LOCO - eine Kritik
Das Stück mit dem Titel LOCO wurde konzipiert und inszeniert von Tita Iacobelli und Natacha Belova und es handelt von der Puppe Poprischtschin und dem Wahnsinn, der sie umgibt in ihrem Kopf. Es geht darum zu zeigen, wie ein Mensch, der an Schizophrenie erkrankt ist, mit seinen Gedanken zu kämpfen hat. Für diejenigen, denen diese Krankheit unbekannt ist: Schizophrenie, auch als schizophrene Psychose bezeichnet, ist eine psychische Erkrankung, die das Denken und die Gefühlswelt der Betroffenen stört und zu Realitätsverlust, Trugwahrnehmungen und Wahnvorstellungen führt.
Ich bin in die Aufführung reingegangen ohne jegliches Wissen außer, dass ich mir ein Puppenspiel ansehen werde. Alles sah sehr düster aus und sehr zentriert, denn es gab keine Ablenkungsmöglichkeiten von dem Bett, was im Fokus mittig auf der Bühne stand. Somit war mein erster Eindruck, bevor alles begann, es würde recht gruselig oder traurig werden, womit ich nicht ganz unrecht hatte.
Das Stück war zwar nicht wirklich gruselig, es sei denn, man fand die Puppe gruselig, denn das sehe ich durchaus im Rahmen des Möglichen. Ich muss zugeben, dass ich am Anfang die hohe Stimme der Puppe recht unheimlich fand, aber ich konnte mich eigentlich schnell an die Stimme gewöhnen. Eins ist klar: man konnte durchaus Kälte spüren in LOCO.
Es begann mit zwei Frauen, die die Puppe geweckt haben und daraufhin direkt mit ihr verschmolzen sind: die Darstellerinnen Marta Pereira und Tita Iacobelli. Dazu muss ich sagen, das Spiel mit der Puppe war Perfektion. Die Darstellerinnen waren eine Einheit mit der Puppe und miteinander, das war ein wahres Spektakel.
Alle Bewegungen waren perfekt einstudiert worden und sahen hundertprozentig natürlich aus (als sei die Puppe am Leben). Sehr beeindruckend war, dass die Darstellerinnen sich nicht mal gegenseitig angeguckt haben und trotzdem genau wussten, was die andere gerade macht, zum Beispiel als sie einen Gegenstand von einer Hand in die andere gereicht haben und dabei mit dem Kopf der Puppe genau richtig die Bewegung des Gegenstandes beobachtet haben.
Besonders faszinierend fand ich den Bezug zur Schizophrenie, als die Köpfe beider Frauen aus dem Hintergrund rausgingen und der Puppe in die Ohren geflüstert haben. In dem Moment hatte ich es begriffen, was ich mir da überhaupt angucke.
Es gab viel Verwirrung in dem Stück, fand ich, denn die Aufführung war auf Französisch, was eine Sprache ist, die ich leider nicht beherrsche, und es gab ein Bildschirm auf dem die englische Übersetzung parallel lief. Das Problem dabei war, dass man sich entscheiden musste, ob man mitlesen will, um zu verstehen, was gesagt wird, oder den Text keine Aufmerksamkeit schenken und sich auf das Spiel fokussieren und beobachten will, was passiert und wie es passiert. Also hier hätte ich mir gewünscht, ich könnte Französisch. Tatsächlich konnte ich mir überraschenderweise ein paar einzelne Wörter aus Spanisch ableiten, aber nur darauf konnte ich mich nicht verlassen, denn sonst wäre zu viel unklar gewesen. Jedoch wenn man diese Verwirrung mit der Verwirrung des an Schizophrenie erkrankten Menschen verbinden würde, müsste man den Sinn, die Aufführung so zu gestalten, erkennen.
Ich war gerührt von dem Stück und das nicht nur auf eine Weise. Mich hat die schauspielerische Leistung der zwei Darstellerinnen höchst beeindruckt, denn ich bin selber Schauspielerin und beobachte immer ganz aufmerksam das Spiel anderer. Die Darstellerinnen waren wahnsinnig gut aufeinander abgestimmt, sowas erfordert ganz viel Übung.
Puppentheater ist etwas Neues für mich und sicherlich nicht mein Fachgebiet, daher versuche ich hier keine Analyse zu liefern oder sonst was, aber ich muss sagen, ich war ziemlich beeindruckt. Ich war völlig überrascht, als ich merkte, Mitgefühl mit einer Puppe zu haben, denn dies hat ihr gefühlvolles Spiel bei mir bewirkt und ich weiß, ich war nicht die einzige Person. Das war sehr beeindruckend.
Außerdem hat mich das Stück auch auf einer persönlicheren Ebene getroffen, denn in meiner Familie gab es drei Personen die an der Krankheit gelitten haben, welche leider schon verstorben sind. Ich habe das Gefühl, dieses Stück hat mich Ihnen ein bisschen nähergebracht, was ich sehr rührend finde. Ebenso war die Thematik, die angesprochen wurde, einfach hervorragend gewählt, denn jeder Mensch hat schonmal an sich gezweifelt und vielleicht auch Liebeskummer verspürt, was somit leicht nachvollziehbar war. Dank der Emotionalität der Puppe konnte man als Zuschauer*innen eine Beziehung zu ihr aufbauen und mit ihr fühlen.
Obwohl es bisher so wirken mag, das Stück war aber auch nicht nur traurig. Es gab ab und zu die erfrischenden humorvollen Stellen, wo alle lachen mussten. Eine Stelle, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist, als die Puppe sich kurz schlafen gelegt hat und dann ein riesiger Fisch aus dem Bett auferstanden ist und ganz langsam dann wegschwamm. Das war beides verwirrend und lustig. Später im Stück tauchte wieder ein Fisch auf, der sich aus den Zeitungen geformt hat, welche die Puppe durchwühlte. Die Bedeutung vom Fisch bleibt unklar, aber vielleicht ist das auch die Intention gewesen. Ich finde die Einbringung der Verwirrung auf so viele Arten sehr interessant denn ich erkläre mir das damit, dass das Ziel davon war, die Zuschauer*innen in den verwirrten Zustand der Schizophrenie zu leiten, was meiner Meinung nach eine super schlaue Idee ist und richtig gut umgesetzt worden ist. Wahrscheinlich sollten die Zuschauer begreifen können, wie es im Kopf einer erkrankten Person aussehen mag. Poprischtschin, die Puppe, redete über seine Gefühle und, was ein Leid er verspürt, da er seine Liebe zu Sophie nicht ausdrücken kann, und dann auch ab und zu so dürres Zeug, was natürlich für das Verstehen des ganzen recht schwierig war, aber ebenso die Parallele eröffnet hat.
Im Großen und Ganzen musste man sich beim Anschauen der Aufführung anstrengen, um zu verstehen, was da gerade passiert und was die tiefere Bedeutung davon ist, und wenn man dies begriffen hat, dann konnte man die Aufführung nur gut finden, denn sie war richtig gut. Die Anstrengung ist es aber auf jeden Fall wert.
Eine gute Aufführung zeichnet aus, dass man im Nachhinein über sie nachdenken muss, weil Fragen auftauchen und Unverständlichkeiten geklärt werden müssen, aber auch weil echte Gefühle entstanden sind und dies ist ja wohl das allerwichtigste. Wir gehen ins Theater um etwas zu spüren. Das Theater ist seit seinem Anfang für die Unterhaltung da, aber es ist eine höhere Form der Unterhaltung und der Kunst. Theater ist einmalig. Ich liebe das Theater, ich möchte zwar lieber im Film spielen als auf der Bühne auftreten, aber ich weiß das Theater auf jeden Fall dafür zu schätzen, was es ist: wunderschön.
LOCO lässt einen eindeutig einiges spüren: die Liebe, die Poprischtschin ganz offensichtlich in sich trägt, Liebeskummer, den er verspürt, weil seine Liebe von Sophie nicht erwidert wird, die Zweifel, die er an sich hat, aber auch die Liebe, die er dann doch für sich hat, Verwirrung der Schizophrenen, Traurigkeit, Freude und Hoffnung.
Ich würde dieses Stück wahrscheinlich nicht Jugendlichen empfehlen, denn die müssen sich noch über vieles klar werden im Leben und auf der Welt, also wäre das vielleicht zu unverständlich für sie. Wem ich es ebenfalls nicht empfehlen würde: ignoranten Menschen oder welchen, die nur Unterhaltung suchen. Meiner Meinung nach sollte LOCO nicht ab 14, sondern ab 16 Jahren sein, denn es ist eben ein schwieriges Stück. Ich würde es gerne Menschen empfehlen, die nachdenken wollen, Menschen, die Mitgefühl mit anderen haben, und Menschen. die sehr reflektiert sind. Sicherlich werden sie die diese Aufführung zu schätzen wissen, wenn sie sich durch etwas hiervon angesprochen fühlen.
Foto: Pierre-Yves Jortay