Ensemble im Zeichen des Doppelgängers - Puppentheater Halle

von Franziska Reif

Das Puppentheater Halle wird sechzig. Gegründet 1954 unter dem Einfluss osteuropäischer Ensemblekunst, hat das Haus ab Mitte der Neunziger zu nationalem wie internationalem Renommee gefunden.

Dies ist nicht zuletzt das Verdienst des künstlerischen Leiters Christoph Werner, der den Ensemblegedanken stets hoch hielt und damit den „halleschen Stil“ begründet hat. Es ist geradezu charmant, wie die Herzogin Maultasch aufgebracht nach denen tritt, die nicht auf ihrer Seite scheinen. Mit ihren schwarzen Schuhchen kann sie auch entzückend empört aufstampfen. Die Dame wird von mehreren Spielern geführt, das Stück um Ränke, Macht und Landbesitz ist seit einigen Jahren Teil des Repertoires am Puppentheater Halle. Inszeniert in Anlehnung an den historischen Roman „Die hässliche Herzogin Maultasch“ von Lion Feuchtwanger steht die Herzogin sozusagen in der Tradition des Hauses, das für seine Literaturadaptionen berühmt ist, darunter Klassiker wie die „Buddenbrooks“ oder weniger Kanonisiertes wie „Das Geheimnis des Alten Waldes“.


Das Puppentheater selber ist wahrscheinlich die am wenigsten kanonisierte Theaterform. Intendant Christoph Werner erklärt, dass sich sein Haus mit ästhetischen Experimenten einen Namen gemacht hat: „Der ‚hallesche Stil‘ bedeutet eine Mischung von Schauspielern und Puppen, wobei der Einsatz beider meist inhaltlich begründet ist“. Es ist diese Verbindung von Mensch und Puppe, die ganz besondere Konstellationen ermöglicht. Die Beziehungen von Schauspielern und Puppen eröffnen eigene Darstellungsweisen: So agiert die Herzogin auf Augenhöhe mit ihren Gatten, Widersachern und Beratern aus Fleisch und Blut, lediglich eine bildschöne Konkurrentin wird ebenfalls von Spielern geführt. In anderen Inszenierungen lassen sich über das Agieren von Puppe und Mensch die verschiedenen Ebenen des Stoffes trennen und jeweils verdeutlichen. Die Menschen beleben die Figuren und wechseln zum Schauspiel, schauspielern mit Puppen und Menschen gleichermaßen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Spieler und Puppe wird immer wieder neu entwickelt, die Dominanz des Spielers nicht vorausgesetzt. Vorbild und Abbild sind nicht eindeutig, wenn auch nicht beliebig austauschbar – schließlich hat der Puppenkörper keine Kraft, muss jede selbstverständliche Bewegung veranlasst werden. Andererseits, so bringt es Werner auf den Punkt, kann die Puppe den Menschen an sich darstellen und noch viel mehr: Fliegen zum Beispiel kann der Mensch nicht.


Christoph Werner kam 1995 als künstlerischer Leiter vom Erfurter Waidspeicher nach Halle und hat das Haus mit einem Ensemble aus studierten Puppenspielern neu formiert. Bis in die Achtziger hinein konnte vom „Haus“ keine Rede sein, wurde das Theater von Spielort zu Spielort gereicht. 2002 konnte man die Spielstätte mit zwei Bühnen auf der sogenannten Kulturinsel beziehen, die in der Altstadt zentral zwischen Universität und Markt liegt. Seit 2009 ist das Puppentheater Teil der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle. Die Spieler am Puppentheater Halle sind – in der osteuropäischen Tradition des Ensemblepuppentheaters – Ensembleleute, sind gute Schauspieler und gute Puppenspieler zugleich.


Als Ensemblepuppentheater stechen die Hallenser zudem durch ihre vergleichsweise großen Produktionen im Abendspielplan heraus. Nach der Wende hat das Haus für Erwachsene wie Kinder gespielt und dabei viele Erwachsene angezogen: „Wir hatten im Abendspielplan eine bessere Auslastung als im Kinderspielplan“, sagt Werner. Als erste Kürzungen verordnet wurden, war die Verschlankung des Angebots das Mittel der Wahl, der Fokus auf die Erwachsenen wurde verstärkt, das Angebot für Kindergärten und Schulen eingestellt. Das zog das erwachsene Publikum umso mehr an: „Wir sind das einzige Ensemble-Puppentheater, das zu achtzig Prozent für Erwachsene spielt.“ Und es wird in der ganzen Stadt gewürdigt: Niemand belächtelt das Haus, ganz im Gegenteil engagiert man sich gerne für das örtliche Puppentheater.


Das gerne als „renommiert“ apostrophierte Theater hat seit den 1990ern einige Preise erhalten – zum Beispiel den Preis der Jugendjury beim Internationalen Puppentheater-Festival Synergura 2000 oder den Marburger Kinder- und Jugendtheaterpreises 2005 – und neben Märchenklassikern so unterschiedliche Stoffe wie das Leben von Maurice Ravel („Konzert für eine taube Seele“), „Das Bildnis des Dorian Gray“, „Romeo und Julia“ oder „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ auf die Bühne gebracht. Der gute Ruf lässt sich auch am Programm anlässlich des runden Jubiläums ablesen: Wenn in diesem Jahr 60 Jahre Puppentheater gefeiert werden, dann bindet die Festwoche „Doppelgänger – Von Puppen, Menschen und Maschinen“ Akteure aus der ganzen Stadt ein. In den Franckeschen Stiftungen räsoniert die Ausstellung „Lebensgefährten“ über Puppen als „Erzieher, Spielzeug und Ansprechpartner“, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina veranstaltet ein Science-Dating und eine Talkrunde, bei der Puppen über sich selbst reflektieren, die Stiftung Händelhaus zeigt die Ausstellung „Das mechanische Herz“ über Automaten in der Musik und der Kunstverein Talstraße versammelt Exponate unter dem Titel „Die Puppe in der klassischen Moderne“. Die dem filmischen Genre verschriebene Werkleitz-Gesellschaft widmet sich dem Thema in sieben Programmen vom Wiedergänger bis zur Bildprojektion.


Das Puppentheater hat Geburtstag und Wissenschaft, Kunst und Politik feiern. Dabei erstreckt sich der Wirkungskreis des Hauses weit über die Stadtgrenzen hinaus. Von den jährlich 20.000 Zuschauern werden bis zu 5.000 bei Tourneen im Ausland erreicht, zu den fünf neuen Inszenierungen im Jahr gehören auch Koproduktionen, darunter mit den Wiener Festwochen oder dem Staatstheater Stuttgart, und Gastspiele bei vielen Festivals von Osaka über Bombay, Toronto, Basel und Edinburgh bis nach Erlangen. Mindestens einmal pro Spielzeit kommen auswärtige Künstler in die Saale-Stadt, so etwa die Inszenierung von „Shakespeares Sonette“ durch die Berliner Nico and the Navigators.


Innerhalb der GmbH ist der Stand ebenfalls gut, weil das Ensemble beste Auslastungszahlen vorweisen kann. Die Herausforderung für die Zukunft sieht Werner in der Überschaubarkeit der Puppenszene auf der einen und des kleinen Hauses auf der anderen Seite – derzeit gibt es acht Spieler. Er hofft, dass das kleine Theater lebendig bleibt, das Publikum weiterhin begeistern und auch überraschen kann, ohne zu verschrecken. „Das erfordert Mut und Erfahrung und ist auch harte Arbeit. Dass uns das noch einige Jahre gelingen möge, das wünsche ich mir.“


Zur Homepage des Puppentheaters Halle: buehnen-halle.de/puppentheater
Zum Jubiläumsfestival: www.doppelgaenger.de