Die aktuelle Kritik

Puppentheater Halle: Clara

von Franziska Reif

In einer vielgestaltigen Komposition blicken Puppen und Klavierspiel auf Clara Schumanns Leben

Disziplinierte Muse

Als wäre es zum Konzertabend gekommen, schaut das Publikum schon vor Beginn auf eine Bühne mit Flügel und Klavierhocker. Und tatsächlich gibt es ein Konzert: Applaus brandet auf, als Ragna Schirmer erscheint und sich an das gusseisern verkleidete Instrument setzt. An diesem Flügel, so erklärt eingangs eine Stimme aus dem Off, hat Clara Schumann im März 1891 ihr letztes Konzert gegeben – in Wirklichkeit handelt es sich um ein baugleiches Exemplar, das Schirmer vor einigen Jahren erwarb.

Während des ersten Stücks erscheinen Figuren auf der Bühne, kleine oder große Puppe, Gesichter hinter Masken oder maskenhaft geschminkt. Die junge Clara Schumann räkelt sich versonnen auf dem Flügel und bewundert das Spiel der Pianistin. Diese spielt unbeirrt weiter, auch als sie samt Instrument an den Rand verschoben wird und sich hinter dem nun geöffneten Vorhang eine Treppe und an deren Ende ein Raum auftun. So wird sie es auch halten, wenn Robert Schumann oder Claras Vater (Lars Frank) ihr in die Seite puffen und auf diese Weise eine disziplinierte Haltung anmahnen, oder wenn Vater Wieck dem Instrument mit Werkzeug in den Bauch greift – übrigens einer von einigen komischen Momenten der Inszenierung.

Es ist 1891 und Clara Schumann steht vor ihrem letzten Auftritt, nach über 61 Jahren Konzerttätigkeit. Dies ist der Ausgangspunkt für Reflektionen über ihr Leben, ohne eine lineare Biografie zu erzählen. Als Ganzkörperpuppe eigentlich mit einem beschränkten Radius ausgestattet, gelingt es Spielerin Ines Heinrich-Frank, die alte Clara mit einer Vielzahl an Bewegungen und Stimmungslagen auszustatten. Ihre Miene ist mal stolz, mal wütend, sie erscheint verletzlich und müde, grob und leise, selbstbewusst und verzweifelt. Ergriffen hält sie Händchen mit ihrem längst verstorbenen Gatten und ergriffen lauscht sie Schirmers Spiel.

Robert Schumann – mit dessen Wahn sich vor elf Jahren »Toccata« im Lindenfels Westflügel im benachbarten Leipzig befasste – gehörte wie Vater Wieck zu den wichtigen Personen in ihrem Leben. Als stumme Wiedergänger erinnern sie daran, was Clara ihnen verdankt. Sicher nicht zufällig ist es, dass beide miteinander verschwimmen. Der Vater, tadelnd lobender Begleiter auf Konzertreisen mit Werkzeugkoffer, hat Claras Karriere angestoßen. Mit sehnsuchtsvoller Geste beschwört Robert die schönen Zeiten der immer wieder für die Leinwand tauglichen Liebe, die nun – zu Schirmers Spiel wippend – schmusend wiederbelebt werden. Er mag seine Bestimmung in der Klaviermusik gesehen haben, Clara aber auch. Der ist ein über Partituren grübelnder Mann ist keine Unterstützung. Selbstvergessen dirigiert der Bestimmer und Beherrscher, tanzt, korrigiert, entwirft, verwirft. Ein Säugling – in Gestalt einer Kinderspielpuppe – erscheint. Ihm ist das Kind ein lästiges Spielzeug, Clara dieses und weitere Kinder eine Bürde.

Drängende Frage vor dem letzten Auftritt: Wenn das Leben stets ums Klavier kreiste, was bleibt dann? Und wer wird sich an den Namen Clara Schumann erinnern? Des Andenkens wird sich vor allem Tochter Marie annehmen, das Anhängsel der Mutter in überspannt gezeichneter Rolle (Gloria Iberl-Thieme), das versucht, die Mutter herumzudirigieren. Die wiederum hat wohl bewusst dafür gesorgt, der Nachwelt ein bestimmtes Bild zu hinterlassen. Ein bisschen überdreht ist auch James Kwast als Vertreter der jungen Generation – Darsteller Nils Dreschke bringt mit weiteren kleinen Rollen geradezu Slapstick-Dynamik auf die Bühne. Für Clara ist das Alter nicht nur eine Bürde, weil die Gelenke nicht mehr mitmachen. Der Generationswechsel ist überfällig, die Jugend genervt von der unantastbaren berühmten Witwe.

Was all die Jahrzehnte Konzertreisen bedeuten, fasst ein surrealer Trickfilm zusammen: Der Flügel wird per Kutsche transportiert, die Pferde jagen in alle Metropolen Europas. Die Eisenbahn löst eine Rakete ab, die Flügel und Clara in den Weltraum bringt, dazu klingt eindringlich das Klopfmotiv der Waldstein-Sonate – es folgt Szenenapplaus.

Die pantomimisch-stummen Darstellungen und Rhythmus wie Stimmung der Musik sind aneinander angepasst, neben Beethoven und Clara Wieck dominieren Stücke von Robert Schumann. Tempiwechsel der Musik und Farbwechsel auf der Bühne greifen ineinander. Das ist dicht, kurzweilig, ein großes Vergnügen, und Ragna Schirmer ist mehr als die Begleiterin des Bühnengeschehens. Ihr Spiel interagiert ebenso mit den Figuren wie sie selbst, so dass sich die Frage stellt, wer hier eigentlich Clara Schumann ist.

 

 

Premiere 2. März 2018

Regie: Christoph Werner

Bühne und Kostüme: Angela Baumgart

Puppen und Masken: Louise Nowitzki

Videografie: Conny Klar

Dramaturgie: Bernhild Bense

Regieassistenz: Henrike Wiemann

Fotos: Falk Wenzel, Theater, Oper und Orchester GmbH Halle,

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