Die aktuelle Kritik

Theater Junge Generation Dresden: „Klassiker, sämtliche."

von Andreas Herrmann

Puppenspielprofessorin Astrid Griesbach gönnt sich und dem Ensemble einen Riesenspaß.

Eine Uraufführung als eine Art Dernieré: Zur letzten Premiere für die reifere Jugend ab 16 Jahren im engen Hinterteil vom Baudenkmal Rundkino hat sich die Puppensparte des Dresdner Theaters Junge Generation noch Großes verordnet: „Klassiker, sämtliche“, ergänzt um den größenwahnsinnigen Untertitel „Die großen Dramen der Weltliteratur in 83 Minuten“.

Doch keine Bange: weder die Zeit noch der reine Rekurs auf Dramen ist ernst gemeint: Hier wird nichts dekonstruiert oder gar neu bewertet. Die Berliner Ernst-Busch-Puppenspielprofessorin Astrid Griesbach gönnt sich und dem Ensemble einfach einen Riesenspaß als wilde, nicht immer stringente Performance, in der nicht einmal die Puppen die unzähligen Hauptrollen spielen, sondern die Spieler. Die können zwar keinen klassischen Chor – wie anfangs bei „Antigone“ bewiesen – und auch nicht alle gut singen, aber verbreiten mit Tempo und Dynamik und mit Hilfe eines beständigen Alter egos in Form eines je recht simplen und einfältig wirkenden Mischka-Teddys. Diese fanden Ausstatterin Vanessa Achilles-Broutin und Puppenverantwortliche Nathalie Wendt ebenso im Fundus wie etliche Kleinfiguren, viele Bügelbretter und die bunten, teils edlen Kostüme für die sieben Damen und Herren des Ensembles.

Doch wie die großen Bettkuschelbären, teils als Publikum, meist als Akteure agierend, die offenbaren Leerstellen im Puppenfundus für die Figuren der Weltliteraten füllen, ist meist köstlich. Neben dem Chor ist vor allem Nathan der Weise, der klare Höhepunkt in der Mitte des Abends, ihr Metier. Dort vererbt per Kurzversion der Vater seinen gleich liebsten Söhnen Schlomo, Günther und Mahmet je einen Ring – ob der Gretchenfrage nach dem Halten mit der echten Religion geraten sie rasch in echten Zoff.

Das löst tränende Lachsalven aus, wird aber ringsherum noch mit einem eigenen Rahmen garniert: Der alte deutsche Kaspar, der mit Gretel natürlich mal kurz zu Faust ausfliegt (beide von Uwe Steinbach mit großem Einsatz gespielt), wird durch die Neuberin und Lessing aus dem Theater vertrieben und seines Monopols beraubt. Im Gespräch mit dem im nahen Kamenz gebürtigen Theaterreformators habe der sächselnde Unhold, genau wie Gretel schnell und kampfstark mit der Klatsche bei der Hand, ihm diese Story nahegelegt – die Urversion des Plagiats wird nun nachgespielt und endet im Fiasko, auch die Bären im Publikum prügeln sich, die Gewaltorgie greift von den Puppen auf die Spieler über und endet in Schleifen der Erschlaffung. Das beruht, in Ansätzen, auf Gottscheids „Die Vertreibung des Harlekins aus dem Theater“ und ist damit noch vier Jahrzehnte älter als Lessings Offenbarung, die derzeit aus gutem Grunde deutschlandweit Konjunktur feiert.

Ebenso subtil verballhornend – aber weitab vom Dramenkanon – ist der marxistische Ausflug, der sich allerdings für die meisten nur unter Kenntnis des Klassikerzettels erschließt, auf dem drei Mal Goethe und Büchner, aber auch Schiller und Marx doppelt auftauchen. Ebenso verwundern die Bibel, Lenin und Nietzsche unter den Autoren wie „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, „Das Kommunistische Manifest“ und „Die fröhliche Wissenschaft“ unter den Quellen. Dennoch funktioniert der Exkurs en passant aufklärend ebenso gewinnbringend wie der Vortag vom gefährlichen weißen Kaninchen, welches aus Büchners Traktat im Hessischen Landboten rezitiert, um mit „Friede den Hüten! Krieg den Palästen“ zu enden. Ganz ohne Puppen und empathisch gespielt, aber zu lang gerät hingegen Schillers „Taucher“, von Patrick Borck in Gänze vorgetragen.

Nur drei Mal nach der Premiere läuft nun diese so genannte „Uraufführung“ noch in der alten Dresdner Puppenheimat, dem breiten Saal mit nur sechs Sitzreihen für rund einhundert Plätze im Rundkino, das als Kinotempel als schönster und modernster der DDR auch als Solitär auf der weiträumig bebauten Prager Straße wirkte, aber heute von Kaufhäusern und Wohnblocks umzingelt ist und hauptsächlich als Cineplex betrieben wird. Denn schon Ende April endet die Spielzeit, um den Umzug zur neuen Spielstätte bis Dezember abgeschlossen zu haben.

Dort, im Kraftwerk Mitte, welches derzeit von der Stadt für rund 90 Millionen Euro flugs als Doppeltheaterzentrum für städtische Operette und Theater Junge Generation (TJG) umgebaut wird, die beide derzeit noch als vorletzte Stadtteilkulturzentren in Dresden-Leuben oder Dresden-Cotta wirken, warten auf die Puppensparte dann theoretisch alle drei TJG-Säle (zweimal 120 und einmal 350 Plätze) zur Bespielung, die Integration der Sparte wird vollendet. Dort warten neue Herausforderungen: elf Bühnen im Umkreis von 800 Metern buhlen um das Publikum, die spontane Laufkundschaft, vor allem der Touristenbesuch, könnte sich aber erhöhen, so die Hoffnung.

Die sämtlichen Klassiker werden dort – vermutlich in knapp einem Jahr – zum Startrepertoire gehören. Wünschenswert wäre dann – auf sicher größerer Bühne mit besserer Raumaura in Sachen Akustik und Belüftung – eine genauere Betitelung der einzelnen Textschnipsel, die hier zu kurz und zu dunkel gerät. Dann gerät die dramatische Reise über 20 Etappen der Weltliteratur sicher zum runden Renner.

 

Premiere: 12. Februar 2016

Theater Junge Generation, „Klassiker, sämtliche. Die großen Dramen der
Weltliteratur in 83 Minuten“ (UA)
Regie: Astrid Griesbach
Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin
Puppen: Nathalie Wendt     
Es spielen: Patrick Borck, Manuel de la Peza, Christoph Levermann,
Anna Menzel, Ulrike Schuster, Uwe Steinbach, Annemie Twardawa

Foto: Dorit Günther

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