Die aktuelle Kritik

Theater der Jungen Welt: "Frederick"

von Jessica Hölzl

Ein digitales und interaktives Mäuseabenteuer nach dem Kinderbuch von Leo Lionni.

Der Theaterabend beginnt am Drucker – denn für den digitalen Theaterbesuch sind einige Vorbereitungen zu treffen. Ein DIN A4 Blatt voll kleiner Quadrate muss ausgeschnitten werden, bestimmte Gegenstände sollen in Reichweite bereitliegen und dann ab aufs Sofa, Kamera an. Damit alles glatt läuft, gibt es eine kurze technische Einführung in ZOOM, Galerieansicht, Ton an Ton aus, Vollbild, alle zeigen mit dem virtuellen Daumen hoch, los gehts.

„Wenn ihr nicht ins Theater kommen könnt, dann kommen wir eben zu euch“, sagt Maus Alexander, eine unterarmlange Klappmaulfigur, die die kleinen und großen Zuschauer_innen gemeinsam mit Spielerin Clara Fritsche durch etwas mehr als eine halbe Stunde dichten Theatererlebens führt. Und das gelingt durch den klugen Einsatz technischer und filmischer Mittel in gekonnter Kombination mit klassischen figurentheatralen Kompetenzen wirklich gut.

Die räumliche Distanz wird spielerisch eingeflochten, ein Gang der Spielerin entlang einer roten Schnur zu tdjw am Lindenauer Markt zeigt dem Publikum vor den Bildschirmen den realen Ort des Geschehens. Zunächst enttäuscht von den leeren Zuschauerrängen schaut sie dann erleichtert in die Kamera: „Da seid ihr! Und ich hab euch vor der Bühne gesucht!“

Und dann geht es wirklich los. Vor schwarzem Bühnensamt eine große grüne Regentonne, in der steht Fritsche in Latzhosen und spielt Leo Lionnis vielen vermutlich bekannte Geschichte von der kleinen Maus Frederick als liebevoll ausgestaltete interaktive Erzählung für kleine und große Leute ab 3 Jahren.

Die Galerieansicht verschwindet, der Bildschirm wird zur Spielfläche und unterschiedlichste Mäusearten werden vorgestellt. Wühlmaus Siggi besteht aus einer Wurzelbürste, Tonis Leib bildet eine dicke Spule grober Schnur, zwei Laschen stellen kleine Öhrchen dar, das lose Schnurende fungiert als Schwanz. Ein Gartenhandschuh mit Schnurrhaaren und Ohren wird zur schwatzhaften Feldmaus Daphne. Das Fell der Haselmäuse Alexander und Frederick ist aus grobem Sackleinen, glänzende schwarze Äuglein kucken aus dem spitzen Gesichtchen. Kindgerecht und virtuos erzählt die Spielerin, unterstützt durch die zauberhaft einfachen und mit Liebe zum Detail gestalteten Puppen von den Wintervorbereitungen der kleinen Tiere. In unterschiedlichen Einstellungen, Perspektiven und Ausschnitten verfolgt die Kamera, wie allerlei Essbares gesammelt, eingekocht und eingelagert wird – während Frederick am Rand der Regentonne auf einem Balkonbrett sitzend die bunten Blumen bewundert. Genießerisch klappern die beweglichen Augenlider der kleinen Puppe, wohlig reibt er sich den runden Bauch und sinniert über Wohlklingworte wie Eisblumenblau. „Wusel wusel“, „Hafer Hafer“, schaffen die anderen Mäuse unterdessen, der Winter rückt näher.

Als in allen Bildschirmen – in Galerieansicht ein – kleine quadratische Papierschnipsel durchs Bild rieseln, wird es Ernst bei den Mäusen: Der Winter ist da. Die kleinen Blumentöpfe, die sich als leere Vorratseimer vor der Spielerin auftürmen, werden umgekehrt flugs zum Fernrohr, mit dem sie in den Bau der Mäuse spähen kann. Eine animierte Strichzeichnung im kreisrunden Kameraausschnitt zeigt die Mäuse in ihrem Winternest fröhlich plaudern und schmausen. Doch je mehr es schneit und je länger der Winter anhält, desto trostloser und ungemütlicher wird es, sodass die kleinen Zuschauer_innen auf dem heimeligen Sofa etwas näher zusammenrücken.

Und als der Winter am trostlosesten ist, grau, dunkel, wortlos, untermalt von eisigen Tönen, zaubert die kluge Maus Frederick ihre Vorräte hervor, erzählt von Farben und Blumen, vom Frühling und von der Wärme. Vogelgezwitscher ist plötzlich zu hören, leise Gitarrenklänge rufen andere, weniger kalte, weniger einsame, weniger harte Zeiten in Erinnerung. Unterstützt wird Frederick von begeistert ihre glitzernden, bunten Gegenstände in die Kameras haltenden Kindern, die ganz stolz mit den Lieblingsdingen wedeln, wenn die Spielerin mal hier eine Federboa, mal da eine besonders toll glitzernde Folie lobt.

Und weil das so viel Spaß macht, geht es noch ein bisschen weiter. Wer drei Jahre alt ist, darf noch mal die Hand heben, wer ein Haustier hat, wer gern Kekse mag…

So kann man den Winter vielleicht durchhalten, auch wenn er noch eine Weile hart bleiben wird, einsam, lang und düster. Die Ideen sind da, Wunsch und Wille, Engagement und Spielfreude könnten größer nicht sein.

„Und danach“, ruft Haselmaus Alexander zum Abschied, „kommt ihr alle wieder ins Theater!“ – wenn es das dann hoffentlich noch gibt, unterstützt von Stadt und Land und Bund und all den großen Leuten da draußen. Denn da warten noch ganz viele solcher wichtigen, schönen und wunderbaren Geschichten, um unsere Welt nicht nur, aber besonders auch in tristen, schweren und schwierigen Zeiten immer wieder ein Stück bunter, heller und besser zu machen.

 

 

Mit: Clara Fritsche

Regie & Bühne & Kostüme: Julia Sontag | Komposition: Florian Sievers | Puppenbau: Peter Lutz | Dramaturgie: Birgit Lindermayr, Josepha Maschke | Theatervermittlung: Catharina Guth

Premiere: 21. November 2020, 17 Uhr | DIGITAL

Foto: Ida Zenna

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