Die aktuelle Kritik

Stefka Ammon & Susi Claus, Berlin: "Wenn alles auseinanderfällt"

Von Alina Lebherz

Wie sich bloß erinnern? Nicht weit vom Ort des blutigen Geschehens entfernt, ringen Susi Claus und Stefka Ammon in der Inszenierung „Wenn alles auseinanderfällt“ um ein Gedenken der Opfer des SA-Terrors 1933 in Berlin-Köpenick und plädieren für Gesprächskreise zwischen den Enkeln der Täter und der Opfer.

In einer schwülen Nacht im Sommer 1933 stand die Sturmabteilung der NSDAP bei Anton Schmaus und seiner Familie vor der Tür. Rief seine Mutter wohl von unten um Hilfe? Oder schrie sie „Schieß, Anton“, wie es später vor Gericht hieß? In jedem Fall leistete Anton Widerstand. Er kam die Treppe herunter, erschoss die drei Männer, die in das Familienhaus eindrangen, und floh. Der 23-jährige junge Zimmermann rannte aufgelöst und weinend bis zum Bahnhof Hirschgarten in Berlin-Köpenick. Hier stellte er sich der Polizei, die ihn tatsächlich zunächst vor der SA zu beschützen versuchte.

„Wenn alles auseinanderfällt“ – so nennen die Figurenspielerin Susi Claus und die Bildhauerin Stefka Ammon ihre Inszenierung, die sich als dokumentarisches Theaterstück die Köpenicker Blutwoche zum Thema nimmt. Nicht weit vom Bahnhof Hirschgarten entfernt, rund 90 Jahre nachdem Anton zu diesem Ort floh, stellen sie sich dem Erinnern. Sie suchen nach einer Art und Weise über das Schwere zu sprechen. Bis zu 500 Menschen bedrohte und folterte die SA in dieser einen Woche. Mindestens 25 von ihnen wurden dabei getötet oder starben an ihren Verletzungen. Anton war einer von ihnen.

"Wenn alles auseinanderfällt" (c) Susi Claus

Eine mitreißende Stärke entfaltet die Inszenierung in solchen Momenten, in denen die Figurenspielerin Claus persönlich wird und die Vergangenheit in die Gegenwart holt. Sie sei in Köpenick aufgewachsen, erzählt sie. Vieles habe sie gar nicht gewusst! Sie redet emotional und nahbar. In ihrer Stimme liegt oft Wut. So entsteht eine ehrliche Entrüstung, die sich auch auf das Publikum überträgt. Währenddessen wird am Rande der Inszenierung von der Bildhauerin Ammon schweigend ein Denkmal aus kaputten Stühlen gebaut. Es sei nicht leicht gewesen diese Stühle im Vorfeld zu zerbrechen, erzählt Claus ganz nebenbei. Mit wie viel Brutalität diese also damals auf den Rücken von Köpenickern zerschlagen worden sein müssten!

"Wenn alles auseinanderfällt" (c) Susi Claus

Wie konnte es passieren, dass Nachbarn zu Folterern und Mördern ihrer früheren Spielkameraden wurden? In einer Nachbarschaft, die sich doch als eine „große Familie“ begriffen hatte? Dies sind die zwei, zugegebenermaßen sehr komplexen, Leitfragen der Inszenierung, die jedoch trotz aller Anschaulichkeit und vieler direkter Zitate von Zeitzeuginnen, leider kaum beantwortet werden. Dass die Zeitzeuginnen in der Inszenierung Puppen sind, ihre Gesichter also abstrakter als die von menschlichen Schauspielerinnen, ermöglicht eine Distanz, durch die das Unaushaltbare aushaltbarer wird bei einem gleichzeitig höheren Identifikationspotenzial mit ihnen. Dennoch bleibt es schlussendlich bei einem fassungslosen Unverständnis über diese Zeit, dem bekannten „Nie wieder“ und einem Apell nach Gesprächskreisen zwischen den Enkeln der Opfer und denen der Täter in Köpenick.

Die Idee der Gesprächskreise, zu denen dann auch direkt im Anschluss eingeladen wird, ist gut. Doch bereitet die Inszenierung diese nur einseitig vor, indem sie in erster Linie die Opfer der Köpenicker Blutwoche in den Mittelpunkt stellt. Sich auf die Angehörigen der Opfer zu konzentrieren, hat gute Gründe. Doch muss hinterfragt werden, ob die Inszenierung sich damit in eine deutsche Erinnerungskultur einreiht, die hauptsächlich über die Opfer redete, damit die Täter:innen nicht zur Rechenschaft gezogen werden mussten, wie beispielsweise der jüdische Schriftsteller Max Czollek kritisiert. Menschen können zwei Mal sterben. Ein zweites Mal, wenn sie vergessen werden, so heißt es. Doch können, fragt Czollek, auch Täter:innen zwei Mal davonkommen?[1]

Gleichwohl bürstet die Inszenierung die vorherrschende deutsche Erinnerungskultur gegen den Strich. Zum einen indem sie sehr eindrücklich zeigt, dass aktiver Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland in der Regel nicht aus der bürgerlichen Mitte heraus, sondern aus kommunistischen und sozialdemokratischen Kreisen kam. Zum anderen, indem sie auch aus der Perspektive eines Landes erinnert, das im deutschen Erinnerungsdiskurs oft unterschlagen wird: das Der Deutschen Demokratischen Republik. Wie Anton und seine Familie in einem Staat erinnert wurden, der sich selbst offiziell als „antifaschistisch“ verstand, und welche Erinnerungskämpfe um Antons öffentliches Gedenken mit der Wende im Jahr 1989 ausgetragen wurden, zeigt die Inszenierung eindrücklich.

Unter den Trümmern solcher vergangener und aktueller Erinnerungskämpfe sind sicherlich noch viele weitere erzählenswerte Geschichten vergraben. Gut, dass Ammon und Claus einen Anfang machen, diese auszugraben.

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Spiel: Stefka Ammon, Susi Claus

Regie: Astrid Endruweit

Puppenbau: Judith Mähler

Premiere: 20.6.2023, Schlossplatztheater Berlin


[1] Czollek, Max; Haruna-Oelker, Hadjia: Trauer und Turnschuh: #2 Das Sterben der Täter:innen. Ein Ende ohne Schmerzen? Erinnerungs-Podcast des S. Fischer Verlags, 28. Februar 2023.

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