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LOCO: Ein Puppentheaterstück Zwischen Wahn und Realität

Von Nazlinur Tepeci

Das Puppentheaterstück LOCO entführt sein Publikum in eine Welt, die nahtlos zwischen Wahn und Realität oszilliert, und hält dabei unserer Arbeitswelt einen erschreckend realistischen Spiegel vor. In nur einer Stunde wird die beklemmende Wahrheit über unser Arbeitsleben eindrucksvoll verbildlicht. Mit meisterhafter Puppenführung und einer beeindruckenden schauspielerischen Leistung wird das Publikum auf eine emotionale und intellektuelle Reise mitgenommen.

LOCO ist inspiriert von Nikolai Wassiljewitsch Gogols Kurzgeschichte „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ und folgt der tragischen Figur Poprischtschin, einem Beamten, der ein trostloses Dasein fristet. Die Hauptrolle, eine Puppe namens Poprischtschin, wird meisterhaft von Tita Iacobelli und Marta Pereira geführt. Regie führten Tita Iacobelli und Natacha Belova. Poprischtschin verliebt sich unglücklich in Sophie, die Tochter seines Vorgesetzten. Geplagt von seinem niedrigen Rang in der gesellschaftlichen Hierarchie, beginnt er, sein Schicksal zu hinterfragen und verfällt in den Wahn, er könne mehr sein als nur ein einfacher Beamter – vielleicht sogar der König von Spanien, da der spanische Thron vakant ist. Dieser Wahn ermöglicht es Poprischtschin, seiner tristen Realität zu entfliehen. Schließlich gelingt es ihm jedoch, sich seinem Wahn zu stellen und die Kontrolle über seine Gedanken zurückzugewinnen.

Die Puppenführung in LOCO ist innovativ und faszinierend. Jeweils ein Bein und ein Arm der Darsteller*innen bilden die Gliedmaßen von Poprischtschin, was die Illusion einer lebendigen, eigenständigen Figur verstärkt. Diese Technik verleiht der Puppe eine fast menschliche Präsenz und Tiefe. Die Inszenierung findet in einem dunklen Raum statt, in dessen Mitte ein Bett steht. Bereits beim Betreten des Theaters wird das Publikum von einer unheimlichen, geigenbetonten Melodie empfangen, begleitet von hallenden Wassertropfen, die die Atmosphäre von Angst und Unbehagen verstärken.

Nachdem sich die Zuschauer*innen hingesetzt haben, beginnt das Stück mit einem lauten Flüstern zweier Frauen, die Poprischtschin zum Leben erwecken. Poprischtschin schildert seinen monotonen Alltag, der auf erschreckende Weise der Realität vieler Menschen heute ähnelt. Diese Nähe zur Wirklichkeit erzeugt eine tiefe Empathie für die Puppe, die trotz ihres unheimlichen Aussehens eine menschliche Dimension annimmt. Tita Iacobelli und Marta Pereira liefern eine herausragende Performance ab. Sie schaffen es, die Puppe unabhängig von sich selbst erscheinen zu lassen, sodass Poprischtschin wie ein schwebendes, eigenständiges Wesen wirkt. Die beiden Darsteller*innen dienen lediglich als Medium, das Poprischtschins Geschichte erzählt.

Poprischtschin, ein hibbeliger und zugleich trauriger Charakter, versteht nicht, warum er trotz guter Bildung und familiärer Herkunft einen so niedrigen Rang in der Hierarchie innehat. In seinem Wahn glaubt er, dass die Hunde Medji und Bijou Briefe schreiben und miteinander sprechen. Diese Vorstellung treibt ihn tiefer in seinen Wahn, bis er sich schließlich für den König von Spanien hält. Ein besonders eindrucksvoller Moment ist, als die Darsteller*innen sich rückwärts auf das Bett legen, ihre Beine in die Luft heben und diese wie Fremdkörper verknoten. Poprischtschins Wahnsinn manifestiert sich in der Vorstellung, dass seine eigenen Beine ihm fremd geworden sind.

Die Inszenierung nutzt physische Symbole, um Poprischtschins inneren Zustand darzustellen. Seine Gedanken werden durch einen Ball aus Zeitungsartikeln verkörpert, der auf ihn zurollt und ihn beinahe zerquetscht. In diesem bedrückenden Moment durchbricht Poprischtschin die vierte Wand: „Now everyone is following my hand.“ Damit verweist er nicht nur auf den Ball, sondern auch auf das Publikum, das seinen Bewegungen folgt. Diese Interaktion verstärkt das Gefühl der Beklemmung und des Wahnsinns.

Tita Iacobelli und Marta Pereira haben mit LOCO eine außergewöhnliche, atemberaubende Performance geliefert, die die Zuschauer*innen tief berührt und sprachlos zurücklässt. Die Puppenführung und die schauspielerische Leistung sind von höchster Qualität und erzeugen eine intensive emotionale Wirkung. Das Stück hat eine eindrucksvolle Wirkung hinterlassen, sodass die Zuschauer*innen nach der Vorstellung nicht aufhören konnten, über LOCO zu sprechen.

Die Performance von LOCO ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Puppentheater tiefgehende menschliche Emotionen und gesellschaftliche Themen aufgreifen und verarbeiten kann. Die geschickte Inszenierung und die dichte Atmosphäre ziehen das Publikum in ihren Bann und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. LOCO ist mehr als nur ein Theaterstück – es ist ein Spiegel unserer eigenen Ängste und Träume, unserer Kämpfe und unseres Wahnsinns, eingefangen in der bewegenden Geschichte eines einfachen Beamten, der nach Größe strebt und dabei an den Realitäten seines Lebens scheitert.

 

Foto: Théatre National Wallonie-Bruxelles