Young Writers

Summer '69

Von Melina Durgut

Auch ohne Worte kann eine ganze Geschichte erzählt werden. Die wunderbare Inszenierung einer unvergesslichen Vergangenheit.

Das Theaterstück Summer ´69 gespielt von Alain Moreau hinterließ ohne Worte und nur mit einer Dauer von knapp 25 Minuten einen sehr leidenschaftlichen Eindruck. Die Lichter gehen an und das Stück nimmt seinen Lauf. Zu sehen sind Alain Moreau und die lebensgroße Puppe Jean Dekoninck.

Dekoninck sitzt in seinem Wohnzimmer, denkt kurz nach und macht sich dann an einer Steckdose zu schaffen. Kaum ist diese eingesteckt, geht das Licht an und zeigt die Miniatur einer grünen Landschaft. Vor der kleinen Landschaft steht eine Kamera, die dem Publikum eine Vergrößerung der Miniatur an die Bühnenrückwand projiziert. Das Publikum taucht in die Erinnerungen Dekonincks an einen bestimmten Tag im Sommer 1969 ein, den er sicher nicht vergessen möchte.

Es beginnt mit einer Kuh, die sich auf einer grünen Wiese befindet und Lachen im Publikum hervorruft. Ein blaues Auto fährt mit knappem Abstand hinter der Kuh her, die gemütlich Gras frisst und als Spielgesellin des Autos auftritt. Es ist eine spielerische und amüsante Szene, die eine angenehme Leichtigkeit in das Stück bringt und den Ausflug aufs Land eines jungen, verliebten Paars einläutet.

Mit einem Weidenkorb und einer karierten Tischdecke machen sie sich ein gemütliches Picknick auf einer Wiese, während Musik vom Radio spielt. Es wird sichtbar, dass der Miniaturmann der junge Dekoninck ist. Diese Szene erweckt im Publikum ein Gefühl von Romantik und Wärme. Das Paar richtet sich an einem ruhigen und schattigen Platz ein, doch wird diese Ruhe immer wieder unterbrochen: Das Muhen der Kuh, ein anderes Auto, dass die Zweisamkeit stört. Nichtsdestotrotz fallen nach und nach die Hüllen: Seine Unterhose wird von Dekoninck auf den Schirm geworfenund das Paar ist vollkommen nackt. Die Zuschauer*innen scheinen sich durch die offene Darstellung überrascht zu fühlen – zwar deutet die Beschreibung im Programmheft „Heißes Picknick“ und die Altersangabe FSK 16! auf die explizite Erotik hin – und nimmt die Entblößung humorvoll an.

Kaum hatte das Paar Zeit ihre intimen Momente weiterzuführen, werden sie erneut von einem Eiswagen gestört, der sich dem blauen Auto nähert. Diese ständigen Störungen werden vom Publikum zunächst amüsant aufgenommen, aber im Verlauf erzeugen sie  eine gewisse Frustration, da man sich wünscht, dass das Paar endlich ungestört ist.

Nach all den Unterbrechungen, die dem jungen Dekoninck auf die Nerven gingen und ihre persönlichen Momente störten, wirft der alte Dekoninck das blaue Auto genervt aus der Miniaturlandschaft und schleudert es vor den Augen des Publikums auf den Boden. Er will endlich seine Ruhe haben will und seine privaten Erinnerungsmomente ungestört genießen.

Bald darauf werden drei Schilder mit der Aufschrift „Danger“ und „Attention“ aufgestellt, „zufällig“ direkt vor der Kamera, um auch vom Publikum nicht mehr gesehen und gestört zu werden und intime Momente genießen zu können. Mit einem Musikwechsel wird die Handlung fortgesetzt, indem eine Diashow mit verschiedenen sexuellen Positionen des Paares gezeigt wird. Die Bilder wiederholen sich nach einiger Zeit, und das Publikum reagiert mit heiterem Lachen auf die Diashow. Der unerwartete Übergang von einer scheinbar unschuldigen Erzählung zu einer humorvollen Darstellung von Erotik wirkte überraschend und betonte letztlich den humorvollen Charakter des Stücks noch weiter.

Der alte Dekoninck hält die karierte Picknickdecke, die er bis heute aufbewahrt hat, da sie für ihn von besonderer Bedeutung ist. Das Bedürfnis, an bedeutungsvollen Erinnerungen festzuhalten, um die Vergangenheit lebendig zu halten, könnte die Zuschauer*innen tief berühren. Applaudierend erhellt sich die Bühne, und ein Schild mit der Aufschrift „Thank you Annette“ wird aufgestellt. Das Stück zeigt auf subtile Weise, wie die Vergangenheit uns beeinflusst und wie wir manchmal versuchen, besondere Momente festzuhalten.

Das Stück ist ab 16 Jahren und das zurecht! Am Anfang dachte man, es sei ein unschuldiges Stück, jedoch wurden humorvolle erotische Szenen gezeigt, die das Gegenteil bewiesen. Der Humor des Stücks war gut ausbalanciert mit den sexuellen Momenten, was jedoch nicht bedeutet, dass es für Personen unter 16 Jahren geeignet wäre.

Für mich war es faszinierend und beinahe unfassbar, wie eindrucksvoll es gelungen ist, eine Geschichte, die sich vor so vielen Jahren ereignet hat, bis heute in einer solchen Lebendigkeit darzustellen. Es fühlte sich an, als wären all diese Ereignisse gerade erst geschehen, als würde man den ersten Tag dieser Erinnerungen noch einmal durchleben. Die Art und Weise, wie die Vergangenheit mit so viel Klarheit und Emotionen wieder zum Leben erweckt wurde, hat mich tief beeindruckt und gezeigt, wie kraftvoll und zeitlos Erzählungen sein können, die so sinnlich inszeniert sind.

Auch für Dekoninck war dieser Tag unvergesslich, da er eine ganze Miniaturlandschaft erschaffen hat, um diesen Tag immer wieder neu zu erleben und in Erinnerung zu behalten. Sogar die Picknickdecke hat Dekoninck behalten, um diesen Sommer für immer in seinen Erinnerungen festzuhalten. Viele Menschen verbinden den Sommer mit unbeschwerten Tagen und Erinnerungen an ihre Jugend, was durch die humorvollen Elemente verstärkt wird.

Die leidenschaftliche Vorstellung zeigte, dass Theater nicht unbedingt auf Worte angewiesen ist. Durch das nonverbale Stück wurden die Zuschauer*innen von den schönen Erinnerungen bewegt und konnten das Stück mit einem Lächeln im Gesicht verlassen.

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