Prinzip Rauschen, Figurentheater Osnabrück: „RETRO“
8. April 2025
Die Kassette – ein analoges Medium, das bei der Kritikerin allein durch das Geräusch beim Einlegen in Hülle oder Rekorder sofort ein wohliges Gefühl auslöst. Vielen Kindern von heute sagt das wohl kaum noch etwas. Auch zur Kindheit der Generationen, die nur mit Schallplatte großgeworden sind, gehört die Kassette nicht – nur von den 70ern bis in die 90er war sie der vorherrschende Audioträger. Kein Zufall also, dass die Macher*innen von „RETRO“ (Malte Andritter, Nico Franke, Hans Peters vom Kollektiv Prinzip Rauschen und Petra Jeroma) sich als späte Kassettenkinder dieses Medium zwischen Alt und Jung ausgesucht haben.
Sie ist das strukturierende Element des Abends, der sich auf vielfältige Weise dem Thema Spielen nähert. Jede Szene beginnt mit dem Einlegen einer Kassette in einen alten Rekorder, der auf der linken Bühnenseite in einem hölzernen Turm thront. Was zu hören ist: zuerst nostalgische Melodien, ein Ausschnitt aus den „Drei ???“, dann Tonaufnahmen von Kindern und Senior*innen, die auf Fragen rund ums Spielen antworten. Was bedeutet ‚spielen‘ überhaupt? Und wie viel Wahrheit steckt in dem Klischee, Kinder würden heute nur noch vor Bildschirmen sitzen? Spielen Kinder heute anders als früher?
Dazu oder danach wird gespielt: Verkleiden. Verstecken. Autorennen. Millionär-Sein. Puppenspiele. Barbiewelten. Fantasieabenteuer. Blödsinn. Kämpfen – im Spiel oder vielleicht auch darüber hinaus?
"RETRO": Petra Jeroma, Hans Peters © Swaantje Hehmann
Neben einer Flut an Kassetten und dem Rekorder bilden schlichte Holzkisten und Bretter das Bühnenbild – Materialien, die im Laufe des Abends immer wieder neu arrangiert und bespielt werden. Die Spieler*innen (Hans Peters & Petra Jeroma) durchforsten nicht nur einen Berg alter Kassetten, sondern auch einen Fundus an Kleidung. Es soll das Bild eines Dachbodens entstehen, als Spielwiese voller Möglichkeiten.
Bemerkenswert ist die Entstehung des Stücks durch Kooperationen mit verschiedenen Grundschulen und Seniorenzentren. Kinder und Senior*innen aus Osnabrück und Hamburg Wilhelmsburg waren nicht nur Zuschauer*innen, sondern aktiv am Entwicklungsprozess beteiligt - und sind auch auf den Kassetten zu hören. Dieser Ansatz öffnet Raum für authentische Perspektiven und Erfahrungsaustausch der intergenerationellen Art.
Gleichzeitig zeigt sich im Verlauf des Abends, dass die eingesetzten Objekte – sowohl die Kassetten als auch die Kostüme – gewisse Grenzen haben. Vor allem, weil die Kleidung keine eindeutige zeitliche Verortung ermöglicht und dadurch etwas diffus bleibt – auch wenn sie fantasievoll eingesetzt wird: Material für Verkleidungsspiele, als Pokal des Autorennens, als Accessoire für Figuren, die mit Körperteilen wie Füßen oder Händen dargestellt werden, oder als mystisches Feenbett.
"RETRO": Petra Jeroma, Hans Peters © Swaantje Hehmann
Auch die Kassette verliert im Lauf der Inszenierung etwas von ihrer ursprünglichen Relevanz. Während sie anfangs noch verspielt genutzt, vor- und zurückgespult, zum Spielzeugauto umfunktioniert, gestapelt und wieder umgeworfen wird, wird sie gegen Ende dekonstruiert – das Band gezogen, zu einem Salat verknäult. Aufgrund des Mangels an weiteren Objekten wirkt das Stück zum Ende etwas gedehnt, da sich die Kleidung und auch die Kassette auserzählt zu haben scheinen.
Trotzdem ist die Grundidee – das Gegenüberstellen von Kindheitserfahrungen mit Spiel aus verschiedenen Generationen – stark. Unklar ist allerdings, ob Kinder und Senior*innen sich im Entstehungsprozess tatsächlich begegnet sind, oder ihre Perspektiven eher getrennt eingeflossen sind. Die Ecken und Kanten, die bei einem Stück in Co-Regie mit Kindern vielleicht zu erwarten gewesen wären, bleiben aus. Gelegentlich wäre zudem etwas mehr Klarheit in den Audiobeiträgen wünschenswert gewesen – nicht immer ist nachvollziehbar, worauf genau die zu hörenden Stimmen antworten. Eine größere Varianz an Objekten hätte insgesamt vielleicht zusätzliche Impulse geben können.
„RETRO“ nimmt sich viel vor – und schafft es phasenweise, mit Leichtigkeit und Charme Brücken zwischen Generationen zu schlagen. Auch wenn sich das Spiel mit der Zeit etwas wiederholt, bleibt es ein sympathischer, interessanter Ansatz der neugierig macht auf mehr.
Prinzip Rauschen, Figurentheater Osnabrück: „RETRO“
Von und mit Malte Andritter, Nico Franke, Petra Jeroma, Hans Peters | Junge Co-Regie Mia Mainka, Alma Oetzel, Janisa Pötsch, Naya Qasim, Johannes Schliehe, Jonny Sieg | Produktion Theresa Frey | Grafikdesign Laura Tucholski | Fotos Swaantje Hehmann | Video Lâm Nguyễn Tiến | In Co-Kreation mit Kindern der Grundschule in der Dodesheide, der Kinderbetreuung Froschteich Wilhelmsburg, Senior:innen des SenVital Senioren- und Pflegezentrum und Senior:innen des Katharina-von-Bora-Haus | In Kooperation mit Figurentheater Osnabrück
Premiere: 4. April 2025
Spieldauer: ca. 75 Min.
Alter: ab 6 Jahren
Mehr Infos und Spieltermine auf der Website von Prinzip Rauschen