Die aktuelle Kritik

half past selber schuld, FFT Düsseldorf. "What’s Wrong With People?"

Von Kai Maiweg

Der neue Bühnencomic von half past selber schuld präsentiert sich mit sprühend bunter Puppenspielkunst und ausgefeilten Multimedia-Konstruktionen. Am Ende liegt das Menschheitsbild noch schwer im Magen.

7. November 2024

Der typische Style von half past selber schuld ist auch in ihrem neuen Bühnencomic wieder zu sehen. Die Inszenierung läuft episodisch ab, wirkt wie ein Comicheft, in welchem verschiedene Künstler*innen einzelne Kapitel beigesteuert haben, nicht nur wegen der physischen Elemente, welche buchstäblich eine Comicästhetik zitieren, wenn zum Beispiel ein elektrischer Schock durch eine dynamische Effektblase dargestellt wird. Die Animationsstile und Miniaturen für eingespielte Filme, sowie die Puppen und Projektionen auf der Bühne, sind unterhaltsam divers. Das Spiel selbst ist flüssig und teils so ausgezeichnet koordiniert, dass es mit den Animationen auf den Bildschirmen verwechselt werden könnte. Das Tempo ist rasant, es gibt keine Pausen, selbst während des Umbaus wird durch Projektionen eine kürzere Animation oder eine Vorschau auf eine zukünftige Episode gezeigt. Auch die Musik harmoniert mit dem Rest der Inszenierung, sie ist im Ton teilweise kommerziell sorglos und so beißt sie sich herrlich mit den Texten, welche furchtbare Geschichten über die Natur und die Menschheit erzählen.

Ilanit Magarshak-Riegg und Sir ladybug beetle setzen sich mit Zugängen zur Realität der Menschen auseinander: Propaganda und Instrumentalisierung, der Umgang miteinander und mit anderen Lebewesen, die Beziehung zu sich selbst, zum Tod. Schon in der Eröffnung zeigt das Künstler*innenduo seine langjährige Erfahrung mit dem „Bühnencomic“. Ein Politiker präsentiert mögliche Antworten auf die Titelfrage, während cartoon-artige Projektionen Gesagtes und Gesungenes unterstützen. Ist das Problem, dass Menschen arm sind, reich sind, schwach sind, oder die Schwachen ausbeuten?

"What’s Wrong With People?" © Krischan Ahlborn

Zwei Agenten, durch ihre Kopfform und Sonnenbrillen erinnern sie an klassische Aliens, sind auf der Suche nach einem Grund für das menschliche Verhalten. Dafür nehmen sie verschiedene menschliche Organe unter die Lupe, die entkörperlicht an der Wand aufgereiht sind: Ja, Augen zeigen ihren Besitzer*innen Halluzinationen, aber ohne den Mund könnte nie darüber gesprochen werden! Und so geht es weiter über Haare, und das Herz, bis die Schuld schließlich dem Gehirn zugewiesen wird. Das Denken wird als das Merkmal, das den Menschen von anderen Tieren unterscheidet, benannt. Ist es das, was mit den Menschen falsch ist? – Aber auch Kategorien wie „richtig“ und „falsch“ sind ja nur ausgedacht, weil die Menschen darüber nachdenken. Ein Teufelskreis!

Ein paar Kapitel später: Zwei Projektionsflächen rahmen eine Bühne. Die Spielenden wirken nach den Regeln des schwarzen Theaters unsichtbar, wodurch der Effekt des Zweidimensionalen entsteht und die leuchtend bunt bemalten Figuren umso cartoon-artiger erscheinen. Projizierte humanoide Silhouetten beobachten und beschreiben die auf der Bühne anwesenden Tiere Affe und Frosch, erzählen von möglicher Gewalt, welche in Gedankenblasen des Affen visualisiert wird. Der Frosch springt unbekümmert, hellblaue Wassertropfen spritzen comichaft zur Seite. Dann greift der Affe den Frosch wirklich an, schlägt ihn gegen den Boden. Die Beobachtenden erzählen von einem Internetvideo, in welchem ein Affe einem Frosch sexualisierte Gewalt antut, was nun auch auf der Bühne passiert, und denken darüber nach, ob es überhaupt so etwas wie „das Gute“ in der Natur geben kann. Denn auch Menschen, so die Beobachtenden, fänden sich in der Rolle des Affen oder des Frosches wieder, Täter und Opfer.

Wir blättern weiter. Drei Wesen mit Klappmaul spielen gemeinsam mit bunten, vermenschlichten Spielfiguren auf dem Tisch vor ihnen. Es ist das „only game in town“, das buchstäbliche „Gesellschafts“-Spiel, dessen Regeln die Menschen erfunden haben. Die Puppen teilen sich mit ihren drei Köpfen einen Körper und vier Hände. Sie sind zwar geteilter Meinung über das Spiel, müssen aber alle spielen. Warum? Reines Überleben, Druck von anderen Mitspielenden, obwohl das Spiel keinen Spaß macht, oder Gier und Verblendung? Solange weitergespielt wird, muss irgendwann gewonnen werden – eine Anspielung auf Möchtegern-Milliardäre, welche sich Reichtümer erträumen, die sie wegen der Regeln des Spiels, das sie selbst spielen, niemals erreichen werden.

"What’s Wrong With People?" © Krischan Ahlborn

Am Ende bleibt die Titelfrage noch immer offen. Doch besonders die letzte Episode, in welcher der Politiker zurückkehrt, ist schwer mit dem Rest der Inszenierung vereinbar. Natur sei neutral, wir seien Teil der Natur, und daher ist auch alles, was wir tun, natürlich. Alles Schreckliche und Grausame, das wir soeben gesehen haben, ist also Teil der Natur. Das mag rein faktisch wahr sein. Warum sollten moralische Bewertungen des menschlichen Verhaltens innerhalb dieser Natur egal sein, nur weil alle Regeln von Menschen erfunden wurden? Dass etwas als moralisch verwerflich erfunden wird, zeugt von Empathie, es macht uns erst menschlich, auf eine gute Art und Weise. Gegenbeispiele wie dieses fehlen in der Inszenierung komplett. Die letzte Episode will, dass das Chaos akzeptiert wird, sie fordert auf, den „mind cop“ zu töten. Die vorangegangenen Inhalte noch frisch in der Erinnerung, kann dem nicht so einfach nachgekommen werden. Vielleicht ist die Antwort genau deshalb, sich dieser Anweisung zu widersetzen. Denn auch wenn nur die Menschen sich für ihre ausgedachte Moral interessieren, sagt die Inszenierung es am Anfang selbst: „You are people too“. Und so falsch kann das gar nicht sein.


half past selber schuld: „What’s Wrong With People?

Text, Musik, Regie half past selber schuld | Co-Autor Eli Zachary Socoloff Presser | Musikproduktion mit Sven Kacirek, Lex Parka, Dodo NKishi | Grafik Krischan Ahlborn | Live half past selber schuld, Florian Louis Deiss, Marko Erak Bonsink, Johannes Karl, Markus Hilscher, Bruno Belil, Jonathan Peller | Lichtdesign Tobias Heide | Ton Lex Parka Bühnenbild, Puppen, Bemalung Florian Louis Deiss, half past selber schuld, Eli Presser, Julien Deiss, Harald Hofmann, Doris George, Tara Olsen, Simone Letto, Björn Dressler, Eva Pehar, Anna Ignatieva, Lien Weiß, Elena Gutina, Eva Ehrmann | Film half past selber schuld, Krischan Ahlborn | Fotos Krischan Ahlborn | Videodokumentation, Mitschnitt, Trailer K3 Filmkollektiv Julia Franken, Cecilia Gläsker, Barbara Schröer | Kommunikation, Booking Marie Deiss

Premiere: 1. November 2024
Dauer: ca. 80 Minuten

Infos und Termine auf der Website von half past selber schuld und vom FFT Düsseldorf