Cie. Freaks und Fremde, Societaetstheater Dresden: "Eisler – Lost in Hollywood"
20. November 2024
Wie tickende Zeitbomben schlagen die Metronome durcheinander. Der Notenständer auf dem Podest wird mit einem Seil aus dem Bühnenhimmel einmal über die Fläche gezogen. Bis das Podest dann endet und der Notenständer mit einem unangenehmen Geräusch abklappt, nur um dann im letzten Moment doch noch von dem Seil hochgezogen zu werden. Noten fallen zu Boden. Ein starkes Bild für den einsetzenden Nationalsozialismus, der für viele Künstler*innen in Deutschland das Aus bedeutete – und die sich dann, wie das Seil den Notenständer, gerade noch ins Exil retten konnten. Einer von diesen Künstler*innen ist Hanns Eisler, dessen turbulenter Biografie sich das Dresdner Kollektiv Cie. Freaks und Fremde gemeinsam mit Anmut, Mühe, Leidenschaft und Verstand in ihrem neuen Abend am Societaetstheater widmet.
Viele dürften Eisler am ehesten durch seine Vertonung der DDR-Nationalhymne kennen. Aber Eisler ist viel mehr als das. Während er in der DDR zunehmend formalistischen Zwängen unterlag, arbeitete er vorher durchweg mit dem Anspruch der Avantgarde. Immer wieder stellte er den klassischen Musikbetrieb in Frage, sang gegen soziale Ungerechtigkeit an und setzte sich für die Belange der Arbeiterklasse ein. Seinen künstlerischen Sparringspartner fand er in Bertolt Brecht. Was die beiden eint, ist die stete Verknüpfung von Kunst und Politik. Was sie vor allem eint, ist das Rauchen. Und so treten die beiden Tischpuppen auch zunächst auf: als ein verquasseltes Freundespaar, das erst einmal die ganze Bühne einnebelt, bevor die beiden Köpfe zum Vorschein kommen. Eisler als kleiner Mann mit runder Brille und kahlem Kopf und Brecht als der klassische Künstlertyp mit Schiebermütze.
"Eisler - Lost in Hollywood": Heiki Ikkola, Sabine Köhler © André Wirsig
In ihren Gesprächen, von denen es an diesem Abend viele gibt, erkunden sie die politischen Gegebenheiten um sich herum: die Trümmer des Ersten Weltkrieges, die Wirren der Weimarer Republik und schließlich die ideologisch vergiftete Politik der Nazis. Sie flüchten sich in die Kunst: Brecht schreibt, Eisler komponiert. Die Performer*innen Sabine Köhler und Heiki Ikkola hauchen ihnen den Ton von gewitzten, subversiven Genies ein. Dynamisch wuseln sie über die nur mit ein paar Podesten gefüllte Bühne. Auf drei Bildschirmen flackern immer wieder verschiedenste Projektionen auf: historische Quellen von Aufmärschen, der Zeitungsproduktion oder Konzertmitschnitten, aber auch vorproduziertes Videomaterial mit den Puppen.
Als sich der Nationalsozialismus Bahn bricht, ertönt laut der „Kälbermarsch“. Brecht und Eisler aber marschieren nicht, sie fliehen aus Deutschland. Ihre Suche nach einem Ort zum Leben und Arbeiten gerät zu einer Odyssee, die sie schließlich nach Amerika führt. Ab diesem Moment bricht der Abend mit seinem sonst so lakonischen Ton. Amerika, das Land des Überflusses, kommt auch genauso daher: als eine kapitalistische Maschine, die die beiden Künstler zu verschlingen droht. Der Nebel dräut, die Videos werden schneller, die Songs melancholischer. Eisler kann mit dem Land nichts anfangen, auch wenn er sich allmählich einen Namen macht. Etwas bemüht schieben die Performer*innen große Buchstaben in verschiedenen Kombinationen zusammen, die dem Hollywood-Sign nachempfunden sind. Aus „Wall“ wird „Mall“, später dann „War“. Im Kalten Krieg wird Eisler dann schließlich der „unamerikanischen Umtriebe“ bezichtigt, weil er Karl Marx gelesen hat. Im Zigarettendunst spielen die Performer*innen diesen Prozess nach, was ein bisschen zu lang gerät, aber damit auch ein Gefühl gibt, wie es sich für Eisler angefühlt haben muss. Seine Erlebnisse in den USA verarbeitet Hanns Eisler natürlich musikalisch und schreibt Werke mit „finsterem Schmalz“: die „Hollywood-Elegien“, die den Abend strukturieren.
"Eisler - Lost in Hollywood": Sabine Köhler © André Wirsig
Es liegt nahe, Eislers Biografie auch über seine Songs zu erzählen: vieles aus seiner individuellen Situation findet sich in seinen Werken wieder, manchmal glasklar, mitunter verfremdet (Brecht lässt grüßen) oder auf eine universellere Ebene gehoben. Und so singen Köhler und Ikkola an dem Abend bestimmt gut 15 Eisler-Songs. Eisler zu singen gilt nicht umsonst als eine Kunst – die beiden können das. Oft singen sie einfach drauflos. Meist funktionieren die Songs auch als inhaltliche Überleitung zwischen den vielen Stationen in Eislers Leben. Die Puppen schwingen dann auch mal das Tanzbein, wenn Köhler und Ikkola die Songs performen. Während Eisler seine Elegien meist nur für Klavier und Gesang schrieb, arrangierte der Musiker Frieder Zimmermann sie für die Inszenierung neu, hat sie hier und da aufgepeppt und beschleunigt. Vor allem aber sind mehr Instrumente zu hören, die nur leider nicht auf der Bühne stehen. Es ist schon ein bisschen schade, dass die Performer*innen durchgängig auf Instrumentalversionen der Tracks singen. Mitunter schaut sich der Abend damit ein bisschen wie eine Eisler-Revue. Das macht Spaß, keine Frage, könnte aber ein bisschen mehr szenisches Futter vertragen. Was das Ganze abrundet, sind die Soundflächen, die unter dem Bühnengeschehen wabern. Richtig still ist es nie. Meeresrauschen, Straßenlärm, ein Orchester beim Einstimmen – all das sorgt hier für atmosphärische Dichte.
Immer dann, wenn sich die komplexen Lieder, Texte und Videos überlagern, entstehen besondere Welten, die Eislers Lost-Sein in der Welt verdeutlichen. Cie. Freaks und Fremde haben einen temporeichen, unterhaltsamen Abend gebaut, der die Ambivalenz von Eislers Figur erzählt. Und damit ein inspirierendes, szenisches Denkmal setzt für einen wichtigen Zeitgenossen des vergangenen Jahrhunderts, der immer wieder gegen den Faschismus angesungen hat.
Cie. Freaks und Fremde, Societaetstheater Dresden: „Eisler – Lost in Hollywood“
feat. Anmut, Mühe, Leidenschaft, Verstand
Künstlerische Leitung, Szenografie, Performance Sabine Köhler, Heiki Ikkola | Musikalische Leitung, Live-Musik Frieder Zimmermann | Special Guest Tobias Herzz Hallbauer | Videoschnitt, Projektionen Beate Oxenfart | Technische Leitung, Lichtdesign Josia Werth | Mitarbeit Regie, Dramaturgie Jörg Lehmann | Kamera, Vorproduktion Eckart Reichl | Gastmusikerinnen Studioproduktion Anna Katharina Schumann, Anna Zepnick | Sprecher Studioproduktion Boris Schwiebert | Mitarbeit Bühnenbild Anett Bauer
Premiere: 9. November 2024
Dauer: ca. 90 Minuten
Infos und Spieltermine auf der Website des Societaetstheaters und der Website der Cie. Freaks und Fremde