Vorgestellt: Bielefelder Puppenspiele - Dagmar Selje

21. Dezember 2021

Dagmar Selje gibt Einblick in die Tradition, Struktur und Arbeitsweisen der Bielefelder Puppenspiele

Du bist in einen Puppenspielbetrieb hineingeboren. War für dich immer klar, dass du die Arbeit deines Vaters fortführen würdest?

Nein. Wenn ich jetzt zurückblicke nach über 40 Jahren Berufspraxis, ich habe mit 11 Jahren begonnen, ist es sehr schön, in diesem Beruf geblieben zu sein. Es war gut, die Vorarbeit, das Schaffen meines Vaters nicht verworfen zu haben und vor allem die Freiheit des Theaterspielens und Geschichtenerzählens im Laufe der Zeit mit dem eigenen Profil füllen zu können. Einen etablierten Ort, das feste Theater in Bielefeld zu haben und weiterzuführen war wirklich nicht einfach, aber es ist in meinen Augen richtig gewesen.

Wie setzt sich euer Team zusammen? Gibt es einen festen Kern oder arbeitet ihr für jedes Stück mit anderen Künstler*innen?

Es gibt einen festen Kern, allerdings ist dieser über die Jahre immer kleiner geworden und freischaffende Künstler*innen haben mehr Einzug in unsere Projekte und Inszenierungen gehalten.

Nach welchen Kriterien sucht ihr eure Stücke aus?

Da wir ein Repertoiretheater sind und bleiben, betreiben wir regelmäßig Recherche, wie sich unser Publikumsstamm entwickelt. Von Hause aus müssen wir regelmäßig Stücke neu inszenieren, die die Kleinen ansprechen. Die Entwicklung geht dahin, dass die Kinder, die ins Puppentheater mitgenommen werden, immer jünger werden, und die älteren Kinder immer früher fernbleiben. Es sei denn, sie kommen im Schulklassenverband. Alle anderen Genres sind reiner Luxus für uns und nur möglich, wenn wir Sponsoring dafür finden.

Eure Hauptbühne befindet sich in der Bielefelder Innenstadt in einem alten Kino. Zusätzlich dazu habt ihr eine mobile Bühne für draußen. Inwiefern unterscheiden sich an den beiden Bühnen die Spielweisen und Stücke?

Früher, als wir noch in dem ausgebauten Theater meines Vaters waren, war alles wie ein kleines Stadttheater eingerichtet, leider haben wir das durch die unterschiedlichen Interessen der Stadt und Investoren verloren. So haben wir in dem alten Kino nur den Luxus einer Festbebankung für 100 Personen und stationäre Beleuchtung bzw. Ton und Lagerräume. Die Bühnenaufbauten unterscheiden sich kaum noch. Wir haben stückbezogen sehr viele unterschiedliche Bühnenkonstruktionen.

Als Tourneetheater seid ihr sicherlich viel unterwegs, wie schafft ihr es, Tourneetheater und festes Theater miteinander zu vereinen – habt ihr mehrere Teams, die dann unterwegs sind?

Ja, früher war das so. Seit einigen Jahren spiele ich selbst immer. Da ich eine kleine Tochter hatte, die sehr früh chronisch erkrankte, brach für mich die Reisetätigkeit arg zusammen. Heute zu Coronazeiten bringt das feste Haus nichts ein, deshalb bin ich nun wieder mehr unterwegs. Da heißt es gut koordinieren und Kräfte einteilen.

"Kleine Wolke Möh" © Bielefelder Puppenspiele

Die vergangenen Lockdowns und die anhaltenden Einschränkungen haben den Kulturbetrieb hart getroffen, wie seid ihr über diese harte Zeit gekommen?

Durch die zahlreichen Hilfsangebote letztendlich unbeschadet, allerdings leiden wir auch sehr unter den Lockdowns und den zwischenmenschlichen Veränderungen. Als Künstler*in Depression, Verzweiflung und Leere zu fühlen hat immer mehrere Facetten. Ich persönlich habe versucht, mich mit aller Kraft dagegen anzustemmen, möglichst nicht abzuschalten und erst gar nicht zu verzweifeln und aufzugeben.

Das Figurentheater-Kolleg Bochum fragt, welche neuen Weiterbildungsmöglichkeiten und Themen ihr Euch für Eure Praxis in der Post-Corona-Zeit wünscht?

Natürlich ist die künstlerische Weiterbildung das Wichtigste, um aber auch Nachwuchs für etablierte Theater zu finden, wäre es wünschenswert, mit Weiterbildungsinstitutionen zu kooperieren. Das heißt Praxiszeiten für die Studierenden anzubieten. Selbstständigkeit teilt sich ja in viele Bereiche auf, die mit dem Theaterspielen nichts zu tun haben. Wir sind z. B. auch ein Dienstleistungsunternehmen mit Betriebswirtschaft usw. Es ist schon sehr traurig, dass deutschlandweit die alten Theater aufgegeben werden, weil es keinen Nachwuchs gibt.

Welche Frage hast du an den Figurenspieler und Puppenbauer Emilien Truche, den wir als Nächstes vorstellen?

Lieber Emilien, ich durfte Dich als Gast im Tor 6 Bielefeld live erleben, als wir die Puppentheaterwoche mit Kongress vom Berufsverband abgehalten haben. Deine Performance war faszinierend! Wie schätzt Du das ein, was kommt bei dem kindlichen Publikum an, wenn Du intellektuell anspruchsvolles, nonverbales Maskentheater für sie anbietest?