Die aktuelle Kritik

Schaubude Berlin: Das Festival „Theater der Dinge“

Tom Mustroph

Wer krabbeln kann, kann auch hauen. Vier Jahre ist Tim Sandweg mittlerweile schon Intendant der Schaubude Berlin, und vielleicht lag es daher nahe, das traditionelle Festival „Theater der Dinge“ mit dem frühkindlichen Motto „Kaputt“ zu überschreiben.

Sandweg, gelernter Dramaturg, hatte natürlich auch eine weniger kindliche Herleitung parat: „Ausgangspunkt war die Frage, warum man kaputte Gegenstände so schwer wegwerfen kann. Es ging dann darum, was Versehrung ist und was genau eigentlich ein Ding kaputt macht, um schließlich zum transformatorischen Potential von etwas, das nicht mehr seiner ursprünglichen Funktion genügt, aber vielleicht zu etwas anderem eingesetzt werden kann, zu kommen. Das kann man auf Dinge, aber auch auf Zustände und politische Systeme beziehen.“

Zum blanken Kaputtmachen gesellt sich also das Hacken, verstanden als das Umfunktionieren von Dingen und Geräten. Und gefährlich nahe klingt das auch an der Disruption. Mit diesem Schlagwort begründen die Internetbasierten Dienstleistungs- und Kommunikationsgiganten wie Google, Amazon und Uber ihre Praktiken der Quasimonopolisierung ganzer Geschäftsfelder. In diese Sphären des Weltbeherrschungswahns trat das „Festival der Dinge“ bei seinen insgesamt 14 Produktionen aus elf Ländern dann doch nicht. Jedenfalls nicht ganz offensichtlich.

In „Der Kandidat“, ein Projekt der katalonischen Künstler Marc Villanueva Mir und Gerard Valverde, konnte man solchen Momenten immerhin nahe kommen. Die Bühne war ein Spielfeld, aufgeteilt in 9 x 9 Felder. An jeder Ecke saß eine Spielpartei, die neun Spielfiguren in Form von sehr gewichtigen Schraubenmuttern zur Verfügung hatte. Mörder und Leichenwagen waren unter diesen Figuren, und man konnte trinkend – der Alkoholkonsum wurde durch Ereigniskarten angekurbelt – seiner Mordlust frönen, um dem eigenen Parteichef den Weg zur Macht zu bahnen. Das Strategiespiel soll der Legende nach von Aktivisten der Pariser Revolten 1969 gespielt worden sein – und es war ein schönes kleines Format des Festivals für maximal 12 Teilnehmer pro Spielrunde. Unterschied zu thematisch ähnlichen Spielformaten wie „Kreml“ oder „Junta“ war die haptische Qualität von Figuren und Spielfeld.

An die ganz große Kaputtfrage wagte sich Julian Hetzlers „The Automated Sniper“ heran. Erst stellten zwei sich als schnöselige Konzeptkünstler gebärdende Performer seltsame Installationen aus Alltagsutensilien auf der Bühne zusammen, gaben ihnen skurrile Titel und sprühten die Parole „Make Art Great Again“ auf die im Galerie-Stil gehaltenen Wände. Dann wurden diese Installationen zum Ziel einer hoch an der Decke hängenden Paintball-Kanone. Probandinnen aus dem Publikum – es waren tatsächlich ausschließlich Frauen – beschossen zunächst diese Gebilde. Danach versteckten sich in diesen verwandelten Kunstobjekten die beiden Performer – und wurden selbst zu Zielobjekten. Die sanfte Heranführung über verschiedene Spiel-Levels wirkte wie ein Trainingsprogramm für Drohnenpiloten – erst recht als noch ein Performer aus Bagdad zugeschaltet wurde. Er wurde als erfahrener Gamer vorgestellt und holte allein mit seiner (behaupteten) Herkunft die jüngsten Kriege in der Region ins Bewusstsein.

Wieder mehr in Richtung Objekttheater, wenngleich alles andere als klassisch verstanden, ging die litauisch-kroatische Produktion „Hairy Hairy Mouth“. Die Puppenspielerin und Puppenbauerin Auksė Petrulienė stellt Miniaturpuppen aus Silikon her. Sie sind opak und bedingt beweglich. Petrulienė presst sie zwischen Plexiglasplatten und animiert sie durch diesen Druck. Sie spielt sie auch mit den Händen. Das Spiel erfolgt über einem Lichtkasten, in den diverse Folien gelegt werden, die in den Projektionen mal sphärischen Hintergrund, mal ganz konkrete Objekte und Umgebungen erzeugen. Petrulienė erzählt damit auch eine inhaltliche Kaputt-Geschichte: den Niedergang der litauischen Textilindustrie.

Auffällig war bei dieser Ausgabe des „Festivals der Dinge“ die konsquente Erweiterung der Gattungsgrenzen. Bei den gesehenen Arbeiten waren die flachen Silikonminiaturen Petrulienės noch am nächsten an der konventionellen Vorstellung von Puppen und Figuren. Nur mit Videoprojektionen, Objekten und dem eigenen Körper agierte die Telekinetic Assault Group aus Tschechien bei „Noir AV Ritual“, einer Live-Bearbeitung eines mexikanischen Vampirfilms aus den 1960er Jahren. „Nettles“ von der Schweizer Gruppe Trickster war eine Installation aus etwa einem Dutzend Räumen für jeweils einen Besucher. Man durchlief sie und hörte per Kopfhörer diverse Geschichten von Tod und Verschwinden, die mit dem Interieur der Räume korrespondierten. In der Werkstatt „Kaputt“ konnte man selbst mit Hämmern und anderem Werkzeug auf auszusondernde Haushaltsgerät schlagen. In „Cuteness Forensics“ hingegen zerlegte der britische Performer Tim Spooner im streng wissenschaftlichen Modus eines Forensikers diverse Objekte, während Musikerkollege Tom Richards die Klänge der Zerstörungen aufnahm und musikalisch weiterverarbeitete.

Dieses „Festival der Dinge“ sprengte also die Genregrenzen. Und es begab sich auch ein wenig aus der eigenen Wahrnehmungsnische heraus. „The Automated Sniper“ füllte ganz locker die 600qm große Halle des Radialsystems. Mit „Kaputt“ wurde zumindest für Berliner Verhältnisse das Tor zu einer neuen Dimension in der Wahrnehmung von Objekttheater aufgestoßen.

 

Theater der Dinge
23. – 29.10.2019

https://www.schaubude.berlin/spielplan/festival-theater-der-dinge/

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