Young Writers

National Puppetry Festival 2017, St. Paul - Minnesota

Die Figurenspielerin Yvonne Dicketmüller aus Bochum schildert sehr lebhaft ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die sie im Juli in Amerika während des National Puppetry Festivals in Minnesota sammeln konnte. Begeistert hat sie die besondere Verschmelzung von Aufführungen und Workshops, die sich in Deutschland eher selten finden lassen.

Vom 18.07-23.07. fand nach zwei vorgelagerten Intensivkurstagen in St. Paul Minnesota (USA) das National Puppetry Festival 2017 auf dem Campus der Concordia University statt. Die Veranstalter - die Puppeteers of America - haben zu ihrem 80sten Geburtstag ein pralles Festivalpaket zusammengestellt, in dem zahlreiche Workshops rund ums Puppentheater, theoretische Diskussionen im Rahmen des Critical Exchange und ein Professional Day for Teaching Artists and Therapists sowie das integrierte Reel Puppetry Film Festival für Puppenfilme die üblichen Festivalaufführungen von nationalen und ausgewählten internationalen Ensembles ergänzten.

Nachdem ich meinen freien Sonntag mit ein bisschen Sightseeing in Minneapolis verbracht hatte, ging es am frühen Abend neo-klassisch amerikanisch per Huber Taxi mit der extra für diese Amerikaerfahrung heruntergeladenen App auf in die Twin City St.Paul zu dem kleinen Campus der Concordia University. Am Festival Check-In wartete bereits die wunderbare und perfekt organisierte Rosemary Caspar mit meinem persönlichen Festivalzeitplan, meinen Tickets, einem Programmheft, einem PoA (Puppeteers of America) Kugelschreiber sowie wahlweise einem PoA Kaffeebecher oder einer Wasserflasche. Und schon nach wenigen Minuten war ich good to go, um an diesem ersten Pre-Festival Abend die unmittelbare Nachbarschaft zu erkunden. Es dauerte nicht lange, da hatte ich auch schon einen Super Target entdeckt, der kostengünstig einige der kulinarischen Errungenschaften des nordamerikanischen Kontinents anbot: Starbucks regular coffee medium blend, blaue Tortilla Chips und pinke Birthday Cake Pops.

 

Crafting Puppet Films: Pre-Festival Intensive Workshop

Vor dem eigentlichen Festivalstart fanden vom 17.07-18.07. die Intensiv-Workshops des National Puppetry Festivals statt. Ich hatte mich für den Workshop Crafting Puppet Films bei Kameramann, Puppenspieler und Regisseur Alex U. Griffin angemeldet und hatte so die Chance zusammen mit ca. 10 anderen Teilnehmern die Grundlagen des Puppenfilms zu erlernen.

Nachdem wir uns am ersten Vormittag vorrangig mit Fragen, Mitteln, Möglichkeiten und Kosten der Lichttechnik auseinandergesetzt hatten, setzten wir ab dem Nachmittag unsere Bildideen - vorab in Form eines Storyboards schriftlich fixiert - filmisch um. Mit einfachsten Mitteln aus dem bereits erwähnten Super Target, Stoffmäusen von IKEA und dann doch einigem an Technik (eine Kamera, ein (teures) Stativ, zwei große Bildschirme, ein kleiner Kontrollbildschirm, viele Kabeln und diverse - wenn auch einfache - Lichtquellen) entstand unsere Puppenkurzfilmversion einer Äsop Fabel. Dazu wurden auf einem großen Tisch Requisiten sowie ein selbstgestalteter Hintergrund aufgebaut und unsere Puppenakteure gemäß unserer beabsichtigten Shots arrangiert. Unsere erste Kameraeinstellung sollte eine Weitwinkelaufnahme sein (Master wide), die zunächst die komplette Szenerie einfängt und einen Gesamteindruck des Handlungsortes und seiner Akteure vermittelt. Unsere nächste Einstellung war ein Nahaufnahme (Close Up) vom Gesicht einer der Mäuse. Als nächstes sollte dann in der Abfolge unseres Filmes nach einem Schnitt diese Maus in einem Close Up von schräg hinten über ihre Schulter gefilmt gezeigt werden (over the shoulder shot). Da wir für unseren Film mehrere ähnliche Kameraeinstellungen vorgesehen hatten, haben wir gleiche Kameraeinstellungen nacheinachder gefilmt, unabhängig davon in welcher Reihenfolge sie später im fertigen Film zu sehen sein würden. Um uns zusätzlich die Arbeit zu ersparen, die Kamera inklusive aller Kabel an unterschiedlichen Orten aufbauen zu müssen, um aus verschiedenen Richtungen filmen zu können, achteten wir beim Aufbau unseres Settings darauf, letzteres so anzulegen, dass es eine gewisse Mobilität hatte. Im Falle unseres Tisches, haben wir einfach den Tisch gedreht, während die Kamera an ihrem Standort blieb.

Wer jetzt überlegt, sich mal an einem eigenen Puppenfilm zu versuchen, sollte unbedingt darauf achten, genügend Shots zu filmen, um später beim Schneiden des Films ganz sicher genügend Material zu haben, um die gewünschten Szenen mit den einzelnen Kameraeinstellungen auch realisieren zu können. Für den abschließenden Schnitt des Filmes sollte auf alle Fälle genügend Zeit eingeplant werden. Unser ca. 2-minütiges Endprodukt beanspruchte einen kompletten Nachmittag im Schnitt (Voiceover noch nicht mit eingeschlossen) und das obwohl es uns tatsächlich gelungen war, alle Kameraeinstellungen in guter Qualität zu realisieren, sodass wir nichts nachfilmen mussten.

Auf dem National Puppetry Festival wurde unser fertiger Äsop-Fabel Film schließlich im Rahmen des Fringe Festivals gezeigt und ihr könnt euch gerne hier (Link) einen Eindruck unseres Workshop Ergebnisses verschaffen.

 

Professional Day for Teaching Artists and Therapists

Parallel zum zweiten Intensivworkshop Tag lief - ebenfalls im Rahmen des National Puppetry Festivals - der Professional Day for Teaching Artists and Therapists. Hier wurden Workshops und Diskussionsrunden für die vielen Therapeuten, Lehrer, Kindergärtner und Bibliothekare angeboten, die Puppenspiel und -bau zur Wissensvermittlung oder zu therapeutischen Zwecken einsetzen. Bei dem Professional Day  handelt es sich um ein akkreditiertes Programm, für das die Teilnehmer credits erhalten. Diese dienen dazu, den staatlichen Forderungen nach fortlaufender beruflicher Weiterqualifizierung nach zu kommen. In dieser Hinsicht ist die Einrichtung des Professional Day for Teaching Artists and Therapists ein echter outreach zu den vielen nicht hauptberuflichen Puppenspielern in den USA und ermöglicht durch die Integration in ein großes Puppentheaterfestival den Austausch von haupt- und nebenberuflichen Puppenspielern mit ganz unterschiedlichen Arbeitsweisen, Arbeitsschwerpunkten und Erfahrungen. Eine interessante und fruchtbare Einrichtung, die ich so noch auf keinem Festival in Deutschland gesehen habe. Vielleicht weil bei uns eine viel stärkere Unterscheidung zwischen professionellen Gruppen mit häufig universitär ausgebildeten Puppenspielern einerseits und Laiengruppen andererseits herrscht, die es in den USA so (noch) nicht gibt, da es noch kein etabliertes Curriculum für eine universitäre Puppenspielerausbildung gibt? ¹ Oder kommt Puppenspiel in therapeutischem Rahmen in den USA tatsächlich bereits viel häufiger zum Einsatz als in Deutschland?

 

Das Festival

Nach zwei Tagen Filmworkshop begann am Mittwoch schließlich das eigentliche Festival mit einem straffen Programm aus morgendlichen Workshops, gefolgt von zwei nachmittags Shows und zwei bis drei Abendveranstaltungen. Ich werde hier chronologisch geordnet einige meiner persönlichen Highlights skizzieren, dabei aber weitestgehend auf eine Besprechung der vielen großartigen Vorstellungen, die auf dem Festival liefen, verzichten. Wer Wert auf Vollständigkeit legt und sich gern einen Gesamtüberblick über das Festival verschaffen möchte, findet alle Aufführungen und Workshops, die tatsächlich das komplette Spektrum vom Schreiben für das Figurentheater, über Technikkurse, Puppentheateradministration bis hin zum Bauchreden abgedeckt haben, auf der Seite der Puppeteers of America.

QLab – Software zum Steuern einer Aufführung

Mein erstes Highlight war direkt mein allererster Festivalworkshop bei Sean Cawelti vom Rogue Artist Ensemble in LA. Sean führte seine Kursteilnehmer in die Software QLab ein und zeigte, wie man dieses Programm verwenden kann, um eine Show „zu fahren“. Mit QLab lassen sich sogenannte Cues setzen, auf die hin Veränderungen entweder in der Beleuchtung oder der Soundsituation auf der Bühne eintreten sollen. Vor der Show werden diese Cues programmiert und können dann während der Vorstellung abgerufen werden, bei Bedarf auch per Fernbedienung. Ein kleiner Haken sollte aber nicht unerwähnt bleiben: QLab ist bislang nur für Macnutzer verfügbar. Wer wie ich einen Windows PC nutzt, muss sich nach eine passenden Alternative umsehen, wenn er auf diese Weise seine Puppentheateraufführungen digital steuern möchte.

 

Crankie Story Telling

Highlight Nummer 2 war am Mittwochnachmittag die Vorstellung Crankie Storytelling von Katherine Fahey. Die Scherenschnitt Künstlerin erzählte mit Hilfe eines großen Crankies eine Geschichte, die sie mit selbst erdachten und umgesetzten Scherenschnitten illustrierte. Die schwarzen Pappbilder waren auf lange weiße Papierbahnen aufgeklebt, die ihrerseits – ähnlich alten Schriftrollen - auf Holzwalzen aufgewickelt waren. Um nun eine Geschichte vorzutragen, wurde die entsprechende Geschichte in den eigens zu diesem Zweck gebauten Crankie Kasten eingesetzt. Der Kasten ist eine Holzkiste, die Bildschirmartig gearbeitet ist, und hinten offen bleibt. Sobald eine Geschichte in den Kasten eingesetzt wird, kann mit Hilfe von Kurbeln die Bildergeschichte auf der Rolle vorwärts gekurbelt werden.

Fahey begleitet ihre Scherenschnitt Crankies mit Erzähltexten und Gesangseinlagen. Unterstützt wird sie von Valeska Populoh, die hinter dem Crankie - für die Zuschauer fast unsichtbar – sitzt und die Scherenschnitte mit Schattentheaterelementen ergänzt sowie Dan van Ellen, der als Foley Künstler Geräusche beisteuert. Das Ergebnis sind ästhetisch sehr ansprechende, poetische bis aberwitzige Geschichten die mal biographisch angelegt sind und vom Leben starker Siedlerfrauen berichten, mal eher das komödiantische Genre bedienen wenn etwa von Witwen erzählt wird, die erst nachhelfen müssen, damit sich der verstorbene Ehemann auch tatsächlich ins Jenseits versabschiedet.

 

Digital Puppetry in the Modern World of Puppet Arts

Ben Stansberys Vortrag Digital Puppetry in the Modern World of Puppet Arts befasste sich im Rahmen des Critical Exchange (Diskussionsrunden des Festivals) mit einer ganz speziellen Form des Live Puppenspiels: Der Digital Puppetry. Dabei spielt ein Puppenspieler an einer speziell eingerichteten, mit Kameras und Sensoren ausgestatteten Vorrichtung, dem Puppet Rig,  live, aber räumlich von seinen Zuschauern getrennt. Die gespielten Bewegungen und der gesprochene Text werden digital verarbeitet und in eine Animation umgesetzt, die das Publikum schließlich live auf einem Bildschirm sieht.

Stansbery, der selbst als digital puppeteer in der Hershey Chocolate World - einem Themenpark in Hershey, Pennsylvania - arbeitet, animiert auf diese Weise einen sprechenden Schokoriegel, der sich in einer der Parkattraktionen über einen Bildschirm live an die Parkbesucher wendet. Während die live Digitalisierung von herkömmlichem Puppenspiel in eine Computeranimation das Kernelement von digital puppetry ist, liegt hier zugleich ihre größte Schwachstelle: Für Uneingeweihte ist die live gespielte Figur hinter der Animation auf dem Bildschirm oft nicht mehr zu erkennen und von den viel häufigeren digitalen Animationen wie wir sie aus Animationsfilmen kennen nicht mehr zu unterscheiden.  Zu ähnlich sind sich beide Kunstformen einerseits in der ästhetischen Gestaltung und Erscheinung aber auch in der Art und wie Weise wie beide ihren Zuschauern per Bildschirm gegenübertreten.

Ein weiteres Problem der digital puppetry ist, dass sie bislang nur unter erheblichem finanziellen und technischen Aufwand in eigens ausgestatteten Anlagen betrieben werden kann, wie etwa in Freizeitparks oder Filmstudios. Für die meisten Puppenspieler bleibt sie unerschwinglich und somit unzugänglich. Mit Experimenten und einer Weiterentwicklung auf breiter Front ist deshalb in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Dennoch ist es eine spannende Art des Puppenspiels, die schon Jim Henson für sich entdeckt und ausprobiert hat und der sich mit technologischem Fortschritt und hoffentlich sich verringernden Kosten auch andere Puppenspieler zuwenden könnten.

 

Workshop Working with Music

Mein Festivalhighlight Nummer 4 war der Workshop der Musiker Burns & Leva. Mit ihren Instrumenten in der Hand - einer Gitarre und einem Bass - führten die beiden ihren Zuhörern vor, welche Möglichkeiten Musik für das Puppenspiel eröffnen kann. Sie improvisierten musikalische Sequenzen und fragten dann die Workshopteilnehmer, welche Szenen sie bei der gespielten Musik vor ihrem inneren Auge gesehen hätten. Es stellte sich heraus, dass in uns Workshopteilnehmern ganz ähnliche Assoziationen geweckt wurden, wenn wir bestimmt musikalische Muster und Stimmungen hörten. Burns und Leva ermutigten uns Puppenspieler auf Basis dieser Erkenntnisse ganz unkompliziert mit Musikern über unsere musikalischen Wünsche und Vorstellungen mit professionellen Musikern zu sprechen. Mir als Nichtmusikerin war das eine wertvolle Erkenntnis. Es genügt, einem Musiker zu sagen, dass man für eine bestimmte Szene gerne eine traurige Melodie haben möchte, weil man beispielsweise eine Beerdigung spielt. Der Puppenspieler muss dabei nicht so konkret sein und dem Musiker vorgeben, in welcher Ton- oder Rhythmusart das Ganze gespielt werden soll. Letzteres herauszufinden, so die Workshopleiter, ist Aufgabe der Musiker.

 

Puppentheateradministration

Highlight Nummer 5 war ein Vortrag von drei Theaterleiterinnen mit dem Titel "So you want to own your own place". Die Puppentheaterinhaberinnen aus unterschiedlichen Bundesstaaten berichteten über ihre jeweiligen festen Puppentheaterhäuser, die Herausforderungen und Vorteile ein festes Haus zu haben und wie man sich als Puppentheater in den USA mit nur wenigen staatlichen Zuschüssen über Wasser hält.

Einer der Hauptgründe für ein eigenes Haus war allen dreien gemeinsam: Stabilität. Einige hatten zuvor Schwierigkeiten mit Vermietern gehabt, die aus unterschiedlichen Gründen den von den Theatermacherinnen gemieteten Raum zurückhaben wollten. Um ein Theater dauerhaft an einem festen Ort betreiben zu können, wurde die Entscheidung selbst eine Räumlichkeit zu kaufen unumgänglich. Der Kauf einer Immobilie führt zu neuen Herausforderungen etwa was nötige Renovierungen anbelangt, Brandschutzvorkehrungen und natürlich den Unterhalt des Gebäudes. Um sich zu finanzieren greifen alle drei Theatermacherinnen auf eine Vielzahl von Einnahmequellen zurück. Nur etwa 50% des Kapitals wird durch Eintrittsgelder im festen Haus erwirtschaftet. Hinzu kommen Einnahmen aus Tourneen, Fördergelder, Kooperationen, Fund Raising in der Nachbarschaft, Spenden und verschiedenes mehr.

Für mich was der Vortrag eine spannende Einführung in die Herausforderungen, mit denen sich US amerikanische Puppentheater alltäglich konfrontiert sehen. Mit der Finanzierungproblematik als Hauptthema sowie Ärgernissen mit der VISA Beschaffung für internationale Gastkünstler, sind die Probleme amerikanischer Theaterhäuser denen in Deutschland sicher ziemlich ähnlich.

 

Festivalfazit

Das National Puppetry Festival in St. Paul war rundum gelungenes und vielfältiges Event mit nahezu unendlichen Möglichkeiten neue Kontakte zu knüpfen, Dinge auszuprobieren, neue Puppenbau- und spieltechniken zu erlernen und natürlich spannende Puppentheatervorstellungen zu sehen.

Besonders beeindruckt haben mich zwei Dinge: Einmal die heterogene Festivalbesucherschaft, die bereits einzelne kindliche und jugendliche Puppenspieleramateure umfasste, die das Festival allein oder in Begleitung ihrer Eltern besuchten, und dann über etablierte aktive Puppenspieler hinweg bis hin zu pensionierten Figurenspielern reichte und sich natürlich auch auf die vielen bereits erwähnten nicht-professionellen Figurenspieler- und bauer erstreckte. Neben dieser Diversität stach für mich die enorme Hilfsbereitschaft der Puppenspieler untereinander heraus. Tipps und Tricks rund ums Puppenspiel und den Puppenbau wurden großzügig miteinander geteilt und weniger erfahrene Puppenspieler fanden in den etablierten Kollegen kompetente Mentoren in allen  Figurentheatertechnischen Fragen.

Wenn die Konferenz in zwei Jahren wieder stattfindet, bin ich ganz sicher wieder mit dabei.

 

 

¹ Dieser „Mangel“ in der Ausbildungssituation wurde wenige Tage später in einer Diskussionsrunde aufgegriffen und die Forderung nach einer systematischen Puppenspielerausbildung an US Universitäten laut.