Die aktuelle Kritik

Lehmann und Wenzel, Wilde & Vogel: "Versuche auf der Luft zu sitzen"

von Tobias Prüwer

Schallwellen und Luftnummern am Westflügel Leipzig.

Ein Schwirren und Flirren nimmt den Saal akustisch ein. Wind kommt auf, als sich die monströse Luftqualle erhebt und über die Bühne wabert. Und dabei berührt das ovale Folienwesen immer wieder fast die Zuschauerköpfe. Wellen förmig brandet jenes Element an die Publikumsgesichter, das sich die Spieler im Westflügel als Untersuchungsobjekt auserkoren haben: Luft. Das Oval mit drei Metern Durchmesser bewegt sie, macht sie wirklich physisch spürbar.

»Versuche auf der Luft zu sitzen« ist der vierte Teil einer experimentellen Theaterreihe im Leipziger Westflügel, die sich mit dem Element auseinandersetzt. Nachdem die hierzu zusammengefundenen Spieler vom Figurentheater Wilde&Vogel und Lehmann und Wenzel anfangs mit Maschinen und Apparaten herumprobierten, gerät in diesem Teil ihr Spiel mit den Objekten sehr zart. Fast mit Nichts gehen sie um, um sichtbar zu machen, was uns alle umgibt. Programmatisch orientiert sich Regisseurin Franziska Merkal dabei am Satz des Bauhausarchitekten Marcel Breuer: Irgenwann kämen die Designer mit so wenig Material aus, dass man statt auf Stühlen auf Luftsäulen sitzen würde. Entsprechend hauchfein sind die Materialien dieses Objekttheaters.

Zu Beginn malen die Spieler – Michael Vogel, Samira Lehmann und Stefan Wenzel – Muster in die Luft mit Rauch, filigranem Gespinnst und Staubflocken. Über allem flattert die ganze Inszenierung lang ein weißer Stofffetzen. Ansonsten ist der Bühnenraum leer. Mit nur vier Gumminschnüren spannen die Spieler dann und wann eine Art vom Boden zur Decke führenden Luftschacht ab, den sie bespielen. Ansonsten nutzen sie die Weite und Leere des Raumes, um sie zu füllen. Sie bringen Vögel zum Schweben und Flattern, sähen mit einem Gebläse Wind und ernten Sturm. „Der fliegende Robert“ hat als kleine Puppe einen Auftritt, bevor er davon weht: „Seht ! Den Schirm erfaßt der Wind, / Und der Robert fliegt geschwind / Durch die Luft so hoch, so weit; / Niemand hört ihn, wenn er schreit.“ Und natürlich versuchen die Spieler in einer slapstickartigen Nummer wirklich, auf der Luft zu sitzen – und scheitern bei allen Verrenkungen, indem sie auf den Boden der Tatsachen hinterplumsen.

Diese Ulk-Szenen sorgen für viele Lacher, aber ebenso stark sind die leiseren Luftnummern, die von zarter Poesie erfüllt sind. Dass dieses Wagnis gelingt, liegt insbesondere an der musikalischen Unterstützung. Neben der Musikerin Charlotte Wilde, die vom Akkordeon bis zur Flöte Vieles mit Luftantrieb bedient, sind Mitglieder des Leipziger Gewandhauschors an der Produktion beteiligt. Ihr Gesang – die Kompositionen schuf der Chorleiter Gregor Meyer – untermalt zuweilen das Spiel. Oft tritt der vielstimmige  Chorkörper aber als eigener Akteur auf, bewegt sich durch den Raum und variiert so seine Singpositionen. Einmal steht das knappe Dutzend Menschen dicht gedrängt in dem Luftschacht. Nebel umspielt sie und im düsteren Licht lassen sie barock anmutenden Gesang zusammen mit dem Rauch aufsteigen. Durch ihre auf Schallwellen getragenen Stimmen wird die Luft quasi spürbar so wie der Nebel sie fürs Auge sichtbar macht.

So verschieden die einzelnen Versuche sind, sich der Luft zu nähern, so bilden Musik und Gesang eine wunderbare Klammer. Sie bilden eine Wolke, unter der das Spiel zum Ganzen wird.

 

Premiere: 21.10.2018, Westflügel Leipzig

Lehmann und Wenzel [Leipzig], Wilde & Vogel [Leipzig]
Spiel, Ausstattung: Samira Lehmann, Michael Vogel, Stefan Wenzel
Live-Musik: Charlotte Wilde
Gesang: Mitglieder des Gewandhauschors Leipzig
Chorleitung, Komposition: Gregor Meyer
Regie: Franziska Merkel

Koproduktion mit dem Westflügel Leipzig

Foto: Thilo Neubacher

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