Neue Diskurse

WEIRD ANIMISMS

Die dritte Ausgabe der Zeitschrift „Corps-Objet-Image“ des TJP in Strasbourg ist erschienen. Wir haben den theoretischen Einleitungstext übersetzten lassen, um die spannenden Gedanken von Jérémy Damian zum „Animismus“ bzw. „Re-Animismus“ auch deutschsprachigen Leser*innen zugänglich zu machen.

Wer sich darüber hinaus mit der Zeitschrift in französischer Sprache auseinandersetzen will, hier ist der Link: www.corps-objet-image.com


Foto: Giuseppe Penone, Nel Legno, photo : Marian Goodman gallery, 2008

Da ist etwas im Gange.

Gewisse Erfahrungen werden immer eindringlicher (Drumm).

Das, was wir gemeinhin den „modernen Naturalismus“ nennen, unsere Art, die Welt und die Wesen und Dinge in ihr zu erfahren, gerät aus den Fugen.

Da ist etwas im Gange: Der Animismus bringt frische Triebe hervor. Fragile, vergängliche und unbeholfene zwar, aber vielleicht ist das schon Re-Animation, Wiederbelebung.

Dinge, Wesen und Kräfte sprechen zu uns, gehen uns an.

Das Bedürfnis einer wiederzubelebenden Welt – das ist der Punkt, an dem wir stehen.

Es ist an der Zeit, zu begreifen, dass wir eigentlich nie damit aufgehört haben, uns durch manche unserer Handlungen eine Welt zu erhalten, die stets, wenn auch nicht direkt verzaubert, so doch weit mehr von Erscheinungen bevölkert war, als wir es anzunehmen pflegten. Es ist an der Zeit, unsere innere Landkarte, auf der die Verteilung der Fähigkeiten und Begabungen unter den Lebenden, den Dingen, den Unsichtbaren und den kosmischen Kräften verzeichnet ist, neu zu überdenken ... und neue Kosmogramme möglich werden zu lassen.

In Abkehr vom religiösen Weltbild und vom Gewicht der überlieferten Tradition hat unsere sogenannte Moderne zwei neue Größen hervorgebracht: den Menschen und die Natur. Die Moderne, die als langer Entzauberungsprozess beschrieben werden konnte, hat Gott als Ursprung und Grund der Welt entmachtet. Fortan ist es der Natur und dem Menschen zugefallen (und daran hat sich wohl bis heute nichts geändert), diese Geheimnisse auf sich zu nehmen, jedoch nur, um sie nach und nach zu entschlüsseln und schließlich ganz ans Licht zu bringen. Glaube gegen Tatsachen, himmlisches Jenseits und Übernatürliches gegen irdisch-stoffliche Diesseitigkeit. Dieser Umbruch hat sich nicht von heut auf morgen vollzogen, sondern ist allmählich, in vielen aufeinanderfolgenden und sich wiederholenden Schlachten vor sich gegangen, die alle darauf hinausliefen, dem alten Spiritualismus einen jungen und modernen Materialismus entgegenzusetzen. So lautet jedenfalls die Geschichte, die wir uns seit Langem erzählen.

Nun hat Bruno Latour zu Beginn des 21. Jahrhunderts gezeigt, dass die Spiritualisten für ihren Gott ungefähr das Gleiche einforderten wie die Naturalisten für ihre Natur: Schließlich beriefen sich beide Gruppen auf eine äußere, universelle und ebenso unbezweifelbare wie unumstößliche Wahrheit. Was ist das für eine seltsame Trennlinie, die, anstatt sie voneinander abzugrenzen, Gott und Natur als eine zum Zwecke der Weltbegründung beschworene Instanz vereint? Während die Spiritualisten sämtliches Potenzial einer beseelten Welt zugunsten eines ins Jenseits zurückgezogenen höchsten Wesens beschlagnahmten, gab es für die Naturalisten nur noch eine dem Tun der Menschen gegenüber gleichgültige Natur, eine Anhäufung von trägen, stofflichen Dingen. Was die einen übermäßig beseelten, sagten die anderen seelenlos. Sodass Gott und Natur sich im Grunde auf ein gemeinsames Motiv zurückführen lassen: die klärende Reinigung des Schauplatzes Welt. Weniger als einen Übergang von Gott zu Natur hat die Moderne eine Verbindung oder sogar eine Verschmelzung der beiden bedeutet, als handelte es sich nunmehr um die zwei Seiten ein und derselben Medaille.

 

Umwelten

Von unserem derzeitigen Standpunkt aus, der den Blick auf eine nahende Zeit der Katastrophen, der bedrohlichen klimatischen Veränderungen und der immer selteneren Zonen des Komforts und der Gastfreundschaft freigibt, beginnen wir allmählich zu verstehen, dass wir uns vielleicht nie so sehr von den Prinzipien und Quellen der Beseelung freigemacht haben, wie wir glaubten. Die Moderne konnte die Welt immer nur über eine grundlegende Zweiteilung – in Subjekt und Objekt, in Geist und Materie und so weiter – denken, wobei sie jeweils beide Pole dieser Gegensatzpaare einseitigen Macht- und Ausbeutungsbeziehungen unterwarf und gleichzeitig die Einnahme einer intermediären Position verunmöglichte. Vom Objekt zum Subjekt konnte man nur durch einen diskontinuierlichen Sprung gelangen, ein mögliches Kontinuum hybrider Zwischenstadien blieb völlig undenkbar. Doch nun ist die Zeit gekommen, neu zu erörtern, woraus unsere Welt wirklich besteht und wer oder was in ihr Heimatrecht (droit de cité) genießt. Unsere Zeit führt über die eigene vielgestaltige und vielursprüngliche Verzweiflung hinaus, denn sie vermag es, Stimmen hörbar zu machen, die sich für einen Pluralismus der Existenzweisen einsetzen, und sie vermittelt uns die Freude an einer „plötzlichen Desorganisation der Grenzen“ (Franke). Unsere Zeit zeichnet sich dadurch aus, dass es spürbar wird. Und derer, die dazu bereit sind, für solche Möglichkeiten Sorge zu tragen und ihnen gemäß zu leben, gibt es viele.

Der Begriff RE-ANIMATION bezeichnet also genau diesen Moment, in dem Praktiken, die das gesäuberte Terrain der Moderne wiederbeleben wollen, allerorten aus dem Boden sprießen. Er bezeichnet die vielfältigen Figurationen des „Zwischen“, durch die wir spüren – und verstehen! –, dass uns die Grenzen des uns zugedachten Erbes nicht genügen werden und dass wir, wenn wir in ihnen verharren, keine Luft mehr bekommen werden - unglücklich, engstirnig und arm an Welt. Wir befinden uns also an einem merkwürdigen und fragilen Punkt, an dem wir auf unsere Fähigkeiten, diese Umwelten zu bewohnen, sie neu zu verdichten und die ihnen eigenen Formen der Beseelung zu nähren, zurückkommen und allmählich wieder auf sie vertrauen. Ende des Dornröschenschlafs.

Bereiche, in denen derartige Wissens- und Handlungsformen gepflegt und praktiziert werden, gibt es einige. Hier nur ein paar wenige Beispiele: Wissenschaftler, die in ihren Laboren lernen, mit bemerkenswerten Wesen (Neutrinos, Quarks, Mikroben ...) Verbindung aufzunehmen, indem sie ihnen entscheidende Handlungsmöglichkeiten innerhalb unserer Welt zuerkennen (Stengers und Latour); die kalifornischen Öko-Feministinnen, die im Protest gegen das Atomkraftwerk von Diablo Canyon Spiritualität und Politik verbinden, indem sie sich hexerischer Praktiken rühmen und die „Göttin“ anrufen (Starhawk); die Tupi-Indianer in Brasilien, die wissen, dass Blut dem Jaguar das ist, was dem Menschen sein Bier (Viveiros De Castro); jene Abendländer, die all ihrem Modernsein zum Trotz durchaus erfinderische Liaisons mit ihren Toten unterhalten (Despret); die Pilger von Međjugorje, die von weit her kommen, um der Jungfrau zu begegnen(Claverie), von Androiden und Zombies heimgesuchte Philosophen (Tanney); unkonventionelle Naturforscher, die mit Wölfen demokratische Beziehungen eingehen wollen und auf der Suche nach Möglichkeiten des Zusammenleben reale Verhandlungsräume erschließen (Morizot); nicht zuletzt die Künstler, die die avantgardistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts unermüdlich mit anderen Formen des Denkens und Schöpfens durchsetzt haben. Beschränken wir uns hier auf einige Namen aus den szenischen Künsten: Antonin Artaud und seine Faszination für die Riten der Tarahumara, Anna Halprin, die im Rückgriff auf den Schamanismus der amerikanischen Indianer an der Westküste der Vereinigten Staaten neuheidnische Riten erfand, Merce Cunningham und John Cage, die die Trennung von Subjekt und Welt durch den Einfluss des Zen in ihren Kompositionsprozessen zu überwinden versuchten, Jerzy Grotowski und seine „Kunst als Fahrzeug“, die sich vor allem aus Recherchen zum haitianischen Voodoo-Kult speiste, oder nicht zuletzt der vom rituellen Shintō-Animismus geprägte Butoh-Tanz. So viele Akteure, Kontexte und Situationen, die dazu beigetragen haben, andere Formen der Beseelung zur Geltung zu bringen. So viele, teils zaghafte und gewagte Versuche, befremdlichen Animismen im Rahmen radikaler Ökologien Aufmerksamkeit zu schenken. Umso befremdlicher übrigens, als sie uns im Grunde sehr nahe sind (Rasmi).

 

 

 

Anthropologie und Nicht-Unschuld

Entgegen ihrer traditionell kritischen Grundhaltung haben die Gesellschaftswissenschaften Erfahrungen dieser Art stellenweise regelrecht den Weg bereitet. Seit gut zwanzig Jahren entstehen hier Wissens- und Forschungsstandpunkte, denen es nicht mehr genügt, die Prozesse, vermittels derer sich die Moderne durchsetzen und systematisch das kollektive, die Möglichkeit einer beseelten Welt bewahrende Wissen zergliedern konnte, aufzudecken und zu brandmarken. Heutzutage sucht man Mittel und Wege, von den vielzähligen Präsenzen, heterogenen Daseinsweisen und Kräften Zeugnis abzulegen, die unsere Welt bewohnen und sie in ihrer fragilen Ökologie ausmachen. Angesichts solcher Forschungsstandpunkte wirken diejenigen, die weiterhin auf Teufel komm raus die Entseelung gegen die Überbeseelung ausspielen oder darauf bestehen, dass man sich ein für alle Mal entweder dem Wissen oder dem Glauben verschreiben müsse, sehr anachronistisch. Angesichts des bevorstehenden klimatischen Umsturzes sehen sich Anthropologen und Soziologen gezwungen, aus ihrer akademischen Schutzzone herauszutreten; die Formen des „Wahr-Sprechens“ verändern sich und ihren Sinn. Lediglich die zahlreichen Möglichkeiten des Weltbezugs zu benennen, sie zu deuten und ihre Vielgestaltigkeit zu verteidigen, genügt heute nicht mehr.

Diese Veränderungen werden vor allem in der Anthropologie spürbar. Tim Ingold und David Abram etwa stehen exemplarisch für die Rückkehr zum Animismus, wenn sie ihn als Spielart eines In-der-Welt-Seins verstehen, das sich durch einen für die Ansprüche einer mehr-als-menschlichen Welt empfänglichen Zustand der Öffnung auszeichnet. Sowohl Ingold als auch Abram bewegen sich zwischen den beiden für die Animismusdebatte typischen Hypothesen: Deren erste geht davon aus, dass es den Animismus in der modernen westlichen Welt untergründig immer gegeben hat. Sei er auch zeitweise fast vollständig verstummt (weil man ihn zum Verstummen gebracht habe), so sei er doch nie wirklich ganz verschwunden. Die zweite Hypothese hingegen hält angesichts der gegenwärtigen und nahenden Katastrophen eine zeitgenössische Neuerfindung für nötig. Als eines der Bücher, das die Schwankung zwischen beiden Tendenzen besonders gut zum Ausdruck bringt, hat die französische Übersetzung von David Abrams The Spell of the Sensuous. Perception and Language in a More-Than-Human World (deutsche Fassung Im Bann der sinnlichen Natur. Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt) eine entscheidende Rolle bei der Erarbeitung der vorliegenden Ausgabe von Corps-Objet-Image gespielt. Abram zeigt sich hier als Vermittler, als Fährmann im Kreuzungspunkt der Welten: Er legt uns ein animistisches Verständnis der Rationalität nahe und macht dieses zur allgemeinsten und inklusivsten aller Kategorien, als schöpften unsere Seins- und Denkweisen, als schöpfte unser ganzes In-der-Welt-Sein noch heute aus einem fernen und doch nahen, einem unterdrückten, aber immer noch wirksamen Animismus. Die Weiterlebenshypothese macht den Animismus zum Grundpfeiler einer gemeinschaftlichen und radikal solidarischen Welterfahrung. Gleichzeitig begeht sie den Fehler, sich ausschließlich bei der ursprünglichen Verfassung unseres In-der-Welt-Seins aufzuhalten, während die gegenwärtige Situation doch eigentlich eher nach kollektiven, zukunftsweisenden und kreativen Positionsnahmen verlangt. Der Animismus müsste hier zum politischen Handlungsinstrument werden, zur aufrüttelnden und versammelnden Kraft, zum „Köder für neue Sinnlichkeiten“ (Debaise) und neue Arten der Weltenformung.

Damit diese epistemologischen Veränderungen innerhalb der Anthropologie möglich werden konnten, musste die Disziplin auf ein Privileg verzichten, das sie sich in ihren Anfängen anmaßte. Nachdem Edward Tylor den Begriff in seinem Klassiker Primitive Culture von 1871 eingeführt hatte, galt der Animismus zunächst als Kategorie der wissenschaftlichen Analyse. Lange Zeit gebrauchte man ihn – in einer teils sozialevolutionistischen, teils kolonialistischen Haltung – vor allem zur Disqualifizierung gewisser Phänomene. Das Animistische war per definitionem das Andere, das, was nicht in der Lage war, die Verteilung der Wesen und Dinge in der Welt zu respektieren, was Objekte mit Subjekten verwechselte und allzu großzügig Geister in der Natur verteilte. Das, was eine eindeutig niedrigere Stufe auf der Entwicklungsleiter der Menschheit besetzte. Der Eingeborene, der Wilde, der Primitive. Mithilfe der wissenschaftlichen Kategorie des Animismus stigmatisierte man vermeintliche Rückständigkeit und Verwirrung. Wenn wir nun den Animismus zurückfordern, so verpflichtet uns das auch dazu, uns mit diesem Erbe auseinanderzusetzen – Unschuld ist keine Option (Haraway). Aber ebenso wie Begriffe, Bezeichnungen oder Schmähworte schon mal vom Stigma zum emanzipierenden Gemeinschaftsemblem werden, durchweht das Wort „Animismus“ derzeit ein neuer Lebenshauch, der die herkömmlichen Sinnbezüge, Kontexte und Gebräuche kurzschließt und den Begriff zur politischen Handlungskategorie macht. Und die wiederum gibt uns allen Anlass, „in den Ruinen des Kapitalismus“(Tsing) zu denken und zu handeln.

  Reclaim animism!

 

Weird Animisms

Sind die Formen des Animismus, von denen hier die Rede ist, wirklich so „befremdlich“? Sie überraschen uns, ja, aber befremdlich, ist das wirklich das richtige Wort? Sind sie nicht eher weird? Stefan Helmreich hat darauf hingewiesen, dass man weird nicht einfach mit befremdlich übersetzen kann. Das Befremdliche ist das, was von außen kommt (der Fremde). Es verweist auf den Ursprung der Dinge oder auf ihr Wesen. Das Wort weird hingegen steht im Altenglischen für das Geschick, die Fügung, das Glück. Während das Befremdliche einen ersten und fundamentalen Unterschied festschreibt, zeichnet das, was weird genannt wird, einen Entwurf des Kommenden: „das, was weird genannt wird, weist auf das Künftige, dorthin, wohin die Dinge sich entwickeln könnten“. Wahrscheinlich sollte man dem zeitgenössischen Begehren widerstehen, nunmehr überall Beseelung zu sehen und den Animismus als notwendige Bedingung unseres In-der-Welt-Seins zu verklären, als dessen noch nicht vom rationalistischen und objektivistischen Naturalismus kontaminiertes, eigentliches Fundament. Als wären wir im Grund alle verunglimpfte oder verhinderte Animisten. Diese Position dreht das ethnozentrische Vorurteil gewissermaßen um, indem sie die Wahrheit auf der Seite des Animismus als der primären Welterfahrung (Descola) verortet. Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn man in den weird animisms Möglichkeiten und Potenziale erkennt, die es noch zu formen – und nicht etwa wiederzufinden - gilt. Sie sind weird und müssen von daher weder klar definiert noch in irgendeiner Weise „authentisch“ sein: Sie sollten uns Anregungen sein, Einladungen, unsere Bezüge zu den Welten vielfältiger und komplexer zu gestalten und monströse Verbindungen zwischen all jenen ins Werk zu setzen, die sich nunmehr unter dem gemeinsamen Zeichen der Re-Animation versammeln.

 

Corps-Objet-Image #3

Wir möchten mit dieser dritten Ausgabe der Zeitschrift Corps-Objet-Image fragen, was wir gewinnen würden, wenn wir als erweitertes Kollektiv handelten und uns darüber auch selbst definierten. Als ein Kollektiv, dem es plötzlich wieder bewusst würde, dass es beseelte Wesen in seiner Welt aufspüren, bewahren, ermächtigen und sogar hervorrufen kann. Und dass es ihnen die gebührende Handlungsfreiheit zuerkennen kann. Wer kann dazu beitragen, diese neuen Möglichkeiten einer beseelten Welt auszuschöpfen, die bereits jetzt die unsere ist und vielleicht nie aufgehört hat, dies zu sein? Ein Theater ist ohne jeden Zweifel ein besonders geeigneter Ort, um eine solche Frage zu stellen und sie im wahrsten Sinne des Wortes in Szene zu setzen.

Die Szene des Theaters ist wie die Welt selbst: eine Umwelt in Bewegung und fortwährender Transformation, unbeständig und unberechenbar, was dasjenige, das sich dort ereignen kann, und diejenigen, die hier in Erscheinung treten können, betrifft. Sie nimmt neue Wesen auf, Verbindungen aus Körpern, Dingen, Bildern und Texten, hybride Wesen materieller oder ätherischer Art, von Dauer oder vergänglich, fest oder gasförmig ... Die Dinge werden immer sinnlicher. Auftritt der Nicht-Menschlichen mit ihren eigenen Laufbahnen und Regungen. Ihre je spezifischen Weisen, mit der sie umgebenden Welt in Bezug zu treten, sind aus Ungewissheiten und Zufällen gemacht und schaffen immer wieder neue Ausgangssituationen. Besser als wir es je tun könnten zeigen uns die Dinge, dass sie nicht an ihren eigenen Rändern aufhören, sondern, wie wir, nur relational – im Bezug auf – existieren.

Die ganze (Re-)Animationsthematik passt gut zu dem, was dem Figurentheater und vielleicht den szenischen Künsten allgemein unvermeidbar und notwendig zugleich erscheint: Es gilt, den Akteur auf der Bühne zu entmachten, die menschliche Figur aus dem Zentrum herauszurücken, damit die inszenatorische Aufgabe, Welten zu komponieren, in Zukunft wieder durch das und mithilfe dessen gelöst werden kann, was Verknüpfungen herstellt, Kontexte verwebt und einzelne Instanzen miteinander verbindet: das heißt die Gesamtheit der Kräfte, Wesen und Unbekannten, die unsere Welten zusammenhalten und dafür sorgen, dass wir an ihnen festhalten. (So verliert auch der französische Ausdruck „spectacle vivant“ an Selbstverständlichkeit, selbst wenn er heutzutage immer umfassender und großzügiger: Denn handelt es sich wirklich nur um das, was lebt?)

Diese dritte Ausgabe der Zeitschrift Corps-Objet-Image wird versuchen, Verbindungen zwischen verschiedenen Praktikern der (Re-)Animation herzustellen, wobei davon ausgegangen wird, dass die mit dem Projekt Corps-Objet-Image verbundenen Praktiker einen besonderen Platz innerhalb dieser Landschaft einnehmen, da sie schon seit Langem privilegierte und vielfältige Beziehungen mit den Stoffen der Welt und den Wesen, die sie beleben, pflegen.

Die verschiedenen Beiträge, die wir in diesem Jahr veröffentlichen werden, bringen auf je eigene Weise Möglichkeiten zur Geltung, dem Archipel der weird animisms aufmerksam und sensibel zu begegnen, ihm Körper und Leben zu verleihen und an der Wieder-Belebung unserer Welten teilzunehmen – und dazu gehören auch die alltäglichsten, unmittelbarsten und vertrautesten Umgebungen. Die in den hier berücksichtigten Beiträgen, Werken und künstlerischen Strategiegen dargelegten Erfahrungen entsprechen übrigens (bis auf wenige Ausnahmen) nicht dem, was man wohl üblicherweise von einem „animistischen“ Denken oder einer „animistischen“ Kunst erwartet. Genau deswegen gehen sie uns an und fordern uns heraus.

 

Aus dem Französischen übersetzt von Laura Strack

 

 

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