„Ein Algorithmus ist auch ein Objekt“. Über den Studiengang "Spiel && Objekt"

Von Tom Mustroph

Die sieben Teilnehmer*innen des ersten Jahrgangs "Spiel und Objekt" der Hochschule „Ernst Busch“ haben inzwischen die Probe- und Seminarräume verlassen. Der Masterstudiengang, eingerichtet vom Medienkünstler, Softwareentwickler und Regisseur Friedrich Kirschner, beschritt in der Verbindung von Technologie und Objekttheater Neuland. Im Interview erzählt Kirschner, was die ersten beiden Jahre dieses neuen Ausbildungswegs gebracht haben, womit die Absolvent*innen sich vertieft beschäftigt haben und was zu zeitgenössischem Objekttheater alles dazugehören kann.

Friedrich Kirschner © Martina Thalhofer

Friedrich Kirschner, der erste Jahrgang des Masterstudiengangs "Spiel und Objekt" ist mittlerweile fertig. Wie fällt für Sie ein erster Rückblick aus? Was hat gut geklappt? Was hat Sie überrascht? Wo muss man vielleicht noch nachjustieren?

Das war natürlich eine aufregende Zeit, so etwas das erste Mal zu machen. Und es hat sich ja auch wahnsinnig viel getan in den zwei Jahren. Einerseits räumlich, denn am Anfang sind wir noch in einem sehr, sehr kleinen Raum gewesen und später dann umgezogen. Positiv überrascht hat mich, wie viel Vertrauen von Anfang an da gewesen ist, gerade von den vielen Partnerinnen und Partnern. Wir haben relativ früh sehr gute Partnerinstitutionen gehabt, die mit uns zusammengearbeitet haben, das Center for Literature in Münster zum Beispiel, aber auch das Schauspielhaus Hamburg. Dieser Zuspruch hat uns sehr gefreut. Es ist auch nicht normal, dass so etwas so frühzeitig schon klappt.

Ein Vertrauensvorschuss in den Pionierstudiengang also?

So kann man es sehen, ja. Insgesamt habe ich selbst auch sehr viel gelernt von den Studierenden. Wir haben viel miteinander verhandelt, was das ist, was wir da machen, also ob wir eine Ausbildungsstätte sind, ob wir eine Kunsthochschule sind, wo am Ende Medienkunst bei rauskommt oder wo genau wir uns im Theater verorten.

Wie lautet die Selbstdefinition?

Das ist weniger, wie wir uns definieren, sondern mehr, wie uns die Künstlerinnen und Künstler, die mit uns diese zwei Jahre verbracht haben, sehen. Wir haben von Anfang an versucht, sie sehr ernst zu nehmen und dann zu schauen, in welche Richtung sie gehen und wie wir sie auf ihrem künstlerischen Weg unterstützen können.

Die künstlerischen Wege sind sehr unterschiedlich, das lässt sich zumindest an den Arbeiten ablesen, die entstanden sind. Haben Sie diese Heterogenität so gewollt und so gefördert, oder es hat sich ganz natürlich aus den Interessen und Vorlieben der Studierenden ergeben?

Natürlich haben wir einen gewissen Rahmen vorgegeben. Es war wichtig, eine fundierte Auseinandersetzung mit Technologie zu haben, dass es eben nicht nur darum geht, sich hier und da etwas anzuschauen, sondern selbst Dinge zu machen. Und natürlich haben alle – wir sind ja ein Masterstudiengang – sehr verschiedene Dinge mitgebracht. Das war etwas, was uns schon ganz am Anfang besonders gefreut hat. Das spiegelt sich jetzt auch am neuen Jahrgang, dass es eine heterogene Mischung von Leuten ist, in allen Bereichen, altersmäßig, aber auch im Hinblick darauf, was die Einzelnen vorher gemacht haben, wie sie die Welt sehen, welchen sozialen und gesellschaftlichen Hintergrund sie haben. Sie hatten, was ich auch interessant fand, sehr unterschiedliche Haltungen dazu, wie eigentlich ihr Alltag strukturiert ist mit und ohne technologische Kommunikation. Nicht alle sind auf Instagram gewesen und nicht alle fanden Videospiele super.

Jetzt aber müssen alle als Arbeitsmittel Instagram und TikTok beherrschen, und wer nicht zum Gamer geworden ist, drohte zwischendrin rauszufliegen?

Nein, natürlich nicht, aber ich glaube, alle können dazu jetzt fundiert etwas sagen und alle haben eine Haltung entwickelt und diese Haltung geschärft. Das heißt nicht, dass im Anschluss alle, die durch das Studium gegangen sind, Instagram benutzen. Aber wenn sie es nutzen wollen, dann könnten sie dazu eine künstlerische Haltung generieren und entscheiden, das ist etwas, das ich machen wollen würde oder eben nicht. Es geht nicht darum, dass wir vorgeben, mit welchen Werkzeugen gearbeitet werden soll. Das Wissen, das wir vermitteln wollen, ist viel grundständiger.

Um welche Art von Wissen geht es da ganz konkret, welche Kurse sind das?

Neue Medien und Gesellschaft beispielsweise, als Grundlage für eine gemeinsame Sprache. Eine Auseinandersetzung mit dem Situationsbegriff. Aber auch Java programmieren mit Processing. Es geht darum herauszufinden: Was ist Code, wie ist Code strukturiert, was ist Augmented Reality, was ist Virtual Reality? Das haben alle mal selber gebaut und auch mitbekommen, wie tief man da jeweils reingehen kann. Wir gehen bis zu einem gewissen Punkt gemeinsam, und wo die Einzelnen dann weiter reingehen wollen, ob das dann zum Beispiel Arduino ist – auch so ein Themenbereich, den wir stark abbilden –, ob sie einen eigenen Roboter bauen oder Augmented Reality-Sachen im Stadtraum machen wollen oder interaktive Theaterstücke entwickeln – bei dieser künstlerischen Arbeit unterstützen wir sie dann individuell. Und da sind dann auch extrem unterschiedliche Arbeiten rausgekommen.

Ja, die Vielfalt ist extrem beeindruckend. Fabian Raith machte Augmented Reality-Spaziergänge, Anton Krause war in VR unterwegs, Leonie Voegelin und Anna Vera Kelle operierten viel mit Sensoren. Gab es dann aber noch eine gemeinsame Basis?

Die Gemeinsamkeit liegt vor allem darin, dass es bei allen eine Auseinandersetzung mit dem gibt, was sie gerade in der heutigen Zeit für wichtige Themen halten. Technologie ist so ein zentrales Thema. Aber ich glaube, niemand sagt, er oder sie mache Technologie, weil es cool ist. Sondern man sucht sich immer nur ein Mittel aus, um etwas bestimmtes Gesellschaftliches und Kulturelles ausdrücken zu wollen. Also das, was Kunst eigentlich ausmacht.

Weil die Herkunft des Studiengangs ja Puppenspiel und Objekttheater ist: Wie viel Puppe, wie viel Marionette, wie viel Objekt steckt eigentlich noch in diesen künstlerischen Prozessen und wird mit den geschilderten Werkzeugen bearbeitet?

Marionette gehörte nicht zu den Werkzeugen. Und Puppe bedeutet ja nicht erst seit diesem Studiengang die Auseinandersetzung mit Objekten, wie sie gesellschaftliche Verhandlungräume strukturieren. Das Smartphone ist ja auch ein Objekt. Es stellt sich die Frage, wer interagiert da gerade mit wem? Und es wird dann interessant, wenn es darum geht, ob ein Algorithmus ein Objekt ist. Handelt es selbst? Wie wird Kommunikation strukturiert durch Objekte und durch Technologie?

Wenn ein Code Objekt ist, wie wird dieses Objekt dann animiert, und vor allem durch welche Instanz?

Das hat viel mit subjektivem Empfinden zu tun. Wann habe ich das Gefühl, dass ich ein Telefon benutze, und wann habe ich das Gefühl, dass ich vom Telefon in eine bestimmte Art der Benutzung gedrängt werde? Das ist ja nicht abgeschlossen. Und dementsprechend ist es wichtig, dass da eine künstlerische Haltung dahinter steht, die uns immer wieder bewusst macht, wie wir mit Objekten umgehen.  

Wie sehen Sie das Berufsfeld für Ihre Absolvent*innen? Die sind jetzt sehr vielseitig ausgebildet. Welche Institutionen sind überhaupt bereit, ja fähig, mit ihnen zusammenzuarbeiten? Das setzt ja auch eine gewisse technische Infrastruktur und ein gewisses Produktionsverständnis voraus, das ich zumindest im Theaterbereich nicht sonderlich ausgeprägt finde. Für welchen Markt bilden Sie also aus?

Ich bin der Meinung, dass wir eine Kunsthochschule sind und uns eigentlich nicht daran orientieren sollten, ob die Menschen, die wir ausbilden, nach dem Studium damit Geld verdienen. Die künstlerischen Räume, die wir schaffen, möchte ich nicht an irgendeiner Form von Markt ausrichten. Natürlich unterhalten wir uns darüber, in welchem Bereich wir unterwegs sind und wen es da sonst noch gibt. Wir haben auch Konferenzen veranstaltet und versuchen, Netzwerke zu schaffen, auch als Institution Hochschule.

Was wird jetzt im zweiten Jahrgang anders? An welchen Stellschrauben im Curriculum drehen Sie nach den Erfahrungen aus der ersten Runde?

Die größte Änderung ist ja, dass ich nicht mehr alleine bin, sondern mit meiner Kollegin Hannah Perner-Wilson eine wirklich fantastische Künstlerin den Studiengang mitbetreut. Und natürlich kann man immer Dinge anders machen. Beim Theoriebogen würde ich etwas umstellen, Positionen aus dem globalen Süden zum Beispiel stärker auf die Leseliste aufnehmen und auch das eine oder andere verschieben. Andererseits finde ich aber auch, dass man nicht immer gleich alles anders machen soll. An der Gesamtstruktur wollen wir festhalten – deshalb, weil eben immer sehr unterschiedliche Menschen kommen, die ganz andere Dinge mitbringen. Bei der kleinen Gruppengröße, die wir haben und die ich schön finde, sorgt das von vornherein für andere Arten der Auseinandersetzung. Das fließt situativ immer in den Unterricht ein. Bevor wir stärker verändern, wollen wir erst ein bisschen mehr Datenlage haben. Um Unwuchten zu sehen, muss man auch erst eine Weile schauen, wie das mit unterschiedlichen Menschen läuft. Dann kann man später viel besser nachjustieren. Fundamental etwas ändern würde ich erst nach drei Jahrgängen.

 

Titelfoto Studiengang: © Friedrich Kirschner

Weitere Informationen finden sich auf der Website des Studiengans