturgut stammen beide aus den Anfängen unserer Kolonialzeit und die Arbeiter der Zuckerrohrplantage spielen es. Es ist ein sehr armer Ort. Die Reise war unglaublich und so sind meine Magister- und meine Doktorarbeit entstanden. An der Uni in Brasilien spricht man kein Wort über die Geschichte von Mamulengo und anderen traditionellen Theaterformen. Sie werden als folkloristisch und daher als nicht wichtig für Theatertheorie verstanden. Wenn wir Theatergeschichte an der Uni studieren, lernen wir alles über europäisches Theater, aber nichts über die Darstellungsformen Brasiliens, dafür interessiert man sich nicht.

M: Also beschäftigt Ihr Euch viel mit den Traditionen der ehemaligen Kolonialherrscher, aber nicht mit Eurer eigenen…

A: Ja! Lehre und Epistemologie sind in Brasilien sehr kolonial. Wir sind in einem „dritte Welt“ Land und darum bedeutet für uns stark zu sein die ganze Welt zu verstehen. Aber die ganze Welt meint Europa, das ist ein bisschen verrückt. In Brasilien haben wir diese Leere: leere Gedanken was unsere Geschichte und Traditionen betrifft. Darum habe ich die Inszenierungen („Jongo Mamulengo“, „Cidade Correria“ und „O reino do mar sem fim“) gemacht: Wie kann man seine Geschichte schreiben? Wie sind die Strategien, wie sind die Theorien aufgebaut? Nicht nur meine praktischen Arbeiten, auch wissenschaftlich beschäftige ich mir sehr intensiv mit diesem Spannungsverhältnis in der Geschichtsschreibung.

M: Würdest Du sagen, dass diesem Verhältnis heutzutage mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, dass die brasilianischen Darstellungsformen inzwischen stärker thematisiert werden?

A: Das passiert noch viel zu wenig! Aber ich glaube, dass die Entwicklung von performativen Theorien gut ist, weil man dadurch andere Erfahrungen auf der Bühne haben kann, bei denen neben Theater auch Ritual und populäres Theater wichtig sind. Theaterformen, die keinen Text haben, sind im universitären Zusammenhang fast nie Theater, das ist verrückt. Commedia dell’Arte hat keinen Text, Kaspertheater auch nicht und es ist sehr stark mit Improvisationen verbunden. Ich glaube, wir müssen uns öffnen! Wenn wir das machen, können wir Theater und Kunst mit einem riesigen Verständnis betrachten. Ich glaube, deswegen suche ich Kontakt zum Puppentheater, zu Mamulengo und jetzt hier in Deutschland zum Kaspertheater. Durch das Kaspertheater kann ich den Diskurs zwischen Kunst und Politik gut führen. Dieses Thema ist wichtig, nicht nur um über Puppentheater zu sprechen, sondern auch über andere Erfahrungen des Lebens.

M: Ich verstehe Dich auch so, dass sich durch das Theater die Politik – und auch Geschichte, Politikgeschichte ausdrückt. Es ist sehr spannend, dass gerade in Deiner Arbeit über Mamulengo Fragen mitschwingen wie: Was ist unsere eigene Tradition, was ist kolonialisierte Tradition, was kommt von „da“, was ist das „Eigene“? Wie gestaltet sich die Gesellschaft in dieser Zeit, wie gestalten sich die Auswirkungen dieser Politik, die unter anderem durch das Theater an uns tradiert werden? Das finden wir ganz stark im Kaspertheater, die Entwicklung des Kaspers kann interpretiert werden als eine Entwicklung der Gesellschaft, in der er sich ja befindet.

A: Absolut! Aber ich glaube, wenn wir über diese These nachdenken, müssen wir viele Begriffe aufmerksam hinterfragen. Zum Beispiel Nation, Nationalismus: Wir wissen, dass es sehr gefährliche Begriffe sind. Die Analyse wird mit dem Blick auf den Gesamtkontext tiefer, als wenn wir zum Beispiel nur über Stadttheater sprechen. Wir können eine Gemeinschaft besser verstehen, wenn wir Kunst untersuchen.

M: Das ist eine wirklich interessante These, die Du in Deine Forschung einbringst. Ich würde gerne nochmal zur Puppe zurückkommen: Du schreibst in Deinem Artikel „Dialogues between tradition and contemporaneity in the Jongo Mamulengo creation process“, dass es eine ganz einfache Definition des Puppentheaters gibt. Wie würdest Du sie beschreiben?

A: Du meinst Puppentheater generell?

M: Genau. Ich fand es besonders spannend, dass Du in Deinen Texten von einem Spielbegriff ausgehst, den Du nicht vom Spiel auf der Bühne, also dem Theater als Event heraus entwickelst, sondern vom Akt des Spielens selbst, als kindlicher Akt. Was bedeutet das Spiel mit Puppen für Dich?

A: Puppenspiel ist eine Basiserfahrung für Menschen, sie haben eine starke Beziehung mit unserer Geschichte. Einem Objekt Ausdruck zu verleihen ist einfach und auch sehr komplex. Der Zauber der Puppe liegt in ihrer direkten und symbolischen Kommunikation mit unserer Selbsterfahrung der Kindheit, aus welcher sich die Basis der Kommunikation im Erwachsensein entwickelt. Meiner Meinung nach ist dieser Zauber im populären, volkstümlichen Puppentheater am deutlichsten: Im traditionellen Puppentheater wird das Wissen zu spielen mündlich tradiert. Man muss beobachten um zu lernen, man kann nicht ganz frei mit dem Material sein. Man muss die Kommunikation zwischen Puppe und Zuschauer*in verstehen. Zum Beispiel Kasper, er ist ungefähr 300 Jahre alt, war immer Kasper – aber auch nie gleich. Um selbst Kasper zu spielen ist es wichtig, sich mit seinen Vorgängern zu beschäftigen, damit man seine eigene Lesart finden kann. Diesen Prozess haben wir auch für Jongo Mamulengo durchlaufen: Wir sind keine Mamulengueros, leben in der Großstadt Rio de Janeiro und arbeiten nicht auf den Zuckerrohrplantagen. Wie können wir diese Tradition in unser Theater einbringen, ohne die politische Ethik aus den Augen zu verlieren, ohne das Verbrechen zu vergessen, aus dem diese Spielform heraus entstanden ist? Um das zu reflektieren, kam noch eine zweite Tradition dazu: Jongo. Das ist ein Tanz, der in der Kolonialzeit von der versklavten Bevölkerung entwickelt wurde. Nach dem Ende der Sklaverei kamen die Leute in die Städte und Jongo hat sich in den Favelas weiterentwickelt. So entstand der Samba, der ebenfalls eine große Tradition in Rio hat und sehr wichtig für die brasilianische Identität ist. Zusammen bildeten Mamulengo, Jongo und Samba die Grundlage dieser Inszenierung.

M: Sozusagen als eine Art Konglomerat des Protests gegen das Erbe der Kolonialherrschaft?

A: Ja, ein bisschen. Aber für Kinder und Familien ist das auch interessant. Man denkt, Theater für Kinder muss pädagogisch und didaktisch korrekt sein. Kasper musste im Deutschland der 1930er und 40er Jahre den Kindern zum Beispiel beibringen, die Straße zu überqueren. Aber das ist doch nicht der Punkt beim Theatermachen für Kinder. Für mich ist es wie ein Theater für Erwachsene, nur mit mehr Fantasie, viel sensibler und körperlicher. Es war super interessant, das alles für die ganze Familie zusammenzubringen. Trotzdem haben wir nichts einfach kopiert. Dafür haben wir die Strukturen von Mamulengo beobachtet, haben daraus unsere Ideen geschöpft. Zum Beispiel waren die Puppen alle schwarz, was sehr selten ist in Brasilien. Mit einer schwarzen Bevölkerung von 55% ist Brasilien eigentlich ein schwarzes Land. Man hat das gar nicht im Kopf, was verrückt ist!

M: Auch ein Erbe der Kolonialzeit.

A: Total!  Darauf macht die Arbeit meiner Kollektive aufmerksam: Die Sklaverei ist noch dort, in den armen Regionen, den Favelas. Und darum, denke ich, muss unser Theater diese Machtstrukturen kaputt machen, um etwas zu verändern.

M: Vielleicht auch als Weg, die eigenen Wurzeln wiederzufinden und mit dem Zeitgenössischen zu verbinden? Das ist ein spannender Gedanke, der gerade auch sehr viele Diskurse in Deutschland umtreibt. Wie gehen wir um mit dem kolonialen Erbe? Wie können wir unsere eigene Geschichte dadurch reflektieren? Mamulengo ist mir ja schon ein Begriff geworden, dank Deiner Arbeiten, die auf dem FIDENA Portal zu lesen sind. Welche Puppenspieltraditionen gibt es noch in Brasilien?

A: Es gibt verschiedene Formen in unterschiedlichen Bundesländern Brasiliens: Mamulengo in Pernambuco, Babao in Paraíba, João Redondo aus Rio Grande do Norte, Cassimiro Coco aus Ceará. 2015 wurden die Puppenspieltraditionen Brasiliens zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt. Die offizielle Anerkennung ist sehr wichtig, die Puppenspieler sind meist sehr arm und können selten lesen und schreiben. Meine Forschung war ein Teil des erfolgreichen Antrags. In Brasilien sind neben dem Puppentheater einige Maskentanztraditionen erhalten. Zum Beispiel, die sehr bekannte Figur Boi, was übersetzt „Ochse“ heißt, die im Tanz zu den Rhythmen der Bumba-Meu-Boi eingesetzt wird. Brasilien feiert viele religiöse Feste. Es ist sehr katholisch, aber auch von den Kulturen Afrikas und den amerikanischen Ureinwohnern geprägt, was das Land sehr multikulturell macht, viele Maskentänze, Tänze und Musiken mit sich bringt. Karneval ist natürlich in ganz Brasilien sehr wichtig, aber es ist nicht die einzige Zeit im Jahr, wo verschiedene populäre Tänze und Musiken gelebt werden. Es ist wirklich eine große Überraschung, dass man das nicht an der Uni studieren kann. Brasilien ist wirklich ein verrücktes Land!

M: Und auch sehr reich an eigener Kultur! Die bei uns in Europa, in Deutschland leider viel zu wenig bekannt ist. Mich interessiert noch, warum Du Dich als brasilianische Forscherin dazu entschlossen hast, den Kasper zu erforschen? Wo siehst Du eine Verbindung von brasilianischen Traditionen zum deutschen Kasper?

A: Ich denke bereits seit meinem ersten Aufenthalt 2005 in Deutschland über das Kaspertheater nach. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sich damit zu beschäftigen. Warum? Brasilien hat seit Jahresanfang eine neue Regierung mit einem faschistischen Zentrum. Meine Arbeit dreht sich seit vielen Jahren um Politik und Theater und ich habe mich schon oft mit dem Faschismus auseinandergesetzt. Mit der Wahl letztes Jahr wurde mein Bedürfnis größer dieses Thema tiefergehend zu erforschen. Dafür bleiben mir in Brasilien, offensichtlich, wenig Möglichkeiten. Deshalb und auf Grund der deutschen Geschichte bin ich zum Forschen und Recherchieren hierhergekommen. Der Kasper steht für mich ganz deutlich zwischen Theater und Politik, vor allem im Deutschland des 2. Weltkriegs war er in faschistische Strategien eingebettet. Anhand des Kaspers kann ich die Handlungen, die Strategien und die Propaganda der Faschisten untersuchen. Mir werden zunehmend die Zusammenhänge deutlich, die sich auch in der Regierung Brasiliens abzeichnen. Der Kasper ist für mich als Forschungsgegenstand wunderbar, ich bleibe bei meiner Spezialisierung im Bereich des Puppentheaters und er ist ebenso wie Mamulengo politisch aufgeladen. Meine Arbeit hier ist dem Aufspüren von Spezialisten gewidmet, da ich selbst keine bin. Ich erforsche die Fragen nach der Selbstvorstellung, den Texten, der Rolle und der Institutionalisierung des Kaspers, z.B. im Reichsinstitut für Puppenspiel. Was machte die Strategie „Kraft durch Freude“ aus? Und warum war Puppentheater in diesem Projekt so wichtig? Diese Fragen nach der Geschichte des Faschismus in Deutschland in Verbindung mit der Entwicklung in Brasilien können uns als Künstler*innen sehr viel beibringen. Faschismus und Puppenspiel war nicht nur in Deutschland miteinander verknüpft, auch in Spanien, Portugal, Russland oder in England mit Punch und Judy findet man politische Strategien wieder, wie etwa die Entwicklung der Nation, des nationalen Denkens. Mamulengo ist im Vergleich dazu noch nicht in solche Strategien eingebunden, es ist nach wie vor populär, die Machenden sind arm, nicht intellektuell.

M: Welche Unterschiede konntest Du bisher noch feststellen?

A: Ich glaube, dass es einen gesellschaftlichen Unterschied gibt: Brasilien ist ein armes Land, Deutschland nicht, lange nicht mehr. Kunst und Kultur spielen hier eine wichtigere Rolle als in Brasilien. Mamulengo ist wirklich eine Kunst der armen Leute, ohne Erziehung, es ist etwas Anderes. Wenn wir über die Popularität des Kaspers sprechen, ergibt sich da ein Unterschied.

M: Ich glaube, das ist vergleichbar mit dem „alten Kasper“, mit ihm und seinen Verwandten von vor 1930. Das war ein populärer Kasper, ein Kasper der Volksbühnen, der Jahrmarkts- und Wandertheater, ein politisch ungehorsamer, rebellischer Kasper. Und dann, im Nationalsozialismus, wurde er domestiziert, als brave Version seiner unflätigen Vorfahren eingefleischt in das totalitäre System.

A: Du hast Recht! Und der Punkt ist, Mamulengo ist noch der „alte“ Kasper. Mamulengo und die traditionellen Kunstformen Brasiliens waren noch nie domestiziert.

M: Sie leben frei in Brasilien?

A: Das ist genau der Kern, an dem meine Arbeit ansetzt. Das Bewusstsein für die Traditionen ist kein Teil der Psychologie des brasilianischen Volkes. Deswegen bin ich so verliebt in den Kasper: er ist politisch bewegt und zugleich für Kinder. Warum spielt Kunst eine so wichtige Rolle in pädagogischen Systemen? Darüber möchte ich auch nachdenken.

M: Was wünschst Du Dir für die Zukunft des Puppentheaters in Brasilien und für die Zukunft Deiner Forschung weiter?

A: Ich glaube, das Thema Kunst und Faschismus ist ein langer Weg. Die Verknüpfungen von traditionellem und populärem Theater mit politischen Strömungen, also die Schnittstelle von Theater- und Politikwissenschaft wird mich weiter begleiten. Jedoch interessiert mich nicht nur das Puppenspiel, sondern auch die Maske. Mit meinem Kollektiv „Bonobando“ trainiere ich oft mit balinesischen Masken. Ein anderer wichtiger Punkt für meine jetzige Forschung ist die Komödie. Kaspertheater und auch Mamulengo sind lustige Theaterformen. Ich glaube, dass das Lachen auch eine Art von Widerstand sein kann. Kasper hat, wie Du vorhin auch gesagt hast, als er domestiziert wurde, seinen anarchischen Sinn verloren: durch das Auferlegen der Naziideologie hat er seine lustige Rolle eingebüßt. Lachen ist für uns als Theaterschaffende und -machende sehr wichtig. In Zukunft wird meine Forschung da weiter in die Tiefe gehen und weiter die Schnittstellen von Politik, Theater und dem Lachen, der Komödie untersuchen.

M: Wir sind gespannt! Herzlichen Dank Adriana für das inspirierende Gespräch und viel Erfolg weiterhin!

 

1 Die Katechese ist die Vermittlung christlicher Botschaften an Ungetaufte. Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Katechese [Letzter Zugriff: 28.02.2019].

 

Fotos: Victoria Wehrmann

 

Weiterführend zum Nachlesen: Zwei Publikationen von Adriana Schneider Alcure: