Vorgestellt

Vorgestellt: Figurenspieler und Figurenbauer Emilien Truche

22. Juli 2022

Lieber Emilien, du warst Grundschullehrer und hast mehrere Jahre in verschiedenen französischen und deutschen Schulen unterrichtet. Wie kam es dazu, dass du Figurenspieler wurdest?

Figurentheater war schon in meiner Kindheit sehr präsent. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, habe ich schon Stabpuppen gebaut. Das war immer mittwochnachmittags im Garagenatelier einer Amateur-Puppenbauerin aus meinem Viertel. Mit neun oder zehn Jahren habe ich in meiner Heimatstadt an einem Puppentheaterstück mit älteren Menschen aus dem Seniorenheim teilgenommen. Später, während meines ersten Studiums, habe ich dann an verschiedenen Projekten einer Unitheatergruppe teilgenommen („Théâtre Universitaire“ in Dijon), besonders ein Projekt, in dem wir mit einem Figurenspieler arbeiteten, hat mich sehr geprägt. Als ich schließlich als Grundschullehrer nach Deutschland kam, hatte ich Lust, mich noch mal mit dem Figurentheater auseinanderzusetzen. Darum habe ich verschiedene Kurse am Figurentheaterkolleg in Bochum belegt, u. a. den damaligen Orientierungskurs, in dem wir die Grundlagen des Figurentheaters gelernt haben. Parallel zu meinem Beruf als Lehrer habe ich noch viele weitere Kurse besucht, bis ich an einem Workshop mit Frank Soehnle teilgenommen habe, bei dem mir plötzlich klar wurde: Ich will auch Figurenspieler sein!

 

Welchen Einfluss hat dein pädagogischer Hintergrund auf deine künstlerische Arbeit?

Für mich ist es wichtig, die pädagogische Arbeit und die künstlerische Arbeit klar zu trennen: es sind zwei unterschiedliche Bereiche mit unterschiedlichen Zielen, die aber Berührungspunkte haben können. Natürlich hilft meine zehnjährige Arbeitserfahrung mit Kindern (insbesondere mit Kindern im Alter zwischen drei und sechs) in meiner künstlerischen Praxis, wenn ich ein Kinderstück entwickle. Dennoch steht das szenische Erlebnis für ein junges Publikum im Vordergrund, das durchaus wichtige Themen behandeln kann, aber nicht mit einem pädagogischen Zeigefinger daherkommt.

 

Wie würdest du deine Bühnenkunst beschreiben, was zeichnet sie aus?

Ich würde es als ein sehr visuelles Theater, als bildnerisches und körperliches Theater beschreiben. Meine Stücke entstehen oft aus dem Bedürfnis, mich mit einem bestimmten Material, Objekt oder einer bestimmten Puppe auseinanderzusetzen. Durch die improvisatorische Arbeit mit dem Gegenstand ergibt sich das Thema. Was mich besonders interessiert, ist die Beziehung des Menschen zu seinem Inneren und wie es zum Ausdruck gebracht werden kann, durch sein Verhalten und sein Verhältnis zu den Objekten in der Welt.

Welche Künstler*innen haben dich inspiriert?

Als Zuschauer habe ich neben dem Figurentheater eine große Begeisterung für Tanz, insbesondere für Tanztheater. Als ich in Bonn gelebt habe, bin ich oft nach Wuppertal gefahren, um dort verschiedene Stücke von Pina Bausch zu bewundern. Ihre Arbeit hat mich bewegt, berührt und inspiriert. Pina Bausch hat gesagt: „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“. Das ist genau das, was mich an ihrer Arbeit so fasziniert, wie durch den Körperausdruck die emotionalen Zustände der Darsteller*innen sublimiert werden und dadurch unsere menschliche Fragilität sichtbar wird.

           

Du stehst selbst auf der Bühne, bist als Puppenbauer tätig, gibst Workshops und hattest Anfang 2022 deine Regiepremiere mit dem Stück „Raschel“. Mit welcher dieser Aufgaben identifizierst du dich am meisten und warum?

Als freischaffender Figurentheatermacher bin ich tatsächlich sehr breit aufgestellt. Diese Vielfalt an Tätigkeiten gefällt mir sehr an meinem Beruf. Ich muss aber tatsächlich zugeben, dass mir das Spielen am meisten Freude bereitet. Ich stehe unglaublich gern auf der Bühne, das ist ein sehr schönes Gefühl von Freiheit. Der Moment beim Auftritt ist der Moment, wo ich als Darsteller komplett präsent da bin, und das genieße ich jedes Mal!

 

Du bist im Rat der UNIMA aktiv, agierst als 1. Vorsitzender des Figurentheater-Kollegs und bist Mitglied im Kunstverein Wagenhalle Stuttgart sowie in der Freien Tanz- und Theaterszene Stuttgart. Welchen Herausforderungen und Chancen begegnest du in diesen Kontexten?

Es war und ist mir immer wichtig, nicht nur als Theaterschaffender zu agieren, sondern auch auf der kulturpolitischen Ebene teilzunehmen, in verschiedenen Vereinen und auch in verschiedenen Funktionen (vom Vorstand bis zum einfachen Mitglied). Mir ist sehr bewusst, dass das Figurentheater eine sehr lange Tradition hat, auch wenn unser Genre sich in den letzten Jahrzehnten sehr vielfältig entwickelt hat. Dadurch öffnet es sich für viele spannende neue Perspektiven, aber es wirft auch neue Fragen auf. Ich bin zwar nicht mehr so jung, aber würde behaupten, dass ich trotzdem Teil der neueren Generation von Figurenspieler*innen bin; und es liegt mir am Herzen, eine Brücke zwischen Tradition und Innovation zu bauen.

Zum Figurentheaterkolleg kann ich sagen, dass mir diese Institution sehr am Herzen liegt, weil sie für meinen künstlerischen Werdegang sehr prägend war. Um die Seele dieses wunderbaren Ortes zu erhalten, möchte ich die Veränderungsprozesse, die dort stattfinden, begleiten und mitgestalten, um auch das weitere Potenzial dieses Ortes zu entfalten.

Auf lokaler Ebene sehe ich eine Chance darin, verschiedenen Künstler*innen und Kunstschaffenden aus diversen Sparten zu begegnen, um neuen Input und gegenseitige Inspiration zu ermöglichen, denn auch das Figurentheater ist Teil dieser künstlerischen Vielfalt einer Stadt.

 

Frage von Dagmar Selje (Bielefelder Puppenspiele): „Lieber Emilien, ich durfte Dich als Gast im Tor 6 Bielefeld live erleben, als wir die Puppentheaterwoche mit Kongress vom Berufsverband abgehalten haben. Deine Performance war faszinierend! Wie schätzt Du das ein, was kommt bei dem kindlichen Publikum an, wenn Du intellektuell anspruchsvolles, nonverbales Maskentheater für sie anbietest?“

Liebe Dagmar, es war eine sehr große Freude, vor ein paar Jahren mein Solostück für Erwachsene „Confetti“ in Bielefeld zu zeigen. Meine Arbeit ist meistens nonverbal, dadurch versuche ich, ein breites Publikum zu erreichen. Wenn ich ein Kinderstück entwickle, passe ich die szenischen Erlebnisse entsprechend an das Alter des Zielpublikums an. Ich bin der Meinung, dass Figurentheaterstücke für Kinder genauso die Erwachsenen ansprechen sollen, und es ist mir wichtig, auch anspruchsvolle Stücke für Kinder zu entwickeln. Denn ich bin davon überzeugt, dass sehr viel mehr bei den Kindern ankommt, als man vermutet.

 

Mehr Infos zu Emilien Truche findet Ihr auf seiner Website

Fotocredit:
Confetti © Daniela Wolf
Portrait © Charlotte Vasseneix