Endlich!
von Mareike Gaubitz
Lange konnte man in deutschsprachiger Literatur nach einer Beschäftigung mit den afrikanischen Figurentheaterformen suchen; auch der englisch- und französischsprachige Raum bieten nicht allzu viel Auseinandersetzungen mit diesen Themen an.
2019 war es nun endlich soweit: Ingrid Ramm-Bonwitt hat den Band Afrikas magisches Theater. Figurenspiel in Ritual und Alltag herausgebracht. Die Autorin ist schon lange bekannt für ihre Auseinandersetzungen mit der komischen Figur und den Figurentheaterformen Asiens. Ihre Faszination für das Figurentheater drückt sie nicht nur als Autorin aus: Sie ist Sammlerin und stellt im Buch einen großen Teil ihrer privaten Sammlung vor.
Kein Wunder also, dass es ihr in den Schuhen gedrückt haben muss, sich auch theoretisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Ramm-Bonwitt baut das Werk um die Kernbegriffe Vielfalt und Verschmelzung auf. Sie bildet die Vielfalt der Kulturen ebenso ab, wie die Vielfalt des figuralen Einsatzes. Dabei befinden sich die Figuren immer an der Grenze zwischen Theater-, Spiel- und Kultfigur. Ritual und Theater verschmelzen mit Musik und Tanz. Religiöses und Artifizielles fließen in den Alltag ein. Leben und Mythos changieren in und um animistische Lebensrealitäten.
So stehen in Ramm-Bonwitts Untersuchungen die Aufarbeitung von Traditionen, zeitgenössischen Positionen sowie internationalen Begegnungen und Einflüssen im Zentrum. Dabei lässt sie die Auseinandersetzung mit kolonialen Einflüssen nicht außer Acht, sondern diskutiert und kritisiert diese:
"Die Lektüre des Buches" so schreibt die Autorin im Klappentext "vermag ein ganz neues und erweitertes Verständnis für die afrikanische Denkungsart eröffnen." Die Debatte mit und um Afrika, so die Autorin weiter, sei gegenwärtig häufig noch aus einer eurozentristischen Perspektive geführt. Ihr Band soll dem abhelfen und eine afrikazentrierte Perspektive einnehmen. Es ist erfrischend und mehr als nur notwendig Debatten über kulturelle Schätze, die jahrhundertelang unterdrückt und verleumdet wurden, auf eine neue Ebene zu führen und sich diesen Themen zu widmen.
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt die Autorin dabei nicht. Die Vielfalt der Formen und Kulturen wie der Verlust von Wissen durch die Kolonialherrschaft und mündliche Tradierung machen es unmöglich ein umfassendes Bild afrikanischer Figurentheatertraditionen zu zeichnen. Wie so oft in der Geschichte des Figurentheaters wurden auch afrikanische Formen als Randerscheinungen anderer vermeintlich wichtigerer Studien etc. betrachtet oder wurden von den Kolonialherren erst gar nicht als solche erkannt.
Umso mehr war es an der Zeit diese „Randerscheinung“ ins Zentrum zu rücken. Ramm-Bonwitts Band ist mit seinen knapp 500 Seiten ein wundervoller Einstieg und Inspirationsquelle in und für ein Thema, dem man dringend noch mehrere wissenschaftliche Lebenswerke widmen sollte. Denn das Puppenspiel, so stellt die Autorin im ersten heranführenden Kapitel fest, ist auf der ganzen Welt vertreten: „Es gehört in allen Kulturen zu den elementarsten Ausdrucksformen.“ (S. 11) – und ermöglicht so vom Kleinen auf die Zusammenhänge des großen Ganzen zu schließen.
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© Fotografie von Simon Baucks; Figur von Yaya Coulibaly.