Künstler / Akteure

Gedanke und Welt - Die Dramaturgin Kathi Loch

von Astrid Griesbach

Ein Tag im frühen Sommer 2010. Ich gehöre zu einer kleinen Gruppe Interessierter, die an einer Stadtführung durch Düsseldorf teilnehmen. In Gera!

Ein mir scheinbar bekannter Weg durch die Stadt Gera bekam eine Verzerrung. Die Stadtführung wurde von der aus Düsseldorfer stammenden Dramaturgin Kathi Loch angeführt. Der Brunnen vor dem Geraer Rathaus wurde zum Narrenbrunnen und zum Beweis krächzte aus einem kleinen Kassettengerät Karnevalsmusik. Düsseldorf?

Der seltsame Geraer Straßenzug „Hinter der Mauer“ bekam eine neue Historie, einfache Wohnhäuser wurden zu edlen Einkaufstempeln und eine unscheinbare Ecke zu einer Diskothek, in der die Stadtführerin früher verkehrte –  zum Beweis wurde aus dem kleinen Beutel das T-Shirt geholt, welches sie damals trug. T-Shirts lügen nicht. Mein Blick verschwimmt, der alltägliche Weg wird verrückt, aus der Mitte gezogen und gibt andere Sichtachsen preis. Gera beginnt sich zu verändern. Heine war hier. Hier? Vollends in Düsseldorf angekommen ist die kleine Gruppe, als Kathi am Ufer der Weißen Elster aus dem Kofferraum ihres dort geparkten Autos ein paar Flaschen Altbier, wie zur Vollendung ihrer Übermalung, hervorzaubert. Wir waren in Düsseldorf. Ein Düsseldorf, das es nur in Gera gab.

 

Diese Stadtverführung zeigt viel von Kathi Lochs Gedankengängen, klassisch klar mit einem wunderbaren Knacks UND sie zeigt ihr Interesse für eine Theatralität, die im Betrieb des Stadttheaters Grenzen auslotet.


„Ein großes Glück, in das System Gießen eingetaucht zu sein, zwischen Kunst und Wissenschaft pendelnd“, sagt sie zu ihrem Studium am Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. „:... wir wollten was lernen und danach mal sehen was man daraus machen kann,  ich bin ein unextremer Mensch“. Ihre Gelassenheit ist ansteckend. Vielleicht kommt daraus auch ihre Zuneigung zu den Dingen, denn um sich Dingen widmen zu können, braucht es den Blick, den Augenblick, braucht es Zeit und das vielleicht kostbarste was wir geben können: Aufmerksamkeit.


„Dinge auf der Bühne“ heißt ihre Dissertation, mit der sie 2008 an der Freien Universität Berlin promovierte:

 

„Requisiten, Kostüme, Masken, Puppen, Bühnenbildelemente, ... Dinge waren auf der Bühne schon immer allgegenwärtig, heute sind sie es in einer nie gekannten Formen-und Funktionsvielfalt. Aus Sicht der Theaterwissenschaft stellt sich deshalb die Frage: Was sind Analysekategorien für Theaterdinge, die sowohl der spezifischen Darstellungsform Theater, als auch der „Dingheit der Dinge“(Heidegger) gerecht werden. „Dinge auf der Bühne“ entwickelt eine flexible Typologie, mit der die vielfältigen Ebenen der Dingwahrnehmung im Theater präzise abgegrenzt, benannt und in ihrer Interaktion beschrieben werden können..“


Soweit der Eindruck aus dem Klappentext ihrer Doktorarbeit. Was da nicht steht, ist Kathi Lochs eigenwillige Vision „...wenn ich mal dement bin, werde ich Messi, ich werde ungezügelt Dinge anhäufen, sich von Sachen zu trennen, tut mir weh“.

 

Und: ihre Ohren! Sie ist eine wunderbare Zuhörerin, einfach hinhören, das Gegenüber reden lassen, mal hier nachfragen, mal da kurz intervenieren und wieder zuhören, solange, bis man als Gesprächspartner zu einem neuen, oder klärenden Gedanken gekommen ist, im festen Glauben auf diese Lösung ganz alleine gekommen zu sein. Diese wahrhaft uneitle Eigenschaft ist der Kern einer außergewöhnlich leichten Zusammenarbeit; das Wissen der Dramaturgin geht mit ihrer Neugier eine Symbiose ein, die neue Überlegungen, Seitenwege und Kontroversen zulässt und doch im Sinne einer Theaterproduktion die lockeren Fäden fest im Blick behält.

 

Die Bühne ist ihr dabei Raum für Umwidmungen – da sind die Dinge wieder, Partner ihres Denkens. Sie interessiert sich für Dinge, die Bedeutungen tragen, kulturgeschichtliche und alltägliche, die im neuen Kontext auf neue Reisen gehen, und sie sucht nach Dingen ohne vordergründige Bestimmung, ohne Repräsentationslogik, sozusagen „weiße Blätter“. In dieses Gedankengebäude gehört nicht zuletzt die Performance Art Platz, die nach Ansicht von Kathi Loch auch im Stadttheatergefüge einen kreativen Ort finden kann. Das Überraschende im Spielbetrieb hat für sie viel mit dem eigenen Denken zu tun, mit der Entgrenzung von Vorstellung, der Umsetzung des Denkbaren mit vollem Risiko – gute Experimente scheitern, wenn sie scheitern, immer mit Gewinn! Ihr Ideal ist ein Betrieb/Apparat, der dieses Risiko zulässt.

 

Am Theater Junge Generation Dresden, dessen Chefdramaturgin Kathi Loch seit 2011 ist, reizt sie, dass das Haus aus einen dramaturgischen Gedanken heraus geleitet wird. Dass in diesem Kinder- und Jugendtheater genau auf ein Publikum hin produziert wird „...klingt eng, aber erleichtert auch, lustvoll Grenzen als Freiraum zu begreifen“. Sie sieht sich nicht in einer Nische; Spezialisten sind wichtig und im Übrigen, meint sie, gibt es keinen Unterschied zwischen dem Kindertheater und dem Rest der Welt. Tiere und Prinzessinnen sind nicht weniger welthaltig, die Inhalte sind nicht weniger wichtig. Kinder wissen es noch!

 

Foto: Kathi Loch bei der Stadtführung. Foto Stephan Walzl