Fritz-Wortelmann-Preis

Fritz-Wortelmann-Preis 2011

Im Namen des Vaters – der 42. Fritz-Wortelmann-Preis der Stadt Bochum

von Kerstin Turley

 

Alle zwei Jahre wieder steht er an – der traditionsreiche „Wettbewerb der Stadt Bochum für das Amateurfigurentheater“, kurz gesagt unser „Fritz“. Die anno 1959 vom Initiator und Namenspatron Fritz Wortelmann formulierten Intentionen waren ehrgeizig. Schlagworte wie „Würdigung der kreativen Auseinandersetzung mit der speziellen Theaterform des Puppenspiels“, „Verbreitung des Figurentheaters unter den Amateuren samt Anhebung des künstlerischen Niveaus“ sowie „Förderung von produktivem Austausch und Begegnung“ wurden geprägt und finden bis heute Einzug in die Laudatio von Bochums Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz, die ganz in der Tradition den immer noch hoch dotierten Preis verleiht.

 

Die Stadt Bochum ist stolz auf den „Fritz“ und führt die Pflege des in seiner Form einzigartigen Wettbewerbs weitgehend unangetastet weiter. Was sicherlich im Hinblick auf allgemeine Finanznöte und Einsparungen im Kulturbereich eine Besonderheit darstellt. Eine schöne Besonderheit versteht sich, und Grund genug, einmal genauer hinzuschauen, ob und inwieweit die ursprüngliche Idee des geistigen Vaters noch heute erfüllt wird.

 

Im Laufe der Jahre hat der „Fritz“ wechselnde Rahmenbedingungen erlebt, unterschiedlich viele Gruppen gingen an den Start und jede Ausgabe wurde durch die jeweiligen Teilnehmer und ihre Inszenierungen entscheidend geprägt. Gleich geblieben ist die Ausrichtung durch das Deutsche Forum für Figurentheater, das im Auftrag der Stadt Bochum sowohl die gesamte Organisation als auch die künstlerische Hoheit innehat. Auch Konzeption und Ablauf sind noch so wie damals, als die ersten Teilnehmer für vier Tage nach Bochum reisten, um sich und der Jury ihre Aufführungen in rascher Folge zu präsentieren. Bereits in den Anfängen bildeten die kollektive Unterbringung, die gemeinsamen Mahlzeiten sowie die allgemeinen Diskussionsrunden das grundlegende Setting für den ausgelobten Austausch zwischen den Teilnehmern.

 

Gemäß der Satzung, nach der sich die erwachsenen Amateure mit dem Nachwuchs abwechseln, richtet sich die jüngste Ausgabe im November 2011 an die Schüler und Jugendlichen. Fünf Gruppen stehen in der Konkurrenz, ergänzt durch ein sympathisches Gastspiel der Seniorengruppe „Das Sockentheater“ am Eröffnungsabend. Kurz vor offiziellem Beginn trudeln die ersten Teilnehmer ein – ein wirklich spannender Moment, bekommen doch nun die vielen vorangegangenen Mails und Telefonstimmen der Leiter und Betreuer ein Gesicht. Die Namen der Teilnehmer sind nicht länger bloße Angaben für die Bettenbelegung, sondern ein bunter Schülerstrauß, der sich am ersten Abend erst in Ansätzen sortieren lässt.

 

Angetreten ist zum einen die kurz vor dem Abitur stehende Theatergruppe aus Unterschleißheim, die ausschließlich aus Mädchen besteht und in ihrer geballten Frauenpower eine gewisse adoleszente Reife vermittelt. Auch dabei sind sechs Jugendliche aus Schweich, die bereits bei der ersten Begrüßung trotz (oder wegen?) ihres Förderbedarfs eine Selbstsicherheit ausstrahlen, die Nichtbehinderten ein insgeheimes Wow! entlockt. Dazu gesellt sich das Ensemble aus Freiburg, deren Zusammensetzung erst im Verlaufe der weiteren Gespräche ein wenig durchsichtiger wird.

Und dann begrüßen wir die alten Hasen des Wettbewerbs, die Puppenspiel-AG aus Northeim, die in ihrer aktuellen Zusammenstellung Wiederholungstäter dabei hat. Last not least tritt die jüngste Formation in Erscheinung, die ehemalige 4d der Bouché-Schule Berlin. Die 14 quirligen Jungs und Mädchen sind die Küken, die kleinen Rabauken, die gleichwohl mit großem Interesse und anhaltender Aufmerksamkeit Teil haben am gesamten Geschehen.

 

Alle angetretenen Gruppen haben eine Theateraufführung im Gepäck, die in unterschiedlichen Kontexten entstanden ist und nun vor aller Augen und nicht zuletzt vor der Jury gespielt werden wird. Dazu ist man fernab der heimatlichen Routine, erlebt die Atmosphäre einer außerplanmäßigen Klassenfahrt und verbringt viel Zeit mit den anderen Teilnehmern, von denen zunächst nicht viel mehr bekannt ist als die Stückbeschreibung im Spielplan.

 

Nach der ersten Aufregung über Ankunft und Ankommen laufen die nächsten zwei Tage ab wie geplant: Eine Vorstellung folgt auf die nächste, zu sehen sind selbstgeschriebene Stücke, adaptierte Märchen und Fabeln in individueller Inszenierung sowie ein Schattenspiel ohne Worte. Dabei kommen klassische Handpuppen, Stabmarionetten, Masken und Objekte zum Einsatz, oft kombiniert mit Schauspiel und multimedialen Elementen. Die Bandbreite ist vielfältig, die Ideen sind oft ungewöhnlich, Fantasie und Kreativität gehen einher mit engagiertem Spiel und offenkundigem Spaß an der Theaterarbeit.

 

So weit, so Fritz. Und zunehmend entwickelt die am Eröffnungsabend noch weitgehend unübersichtliche Schar der Kinder und Jugendlichen eigene Profile. Auf einmal ist die Zuordnung der Teilnehmer ein leichtes – da ist die dunkelhaarige Monika aus Unterschleißheim, die so hinreißend gesungen hat, Kurtez aus Freiburg hinterlässt nachhaltigen Eindruck als Erzähler im „Rumpelstilzchen“, Lenni aus Berlin ist nicht nur mehr der coole Kleene aus Berlin, sondern Poseidon im tosenden Folienmeer, und Björn beschreibt nach seiner Schattentheatervorstellung hingebungsvoll, wie und auf welche Weise er die verwendete Lampe eigenhändig gebaut hat.

 

Und schon sind wir genau da, wo uns der alte Fritz vermutlich sehr gerne sieht: Im Eingemachten, hinter den Kulissen, im Austausch beginnend mit den Worten: Wie habt ihr das gemacht? Wie kamt ihr auf das und das? Warum so und nicht anders? Raum und Gelegenheit für diese Fragen des aktiven Austausches gibt es viele, dennoch wird dafür in erster Linie der offizielle Kontext, also die Gesprächsrunden nach den Aufführungen, genutzt. In der Rückschau berichten einige Teilnehmer auch von Flurgesprächen in der Jugendherberge, von unterhaltsamen Begegnungen auf den Toiletten, von vorsichtigen Kontaktaufnahmen zwischen den Vorführungen.

 

Ein wichtiges Verbindungselement stellen die Workshops dar, die üblicherweise nach den absolvierten Vorstellungen angeboten werden. In dem Workshop „Maskenspiel“ ergeben sich schöne Begegnungen, die im gleichrangigen, nonverbalen Nebeneinander beeindrucken. Wie selbstverständlich kommen hier die Gymnasiastinnen und die Freiburger Kids der Förderschule ins Spiel und erleben eine Integrität, die sonst vermutlich kaum zustande kommen würde.

 

Als Höhepunkt sammeln sich die Teilnehmer im Bochumer Rathaus und fiebern gemeinsam der Preisverkündung entgegen. Alle sind sich einig, dass jedes Ensemble individuelle Stärken und Besonderheiten gezeigt hat. Und einig sind sich alle darüber, dass sie nicht in der Haut der Juroren stecken möchten, die aus diesen so unterschiedlichen Beiträgen den oder die Gewinner küren dürfen – oder besser müssen. Und analog zu der durchgängig guten Stimmung während des gesamten Wettbewerbes, zu der allseitigen Aufgeschlossenheit und neidlosen Anerkennung der künstlerischen Leistungen der anderen, wird die finale Ehrung mit Beifall und Einverständnis bekundet.

 

Und was nehmen die Gruppen, abgesehen von den Auszeichnungen, nun mit?

Ein eindrucksvolles Erlebnis, spannende und erlebnisreiche Tage, interessante Ideen und Impulse, die Lust machen auf mehr. Um es mit den Worten einer Teilnehmerin zu sagen: „Ich finde Figurentheater jetzt sehr beeindruckend und möchte weiter machen!“

 

Fritz – Verzeihung, Herr Wortelmann - wäre begeistert. Und würde sich vermutlich genau wie wir auf die Ausgabe für die erwachsenen Amateure im November 2013 freuen, wenn es wieder heißt „Bochum vergibt Fritz!“