Künstler / Akteure

Feste Größe - Der Puppenspieler Wilfried Reach

von Tobias Prüwer

Von der Ein-Mann-Nische zur Sparten-Säule: Vor 21 Jahren begann das Puppentheater am Leipziger Theater der Jungen Welt als zartes Pflänzlein. Puppenspieler Wilfried Reach war von Anfang an dabei.

 

»Vielleicht spielen wir 2013 in Sibirien«, platzt es aus Wilfried Reach mit einer Mischung aus Vorfreude und Übermut heraus. Soeben hat er  »Peter und der Wolf«, den Bestseller der Leipziger Puppensparte, auf Gastspielreise in der Schwarzwaldstadt Lahr gespielt und ist prompt nach Russland eingeladen worden.

Die Reise werde man schon irgendwie stemmen, meint Intendant Jürgen Zielinski – hoffentlich. Seit 2002 führt er das Kinder- und Jugendtheaterhaus in Leipzig und will die von seinen Vorgängern geschaffene und von ihm ausgebaute Sparte keinesfalls aufgeben.

Puppenspiel fristet am Theater der Jungen Welt (TdJW) kein stiefmütterliches Dasein: »Es ist ein wichtiger Bestandteil unserer Hauskonzeption und bei allen Kürzungsszenarios, die gerade die Kulturlandschaft Leipzigs heimsuchen, wollen wir sie halten.« Von keinem der drei Figurenspieler, die das Ensemble bilden, wolle er sich trennen.

Einer davon ist Wilfried Reach – von allen nur Willi genannt. Und Willi ist von Anfang an in der   Puppentheaterabteilung des Hauses dabei, die als von ihm gegebene Ein-Mann-Sparte 1991 mit der Inszenierung »Algot Storm« entstand.     Dass es zuvor kein kommunales Figurentheater gab, sei keine böse Absicht gewesen, so Reach. »Man hatte kein Interesse an oder Verständnis für das Puppenspiel damals in Leipzig. Es gab ganz einfach deshalb kein kommunales Puppentheater, weil es die Stadt nicht unterstützt hat.«

Er selbst ist früh für das Spiel mit den Puppen entbrannt. Im Jahr 1953 geboren, hat er diese Kunst im sachsen-anhaltinischen Halle im Pioniertheater durch den später berühmten Frieder Simon und dessen Vater Gerhard Simon kennengelernt. Im Theater Halle spielte Reach als Kinderdarsteller und hat auch in zwei Filmen mitgewirkt. Aber das Puppenspiel mit seinen mannigfaltigen Möglichkeiten hat ihn dann nicht mehr losgelassen. »Alles überhöhen zu können und doch einfach in den Mitteln zu bleiben, das war stark«, erklärt er. Als Puppenspiel-Eleve startete er seine Bühnenlaufbahn 1977 in Dessau. Im Jahr darauf begann er sein Studium an der Berliner Schauspielschule Berlin, wo er aber keinen Abschluss machen durfte. »Das waren politische Gründe, aber lassen wir das aus«, sagt er heute. Das Puppenspieler-Diplom absolvierte er dann 1983 extern.
Bei einem Gastspiel des Theater Zinnober im Zoo »so im Sommer 1988 oder 89« habe der damalige TdJW-Intendant gefragt, »warum haben wir eigentlich kein Puppentheater?«, erinnert sich Reach. Kurz darauf habe er dann im TdJW mit dem Puppentheater als Nischenprogramm für die ganz Kleinen angefangen. Daraus wurde 1991 schließlich die feste Puppenspielsparte, die Reach lange Zeit allein bestritt. In der Spielzeit 2000/01 kamen Violetta Czok und 2008 Dirk Baum als feste Mitspieler hinzu. Heute zieht die Puppenspielbranche 36 Prozent der Gesamtbesucher ins Haus und übt sich dabei im »Spagat zwischen Tradition und Innovation«, wie Intendant Zielinski meint. So haben Charlotte Wilde und Michael Vogel, die mit dem Figurentheater Wilde&Vogel entscheidende Vorantreiber des heutigen Leipziger Figurentheaterzentrums Lindenfels Wesflügel sind, als Gastspieler am TdJW gewirkt. Damit hat das Theater mindestens eine Mitschuld, dass sich die beiden in Leipzig verliebten und beschlossen, hier einen Ort für freies Figurentheater zu schaffen. Auch Florian Feisel war Gastspieler in der TdJW-Puppensparte und Ines Müller-Braunschweig hat als Regisseurin hier inszeniert.
Dabei gilt es über das Haus im Leipziger Westen hinaus, immer wieder ungewöhnliche Orte zu entdecken und mit Puppentheater zu bespielen. Mal war es ein Jazz-Keller, dann ein Studentenclub. Seit Februar 2012 lädt man in ein Planetarium zur theatralen Astronomiestunde, in der Objekttheater einen Teil der Inszenierung darstellt.

 

Derzeit arbeitet die Sparte eng mit Anne Klinge – bekannt für ihr Fußtheater – als Gastregisseurin zusammen. Sie inszenierte im vergangen Jahr das Germanical »Siegfried. Götterschweiß und Heldenblut«, das pointen- statt pathosreich den germanischen Mythos durchstreift.   In diesem mit viel Witz und Trash auf ein studentischeres Publikum ausgerichteten Stück führt Wilfried unter anderem die kräftige Hand der Brünhild beim Armdrücken mit Siegfried – den Walkürenritt als munteres Liedchen pfeifend. Mit Schwung lassen er und die Kollegen die an Kleiderhaken montierten Puppen durch die Inszenierung rauschen. Diese fast menschengroßen Gestalten sehen herrlich angeschlagen aus, haben verlebte Knautschgesichter.  Ob nicht die Gefahr bestehe, sich als Spieler auf offener Bühne zu sehr in den Vordergrund zu drängen? »Es erfordert schon große Disziplin«, so Reach, »nicht gegen die Figur zu spielen. Man lernt aber, sich zurückzunehmen, sie als Partner und natürlich Hauptdarsteller zu sehen und dementsprechend verhalten.« Das sei bei dieser anmutigen Brünhild auch nicht schwierig witzelt er: »Aber wehe, man schaut ihr zu tief ins Dekolleté!«
Man müsse sein Handwerk eben beherrschen, sagt Reach. Und das gelte es zu lernen.

Für ihn ist nicht entscheidend, ob er eine gestaltete Figur führt oder mit Objekten agiert. Natürlich sind erstere festgelegter, das Hantieren mit Dingen bleibt freier. Wilfried Reach jedoch liebt die Marionettenführung als die Königsdisziplin des Puppentheaters. »Es ist immer wieder schön, solches klassisches Figurentheater zu spielen, mit einer Akribie, wie es sie bei einer Geige bedarf. Und hier wie da braucht es viel Übung, lässt  einen dann aber nicht mehr los.« Als am schwierigsten bezeichnet er das Handpuppenspiel: »Dass die Handpuppe wirklich lebt und nicht bloß rumhängt, das ist sehr schwer. Wer als Amateur mit dem Handpuppenspiel beginnt, tut den Kindern keinen Gefallen.«
Und natürlich sind Kinder sein größter Publikumskreis, obwohl sich auch in Leipzig längst herumgesprochen hat, dass Figurentheater nicht nur Kinderkram ist. Am TdJW findet es aber oft gezielten Einsatz, um die Kinder ans Theater heranzuführen. Es sei eine Art Einstiegsdroge, meint Jürgen Zielinski, die Kinder sammelten so erste Erfahrungen für ihre ästhetische Bildung.


Mit dem Solo-Stück »Peter und der Wolf« hatte Wilfried Reach kürzlich in Lahr seine 420. Aufführung. Es ist nicht nur die am häufigsten gespielte Inszenierung des Hauses, sondern auch Reachs persönlicher Dauerbrenner. Viele große und kleine Menschen haben ihm für dieses Stück schon applaudiert und an vielen Orten hat er es schon gezeigt, auch in der Glashalle auf der Leipziger Messe und auf dem Markt. Dort übermittelte eine Kamera das Puppenspiel ans Publikum: »Das war ein bisschen wie Augsburger Puppenkiste.«  Und vielleicht spielt Reach demnächst in Sibirien.

 

 

 Tobias Prüwer