Schaubude Berlin: "Theater der Dinge"
18. November 2024
"In der Welt der Geister ist alles miteinander verbunden."
Mit diesem Zitat des katalanischen Dichters Jacint Verdaguer bewirbt die Berliner Schaubude ihr internationales Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters "Theater der Dinge" und stimmt damit direkt auf das diesjährige Motto ein: Geister, Gespenster, Heimsuchungen. Wenn man durch das neblige November-Berlin von Spielstätte zu Spielstätte fährt, merkt man, wie passend das Thema nicht nur zur Jahreszeit gewählt ist.
Das Zitat ist nicht Verdaguers einziger Beitrag zum Festival: Die Installation "Dimonis" von cabosanroque (s. Titelfoto), die das Festival als deutsche Erstaufführung im Theater Strahl am Ostkreuz zeigt, basiert in großen Teilen auf Tagebucheinträgen des Dichters. Verdaguer, als Priester in Barcelona tätig, wird Zeuge einiger Exorzismen. Seine Notizen thematisieren explizit Gedanken über Besitz und Entfremdung, sozialen Konstrukten und den Umgang mit marginalisierten Körpern. Die Installation ist eine 45-minütige geisterhaft-sinnliche Erfahrung, die auch auf den eigenen Körper eindringlich wirkt. In einem klinisch-weißen Raum wird intelligent und kompakt das Thema präsentiert: Enteignete Körper, Exorzismus, Fragmentierung. Von ihren Körpern losgelöste Stimmen erzählen von Verdaguer, der Sänger Niño de Elche, sein Gesicht fragmentiert auf sechs Fernsehern dargestellt, lamentiert im Hintergrund, die Tänzerin Rocía Molina erscheint auf einer Glasscheibe in der Mitte des Raumes und wirft den Schatten ihres sich verzerrenden Körpers über den gesamten Raum. Die automatisierten Ausstellungsstücke sind durchdacht und folgen wie von Geisterhand einer schlüssigen Dramaturgie. So werden zum Beispiel periodisch Ketten gerasselt, Wassertropfen durch Murmelbahnen geleitet und Fernseher an- und ausgeschaltet. Der Raum verwandelt sich vom medizinisch-kalten Exorzismus in eine strahlende, von Chorälen begleitete Kathedrale, und dann schnell wieder zurück. Ein ästhetisch kluges Erlebnis, das weiß, wie man eine Atmosphäre manipuliert.
"Die Filifjonka, die an Katastrophen glaubte" © Gergana Damyanova
Für eine jüngere Zielgruppe, aber mit ähnlicher Fürsorge und Intelligenz arbeitet das Puppentheater Burgas aus Bulgarien. Ihr Physical Theatre Stück mit Masken "Die Filifjonka, die an Katastrophen glaubte" (ebenfalls als DSE im GRIPS Podewil) basiert auf einer Mumin-Geschichte der Autorin Tove Jansson, und soll von Janssons eigener Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin inspiriert sein. Die Filifjonka, die Pappmaché-Maske und ein schrulliges Kleid trägt, lebt einsam und zurückgezogen in einem Haus am Meer, dirigiert mit viel musikalischem Feingefühl die Wellen und hat vor allem eins: Angst. Immer wieder imaginiert sie Wirbelstürme und Taifune, die in Form von optischen Illusionen und Spiralen auf die Bühne projiziert werden. Doch immer bleibt es bei der Angst: die Stürme bleiben aus. Ihr einziger menschlicher Kontakt ist die Nachbarin Gafsa, die ab und zu zum Tee vorbeischaut. Der Gafsa versucht sich die Filifjonka zu erklären, doch ihre inneren Stürme machen ihr die Kommunikation unmöglich. Erst als wirklich ein Sturm ausbricht, bricht der Damm zwischen den beiden Frauen. Ihnen wird klar: sie beide brauchen einander. Eine Rampe, augenscheinlich das einzige Bühnenbild-Element, entpuppt sich im Laufe des Stücks als äußerst wandelbar, ein richtiger Tausendsassa. Wie ein Rubix-Cube baut sich die Rampe zum Haus um und entfaltet so seine Persönlichkeit. Nachdem Filifjonkas lang prophezeiter Sturm vorübergezogen ist, liegt das Haus in Trümmern da, die anfängliche Ordnung ist zerstört, Filifjonkas Inneres ist nach außen gekehrt. Ein berührendes Stück über Ängste, Einsamkeit, und die Freundschaft, die alles aushaltbar macht.
"dressingroom" © Melanie Bonajo
Währenddessen verwandelt sich die Schaubude in ein Geisterhaus. Die gleichnamige Performance-Ausstellung ist als ein Parkour durch das gesamte Gebäude und sechs verschiedene Auftragsarbeiten angelegt.
"Schule der Puppen", erarbeitet von theatreworks und gespielt von Silvia Barth, die erste Begegnung im Geisterhaus, findet in der Garderobe statt. Im Schnelldurchlauf lernt man die Grundzüge des Puppenspiels und baut eine wunderlich intime Beziehung zur zugewiesenen Puppe auf. Obwohl man die Puppen selbst bewegt, hegen sich am Ende Zweifel, wer von beiden die Puppe ist.
Eine weitere intime Garderobenszene öffnet sich. In "dressingroom" von Macromatter erzählt Robin Leveroos Geschichten über ihre Jugend. Der Geist ihrer Großmutter ist immer an ihrer Seite, während sie anhand diverser teils selbst genähter Kostüme von ihrer Liebe zur Schneiderei berichtet. Im engen Raum spielt Leveroos an den Gästen vorbei, als wären sie unsichtbar, und lässt an einer persönlichen Geschichte teilhaben, in der Erinnerungen als wohlwollende Wiedergänger aufblitzen.
Vom warmen dressing room geht es in eine kalte Garage, zur Performance "Warm wie Kohle (Warm like Coal)" vom KMZ Kollektiv. Kurz, aber prägnant erzählen die vier Performer*innen in Bergarbeitskleidung vom Kohleimport aus Argentinien nach Deutschlande. Die Mine, aus der die meiste Kohle kommt, befindet sich im Gebiet der indigenen Gemeinden der Wayúus, die daran glauben, dass die vom Kohleabbau betroffenen Berge von Göttern und Geistern bewohnt werden. Während die Performenden auch von eigenen spirituellen Erfahrungen berichten, bauen sie Kohlestück für Kohlestück den abgewirtschafteten Berg wieder auf und re-spiritualisieren ihn.
Im großen Saal der Schaubude erlebt man Naoko Tanakas "Träume der Materie #1: Schlafen im Wald (Dreams of the Material #1: Sleeping in the Forest)". Auf der Bühne gegenüber einer Leinwand sitzend, entführen schwarz-weiße Zeichnungen mit einer langsamen Animation in den Wald, in dem wir ruhen, bis wir eins mit der Natur werden. Als die Sonne aufgeht (ein Scheinwerfer dreht sich langsam in den leeren Zuschauerraum), enthüllt sich ein Spinnennetz aus weißen Fäden über den leeren Sitzen, das den Wald aus dem Video zu uns holt und den berührenden Effekt eines echten Sonnenaufgangs hat, der uns eine neue Seite der Welt zeigt.
Theater Textura and Guests zeigen in "Pas de Ghost" ein klassisches Spukzimmer, in dem sich Dinge von Geisterhand bewegen, Lichter flackern und sich Erscheinungen manifestieren. Die Erscheinungen, wenn sie dann zu erkennen sind, sind kleine Tanzprojektionen, die sich aus dem Rauminneren herausreißen, und auch mal vor offenem Himmel schweben.
Zum Abschluss lädt Neïtah Janzing in "thing(s)" zu einer intimen Gläserrück-Tarotkarten-Séance ein. Weiße, knorrige Äste (oder Klauen) hängen über den Köpfen der Gäste, während die Performerin ihre persönliche Geschichte mit dem Wald ihrer Heimat erzählt - anhand eines extra dafür angefertigten Kartenspiels. Tonaufnahmen und Live-Performance vermischen sich zu einer unheimlichen und gleichzeitig sehr privaten Sitzung.
"The Room" © Tabea Hörnlein
Mit der Perfomance "The Room" schließen Daryna Yurchenko, Olena Hrabina und Anastasiia Stetsenko das Festival im GRIPS Podewil ab. Die Inszenierung kommt mit wenigen Worten aus, sie kommuniziert sich stattdessen fast nur über: Umzugskartons. Die beiden Performer*innen bauen die Kartons zu großen Videoleinwänden auf, oder zu Miniaturstädten auseinander, sie öffnen Türen, hinter denen Lampen erscheinen und werden mithilfe von Schattenspiel selbst Teil der Einrichtung. Zwischen den liebevoll gebauten Miniaturen und der intelligenten Performance wirft sich die Frage nach einem Zuhause auf. Wo komme ich her? Was verändert sich? Kann ich je wieder zurück? Zwischen den Umzugskartons, die ständigen Transit anzeigen, hängt eine Melancholie, mit der man aus der Festivalzeit entlassen wird und die einen wie ein Wiedergänger in das neblige Berlin begleitet.
Theater der Dinge
Internationales Festival des zeitgenössischen Figuren- und Objekttheaters
6.-10. November 2024
Infos auf der Website der Schaubude
Besprochene Produktionen:
Dimonis von cabosanroque, Spanien | Die Filifjonka, die an Katastrophen glaubte von Puppentheater Burgas, Bulgarien | GEISTERHAUS: Schule der Puppen von theatreworks, dressingroom von Macromatter, Warm wie die Kohle (Warm Like Coal) von KMZ Kollektiv, Träume der Materie #1: Schlafen im Wald (Dreams of the Material #1: Sleeping in the Forest) von Naoko Tanaka, Pas de Ghost von Theater Textura and Guests | thing(s) von Neïtah Janzing | The Room von Daryna Yurchenko, Olena Hrabina und Anastasiia Stetsenko, Ukraine/Deutschland