Young Writers

Wahrheiten, Echtheit, und Artefakte. 5 Exponate regen zum Nachdenken an.

Von Kai Maiweg

Biografien, soweit das Auge reicht: Mit einem raffinierten Spiel der Perspektiven offenbart das KMZ Kollektiv in 5 Exponate, dass europäische Geschichtsschreibung einseitig gestaltet ist.

In ihrer Materialperformance 5 Exponate präsentiert das KMZ Kollektiv verschiedene Perspektiven auf lateinamerikanische Geschichte und Gegenwart. Sowohl eigene biografische Erfahrungen der Performer*innen Laia RiCa, Antonio Cerezo und Yahima Piedra Córdova, als auch für komischen Effekt hyperstilisierte Animationen über das Leben von Alexander von Humboldt werden verwendet, um anhand der „5 Exponate“ die europäische Narrative der Geschichte Lateinamerikas zu untersuchen und zu hinterfragen.

Der Unterschied der ‚Echtheit‘ der zwei soeben beschriebenen Modi der Erzählung, einmal biografisch, einmal konstruiert und übertrieben komisch, ist tatsächlich nur oberflächlich unterschiedlich. Im Moment des Erzählens mag der ‚Cartoon‘ über Alexander von Humboldts Leben, der auf der Bühne präsentiert wird, komplett übertrieben wirken. In dieser Annahme entlarvt sich die europäische Perspektive. Die Benennung von unzähligen Pflanzen, Tieren, Orten, usw. nach Humboldt, oder, dass Humboldt der erste Mensch gewesen sei, der bestimmte Regionen erschloss und Gipfel erklomm, sind, wenn auch auf der Bühne komisch überzogen, ‚Wahrheiten‘, wie sie in Europa noch immer über die ‚Entdeckung‘ der amerikanischen Kontinente erzählt werden. Die Idee, dass Humboldt all diese Dinge ‚entdeckt‘ habe, wird innerhalb des Textes ins Lächerliche gezogen. „Bestimmt hat er meine Vorfahren gefragt“, um die Fledermaus, oder den Kalmar, oder den Berg zu finden.

Das Bild der amerikanischen Kontinente als Räume, die menschenleer waren, bis der Kolonialismus begann, ist doppelt problematisch: Einerseits entmenschlicht diese Behauptung die Menschen, die dort lebten und noch immer leben. Andererseits ist die europäische Idee von „produktivem“ Land ebenfalls höchst problematisch und konträr zu indigenen Konzepte von Koexistenz mit der Natur.1 “The wilderness dualism tends to cast any use as ab-use, and thereby denies us a middle ground in which responsible use and non-use might attain some kind of balanced, sustainable relationship.”2 Der Eroberer Humboldt, der Gipfel bezwingt und alles mit seinem Namen markiert, ist das perfekte Bild für diesen Unterschied.

Der komische Effekt, den der Humboldt Cartoon auf ein europäisches Publikum hat, rührt daher, dass ein Perspektivenwechsel passiert. Das Entdeckernarrativ kann gut die einzige Art und Weise sein, wie Lateinamerika und seine Geschichte von Europäer*innen erfahren wurde. Die Übertreibungen des Cartoons wirken wegen der Parodie einer gefühlten Wahrheit besonders komisch und offenbaren, dass diese ‚Wahrheit‘ eben nicht das Gesamtbild der Geschichte abbildet. Dabei bleibt das KMZ Kollektiv der europäischen Perspektive gegenüber mehr als fair. Humboldts Kosmostheorie wird mit indigenen Lebensweisen verglichen.

Am Ende bleibt die Frage offen. Ist Restitution genug? Wie ist mit etwas so Großem wie dem Kolonialismus, was über eine so lange Zeit solch verheerende lokale und globale Folgen für Mensch und Umwelt hatte und hat, umzugehen? 5 Exponate nimmt sich nicht heraus, die Antwort zu kennen. Die Inszenierung wird stattdessen selbst zu einem Exponat auf einem Weg, dessen Ende noch nicht in Sicht ist.

 

 

1vgl. Cronon, W. The Trouble with Wilderness: Or, Getting Back to the Wrong Nature, In: Environmental History, Vol. 1, No. 1 (Jan., 1996), S. 7-28

2ebd. S. 21

 

Foto: Gabriel Morales

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