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Schauspiel Essen: "Nessun Dorma"

Von Sarah Heppekausen

Kann KI echte Gefühle entwickeln? Regisseurin Elsa-Sophie Jach und Bühnenbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm lassen auf der Bühne des Schauspiel Essen zwei sich liebende Roboter aufeinandertreffen.

29. November 2023

Wenn er geschmeidig seinen Körper dreht, den Pinselkopf zur Seite neigt, dann hat er etwas von einem Schwan. So elegant bewegt er sich und rotiert mit einem leisen Summen, als würde er tanzen. Er ist ARKA, ein Industrieroboter der Firma KUKA, programmiert als malender Künstler („Artkuka aka ARKA“). Als weißer, großer Arm steht er fest positioniert auf einem Podest. Sein Körper hat mehrere Gelenke, in der Verlängerung hält er einen Pinsel, der auf das runde Papier um ihn herum Farben streicht. Zwei seiner Gemälde hängen an den Seitenwänden des Bühnenraums. ARKA wird nicht müde, er dreht sich und malt ohne Unterlass. Mit Stolz und einer gewissen Eitelkeit. – Und zack, habe ich diesem Roboter menschliche Attribute zugeschrieben. Womöglich, weil er in einem Bühnenraum steht, weil nebenher Sterbearien vom Kassettenband laufen, weil ihm Worte und Gedanken zugewiesen werden.

"Nessun Dorma": PUTZINI und ARKA © Thea Hoffmann-Axthelm

Regisseurin Elsa-Sophie Jach, Bühnenbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm und die Programmierer Markus Schubert und Sebastian Arnd haben mit „Nessun Dorma“ ein Stück entwickelt, in der Roboter auf der Bühne die einzigen Darsteller sind, Roboter, die sich lieben und leiden. Die Uraufführung war 2021 in Graz, jetzt zeigt das Schauspiel Essen diesen „musikalischen Liebesdiskurs für zwei Roboter“ im umgebauten Theaterraum ADA, unter der neuen Intendanz von Selen Kara und Christina Zintl. Das Thema ist nach wie vor hochaktuell, die Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz (auch in der Kunst) unerlässlich und die Frage, ob ein Chatbot echte Emotionen entwickeln kann, brisanter denn je. Es war im vergangenen Jahr, dass der Google-Ingenieur Blake Lemoine behauptete, die Sprachmodell-KI LaMDA habe ein Bewusstsein und zeige Gefühle. Der Entwickler wurde kurz darauf aus dem Unternehmen entlassen. In der Wissenschaft komme man mit der Behauptung, aus Maschinen Menschenfiguren zu machen, nicht so weit, meint die Bühnenbildnerin Thea Hoffmann-Axthelm. In der Kunst sieht das anders aus.

Also zurück zur Bühne. ARKA wird geliebt von PUTZINI, einem liebevoll gebauten Saug- und Wischroboter, mit Holzkistenkörper, sich an- und ausschaltender Schreibtischlampe, einem Staubwedel, der wie eine Antenne aufrecht in die Höhe ragt, und einem Handsauger, der ab und an lossaugt – wie aus Verlegenheit oder als Übersprungshandlung eines verknallten Teenagers. PUTZINI umkreist ARKA, im Vorwärtsgang, seitwärts, rückwärts. Handmade-Charme trifft elegante Hightech. Immer wieder halten die zwei Maschinen in ihren Bewegungen inne, blicken sich an (auch wenn sie natürlich keine Augen haben). Es ist der einzige Befehl im Skript, den die zwei Roboter bekommen haben, wie wir nach der Inszenierung vom Team erfahren: „Schaut euch an!“ Gar nicht so einfach für die zwei Maschinen, PUTZINI hat Orientierungsprobleme, auch das hören wir im Anschluss. Beim Zuschauen verstärkt jedes Suchen und Finden, jedes Holpern und jede freie Bewegung den Eindruck einer figürlichen Erzählung.

"Nessun Dorma": ARKA und PUTZINI © Thea Hoffmann-Axthelm

Dazu kommt eine Unterhaltung der beiden, verschriftlicht auf dem Screen, verfasst von Elsa-Sophie Jach, nicht immer direkt greifbar, aber mit absolut erhellenden, dahingeworfenen Äußerungen. ARKA, der malt, weil er im Datenfluss ist, erzählt von seinem Inneren, das in unserem Außen, in unseren Äußerungen liegt. Ja, alles ist Interpretation, ist zugeschrieben durch das Regieteam und durch uns Menschen im Publikum. Und ihre Liebe beschreiben die beiden Roboter so: „Wenn ich dich sehe, steht mein nicht schlagendes Herz still.“ Oder: „Ich will dich auffressen, ohne meinen Hunger zu kennen.“ Das sind Mensch-Maschine-Diskurse, die das Nachdenken über Künstliche Intelligenz und Emotionen spannend machen. Und übrigens auch über die Bedeutung von Oper: „Du kannst nicht singen, weil du nicht sterben kannst“, wirft ARKA PUTZINI vor. Das wirkt nach, PUTZINI ist eifersüchtig auf Puccini und all die Opernarien und saugt kurzerhand das Kassettenband ein.

Die Roboter sind auf „random“ eingestellt, ihre Bewegungen sind zufällig, sie haben gewisse Freiräume. Das ist reizvoll. Aber die Maschine als Spielmacher, als Träger menschlicher Eigenschaften: Das ist seit eh und je die Kunst des Figurentheaters. Die KI erschüttert uns hier – glücklicherweise – nicht weiter.


Schauspiel Essen: "Nessun Dorma"

Ein musikalischer Liebesdiskurs für zwei Roboter

Konzept: Elsa-Sophie Jach, Thea Hoffmann-Axthelm, Markus Schubert, Sebastian Arnd | Unterstützt von: Robert Bücker | Musik: Antoine Daurat, Roberto Fausti | Dramaturgische Begleitung Essen: Maximilian Löwenstein | Mit: ARKA, PUTZINI

Premiere: 25.11.2023
Dauer: ca. 50 Minuten

Hier geht’s zum Stück und weiteren Spielterminen auf der Website vom Schauspiel Essen.

 

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