Vorgestellt: Das Figurentheater-Kolleg Bochum

15. November 2021
Leiterin Seta Guetsoyan berichtet über eine einzigartige Ausbildungsstätte

Was war dein erster Berührungspunkt mit dem Figurentheaterkolleg? Wann und wie kam es dazu?

Meine erste Berührung mit dem Figurentheater-Kolleg hatte ich während des Studiums. Als Studentin der Theaterwissenschaft kam mir das Programm zwischen die Finger. Ich wollte immer an einem Schauspielkurs teilnehmen. Das habe ich leider nicht gemacht und aufgeschoben. Später, als ich dann schon Produktionsleiterin der FIDENA 2012 wurde, kam ich dann wieder enger mit den Institutionen des Figurentheaters in Bochum in Kontakt. Das Figurentheater selbst hatte ich durch ein Seminar bei Prof. Ulrike Hass und Anke Meyer (ehemals wissenschaftliche Mitarbeiterin des DFP) für mich entdeckt und durch meine Arbeit für die FIDENA und das DFP war ich dann restlos begeistert. Die vielen Formen und Erzählweisen des Figurentheaters eröffneten mir eine neue Theaterwelt. Nicht nur die spielerische Vielfalt von Figur, Material oder Techniken sind faszinierend, sondern auch die intellektuellen Assoziationsräume die möglich werden können. Diese Entdeckung und Begeisterung für das Figurentheater – besonders für Erwachsene – möchte ich mit vielen Menschen teilen. Am Figurentheater-Kolleg zu arbeiten ermöglicht es mir, aktiv daran zu arbeiten.

Ihr unterstützt die Initiative „Nice Price: 10%“. Was hat es damit auf sich?

Bochum besitzt einen Zusammenschluss der Freien Kultur. Ihre Vertreter*innen treffen sich regelmäßig, um sich kennenzulernen, auszutauschen, zusammenzuarbeiten (wie für die bobiennale, das Festival der Freien Kultur) oder auch gemeinsam kulturpolitische Entscheidungen zu diskutieren und Forderungen zu entwickeln. So ist auch die Kampagne „Nice Price 10%“ entstanden.

Freie Kultur, darunter versteht man eben die professionellen Künstler*innen und Kultur-Institutionen, die nicht in öffentlicher Trägerschaft stehen und die nicht überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Für Bürger*innen ist dieser Unterschied oft nicht zu erkennen. Daher ist es wichtig festzuhalten und zu kommunizieren, dass in Bochum mehr als die Hälfte des kulturellen Angebots von der Freien Kultur produziert wird, jedoch weniger als 4% des Kulturhaushalts an die Freie Kultur geht. Aus dieser Situation heraus haben wir die politische Forderung entwickelt, dass mindestens 10% des Kulturetats an die Freie Kultur gehen sollte. Dafür engagiere ich mich im Netzwerk der Freien Kultur.

Ihr habt zuletzt auch einige neue Weiterbildungsformate entwickelt. Hast du Beispiele und kannst du uns etwas darüber erzählen?

Bereits vor der Coronapandemie haben wir mit der Entwicklung digitaler Lehrformate begonnen. Wir arbeiten an den Fragen: Wie gestaltet sich in Zukunft Weiterbildung in den Darstellenden Künsten, insbesondere im Figurentheater? Wie begeistern wir unterschiedliche Zielgruppen, angefangen von Bürger*innen, die erste Berührungspunkte mit Figurentheater haben, über bestimmte Berufsgruppen (z.B. Pädagog*innen und Therapeut*innen), bis hin zu professionellen Künstler*innen.

Wir entwickeln dabei stetig neue Formate. Ich möchte jedoch zwei davon hervorheben: Ein erstes Format nennt sich „Digitale Kreaturen“. Durch dieses vom Land NRW geförderte Projekt wurden durch die Zusammenarbeit von vier Dozent*innen (Michael Krauss, Bruno Belil, Wolfram Lakaszus und mir in einer ersten Phase neue Workshopformate für Figurentheater aus dem Bereich Animatronik entwickelt. Welches Wissen und welche Fertigkeiten sind - in den für das Figurentheater neuen - Bereichen Elektronik, Mechanik und Informatik erforderlich? Welche Werkzeuge werden benötigt? Wie werden Animatronische Figuren sinnvoll eingesetzt und welche neuen Erzählstrategien lassen sich daraus entwickeln? Es entstand zunächst ein hybrides Curriculum, das neben Präsenzphasen in Bochum auch auf Fernlernen im Eigenstudium setzte.Leider musste coronabedingt kurzfristig auf ein ausschließlich online stattfindendes Format ausgewichen werden. Wegen der speziellen zum Einsatz geplanten Werkzeuge und Materialien war das für das Team eine besondere Herausforderung.

Neben der Entwicklung neuer Kursformate im Bereich neue Technologien und Digitalität ist es mir besonders wichtig Menschen direkt für Figurentheater zu begeistern und da Bochum eine 100-jährige Tradition im Bereich ästhetische Weiterbildung/Figurentheater begründet durch Fritz Wortelmann besitzt, habe ich das Projekt „ParkStreifen“ konzipiert, das sich vor allem an die Bochumer*innen bzw. die Menschen im Stadtteil richtet. Im angrenzenden Park finden unterschiedliche Veranstaltungsformate und Workshops statt. Sie haben alle einen Bezug zum Stadtteil und Bochum und mit dem was sonst so im Innenraum des Figurentheater-Kollegs stattfindet. Die Menschen sollen sich selbst einbringen und ausprobieren und stolz auf diesen besonderen Kulturort sein. Bochum ist DIE Figurentheaterstadt mit der Fidena und dem Kolleg und es ist schön, wenn sich die Bochumer*innen damit identifizieren können.

Frage von Jan Jedenak: Wie würdet ihr eure Positionierung als freie Ausbildungsstätte für dieses eigenwillige Genre formulieren und vor welchen inhaltlichen und strukturellen Herausforderungen steht ihr vielleicht in den nächsten Jahren? Was sind eure Ziele und Wünsche?

Das Figurentheater-Kolleg ist die einzig staatlich anerkannte Weiterbildungseinrichtung mit dem Schwerpunkt Figurentheater in Deutschland und sein Ruf reicht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Diese Tradition möchte ich weiter ausbauen und dafür muss das Figurentheater-Kolleg neue Strömungen des Genres aufgreifen und neue Bildungsformate entwickeln.

Eine große Herausforderung ist es, neue Infrastrukturen aufzubauen, vor allem in Hinblick auf die technische Ausstattung. Neue Produktionsformen wie 3D-Druck oder andere digitale Formate verschlingen viel Geld, aber das ist nicht das einzige. Neue Dozent*innen müssen gefunden werden, die Lust und auch das Können haben, Neue Technologien mit dem künstlerischen Backround zu unterrichten und dort, wo diese fehlen, müssen wir entsprechende Dozent*innen aufbauen.
Aber auch die traditionellen Formen des Figurentheaters dürfen nicht vergessen werden. Dieses Kulturerbe, traditioneller Bau- und Spielformen muss erhalten und neuen Figurenspieler*innen überliefert werden.

Das Figurentheater-Kolleg wird ein freier Ort bleiben, an dem man sich zum/zur Figurenspieler*in weiterbilden kann. Es werden aber auch inter- und transdisziplinäre Qualifikationen aus dem ganzen Spektrum der Darstellenden Künste im Fokus stehen.Ich wünsche mir für das Figurentheater-Kolleg eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung, um als Weiterbildungseinrichtung strahlen zu können. Zudem möchte ich die direkte Anbindung an die Praxis stärker ausbauen. Das heißt, es müssen mehr Auftrittsmöglichkeiten, Labore und szenische Experimente möglich werden.

Wie lautet deine Frage an die Bielefelder Puppenspiele, die wir als nächstes vorstellen werden?

Liebe Dagmar Selje, liebes Team der Bielefelder Puppenspiele, welche neuen Weiterbildungsmöglichkeiten und Themen wünscht ihr Euch für Eure Praxis in der Post-Corona-Zeit?