Die aktuelle Kritik

Josephine Hock: "Haus Nr. 69"

Von Tom Mustroph

An der Schaubude Berlin erkundet Josephine Hock mittels des Interieurs von Wohnungen die sexuellen Vorlieben und Hemmungen von deren Bewohner*innen.

Die Idee ist charmant. Alle reden über Sex, nicht immer, aber doch ziemlich häufig. Häufiger allerdings ist das Nicht-Reden über Sex, das Rumdrucksen, Kichern, Fingernägel in die Unterarme Pressen beim Schweigen über das, was in Kopf und Körper so vor sich geht oder vor sich gehen könnte.

 

Weil das so ist, hat die talentierte und trotz junger Karriere bereits mit einigen Lorbeeren versehene Puppenspielerin Josephine Hock versucht, die Objekte zum Sprechen zu bringen. Die Haushaltsgeräte und Einrichtungsstücke sind schließlich Zeugen der Sexualpraktiken der Bewohner*innen.

 

Das Sechs Parteien-Wohnhaus mit der Nummer 69 präsentiert die ganz in Schwarz gekleidete Spielerin in Form von sechs beleuchteten, aufrecht stehenden Rahmen. Darin sind zahlreiche Utensilien: Ein Nudelholz, ein Spielzeugelefant, diverse Grünpflanzen, ein Kleiderschrank voller Hemden und eine ganze Galerie Bilder.

 

In der Wohnung links unten wohnt eine Sammlerin. Sie kollektionierte nicht nur Bilder, sondern auch Männer und sexuelle Erfahrungen. Hock lässt sie reden, über Sex im Treppenhaus und Orgasmus mit Gurke, und nimmt dabei Sprechhaltung und Gestus einer erfahreneren Frau ein. In der Wohnung rechts oben platziert Hock eine 3er WG; eines der Mädchen dort theoretisiert fein über das Phänomen Sexualität, lässt dabei aber nicht unerwähnt, keinerlei praktische Erfahrung damit zu haben. Das Mädchen dialogisiert dann mit der ziemlich pragmatischen Zimmerpflanze. Die kann ihr aber auch keinen Rat geben angesichts ihrer Sorge, wegen des mit dem Alter prinzipiell wachsenden Erfahrungs-Gaps zwischen ihr und aktiveren potentiellen Sexualpartnern schon strukturell zum Scheitern verurteilt zu sein.

 

Beim Ehepaar in der mittleren Etage leuchtet Hock mit ein paar Nudeln ganz hübsch die Schwierigkeiten der Integration von Sex in das Betreuungsprogramm des Nachwuchses aus. Also: Wie schafft man, zum Beispiel während des Nudelkochens, Räume und Zeitfenster, in denen weder Sprößlinge noch Arbeitgeber Ansprüche anmelden können. Beim Sprechen des Paares über Lust, über die eigenen erotischen Zonen und über die Dynamiken der Vereinigung selbst, deuten die mal hell erklingenden Lacher  von Frauenstimmen und mal die gebrummten Baritonlagen sehr deutlich daraufhin, welcher genderspezifische Humorpunkt gerade getroffen wurde. Gemeinsam ist Frauen- und Männerlachen eher selten zu hören. Hock, die ihre Geschichten aus Interviews sammelte, könnte mit diesen Differenzen noch viel stärker spielen.

 

Für das Genre Objekttheater hält sie sich auch zu sehr zurück im Einsatz von, eben, Objekten. Sie nennt sie, nimmt sie gelegentlich auch in die Hand, ein direktes Animieren dieser Objekte findet aber eher selten statt. Einer der wenigen Höhepunkte in dieser Richtung ist dann schon, wenn sie mit den Hemden im Schrank eines von sexuellen Orientierung her schwulen, in der Aktivität aber offenbar gebremsten Alleinbewohners spielt und diese ihre Sehnsucht nach wieder mal einem Hemd mit einem anderen Männergeruch artikulieren lässt.

Weiterer Höhepunkt ist das Seil aus dem Haushalt des Bondage- und SM-Praktizierers aus der Wohnung neben der WG. Hock rollt es auf und ab, formt Schlingen. Sie erzählt dabei von Fesselungen und auch von der Neigung des Mannes, sich eigenes Sexspielzeug an der Drechselbank und mithilfe des 3D-Druckers herzustellen. "Der Baumarkt ist mein liebster Sex-Shop", lässt Hock den Erregungsbastler ausrufen. Da zumindest ist die Objekt-Ebene mal richtig präsent.

 

So ganz reizt die letztjährige Absolventin der Hochschule "Ernst Busch" ihre Idee vom Sprechen lassen der Objekte aber nicht aus. Zu häufig monologisieren nur die Menschen. Allerdings hört man der Spielerin dabei gern zu. Sie ist treffsicher im Charakterisieren ihrer Figuren, variiert gut das mal fließende, mal eher stockende Sprechen.

 

Über die Dauer des Abends fällt allerdings auf, dass Hock vor allem im Wohlfühlbereich von Sexualität bleibt. Umstrittenere Terrains wie Pornografie und käuflicher Sex sowie die damit verbundenen Ausbeutungsmechanismen werden bestenfalls angedeutet, großteils aber ignoriert.

 

Innerhalb dieses begrenzten Parcours agiert Hock jedoch souverän, munter und sensibel. Eine jüngere Künstlerin, auf die man auch in Zukunft gespannt sein darf.

 

Premiere: 25.09.2020

Foto: Benjamin Drexler

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