Die aktuelle Kritik

O-Team: "Wetware – zur Technologie der Seele"

Von Petra Bail

Poetische Annäherung an das Gefühlsleben des Techno-Selbst

Im Anfang war das Wort und das setzt die Szenerie in ein mystisches Halbdunkel. Ein Textband über der Bühne dient als Licht- und Informationsquelle, begleitet von einem bassbetonten Grundrhythmus. Das Auge hat Zeit, Objekte zu erkennen und ein in Folie eingeschnürtes Knäuel, das von zwei Performer*innen in dem Moment aufgeschnitten wird, als von der „explosiven Lust zu ficken“ zu lesen ist. Logisch, dass man sich dazu entwickeln muss. Eine stattliche Schaumstofffigur entfaltet ihre beeindruckenden Gliedmaßen. Der Körper soll die Corona-bedingten wenigen Zuschauer*innen bei der Premiere im Stuttgarter Fitz! eine Stunde lang fesseln. Er wird zum lustvollen Experimentierlabor der freien Theatergruppe O-Team, die ihre jüngste Produktion, „Wetware – zur Technologie der Seele“ präsentiert.

 

Die Performance basiert überwiegend auf dem Roman „Testo Junkie“ der Queer-Theoretiker*in Paul Beatriz Preciado, die darin poetisch-anregend den Selbstversuch mit Testosteron-Gel beschreibt. Wetware ist ein Begriff, der analog zu computerbezogenen Begriffen Hard- und Software für biologische Lebensformen angewendet wird. Nassware also, in der ein „pharmapornografisches System“ angeprangert wird, das Lustproduktion und Arbeit verbindet. Es darf auch als Kritik gegen das Geschlechter-Regime verstanden werden. O-Team mit den beiden Figurenspieler*innen Antje Töpfer und Folkert Dücker setzt diesen gewagten Selbstversuch mit orgiastischer Kraft als politisch-erotischen Akt einer kafkaesken Verwandlung um. Unterstützung haben sie dabei von abstrusen kinetischen Objekten, die an Installationen des Schweizer Bildhauers Jan Tinguely erinnern. Die Maschinerie wird in Bewegung gesetzt und in den rauschhaften Bühnenreigen aufgenommen.

 

Töpfer und Dücker holen unter peitschenden und heftigen pulsierenden Klängen immer mehr Körperteile hervor: Arme und Beine, die in ihrer Monumentalität skulptural wirken und die Architektur des Körpers skizzieren, Aber auch Ohrmuscheln, Nasen, Penisse und Brüste. Am Ende sind es alle zusammen, die mit den Erlebnismaschinen einen herrlich-grotesken apokalyptischen Tanz zu metallischem Klappern, wummernden Geräuschen und schabende Tönen aufführen.

 

Synthetische Klänge zu synthetischen Hormonen wie Viagra, der Pille, Fitnessmittel und Anti-Aging-Produkte, die den Körper regulieren. Dazu laufen die Textpassagen aus dem Projektor, der Licht in der symbolischen Form von Gottes Auge auf die Sätze wirft. Auch die beiden Spieler*innen bewegen sich mit den Schaumstoffformen – figurenbetontes Tanztheater, das an rhythmisiertes Work out denken lässt oder an mechanischen Cyber-Sex, wenn sich die Figur unter elektrischen Impulsen windet, Bewegungen wie beim Koitus angedeutet werden. Paarungen entstehen, nüchtern konstruierte Apparate, natürliche Körper aus Fleisch und künstliche Gestalten aus zelliger Struktur interagieren und verbinden sich wie in einem großen Bilderbogen. Zum peitschenden Techno-Sound zuckt ein Riesen-Penis an Seilen, kleinere Gemächte gleiten sanft über den Boden, ein XXL-Ohr schwebt auf und ab, Arme fallen klappernd auf die Bühne. Antje Töpfer dreht sich mit großen Schaumstoffbrüsten auf einem Teller. Präzision trifft auf Emotion; Hardware und verführbare Wetware im spielerischen Miteinander. Ein großes Vergnügen, das Regisseur Samuel Hof dem Publikum bereitet, auch wenn nicht alle im Saal das politische Pamphlet von Paul B. Preciado kennen und man sich zwischen lesen und schauen entscheiden muss. Der große Applaus war verdient.

 

Spiel: Folkert Dücker und Antje Töpfer

Bühne und Kostümbild: Nina Malotta

Musik: Harry Delgas

Figurenbau: Antje Töpfer und Nina Malotta

Regie, Konzept, Licht, Bühne: Samuel Hof

Technik: Robin Burkhardt

Dramaturgie: Antonia Beermann

Für Erwachsene

Homepage: www.o-team-theater.de

Foto: FITZ Stuttgart / O-Team

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