Die aktuelle Kritik

Manufaktor, Berlin: "1/0/1 robots – hacking the binary code"

Von Honke Rambow

Das Theater-Kollektiv „Manufaktor“ aus Berlin beschäftigt sich 101 Jahre nachdem der tschechische Autor Karel Čapek in seinem Stück „R.U.R.“ den Begriff „Roboter“ für anthropomorphe Arbeitsmaschinen prägte, mit der Mensch-Maschine-Dichotomie und hinterfragt in seiner Premiere an der Schaubude Berlin weit hinein in alle Lebensbereiche binäre Strukturen.

Ein kleiner Roboter betrachtet sich in einem Schminkspiegel. Er bewegt sich auf zwei Rädern, so dass er immer zaghaft vor und zurückschwankt, um sein Gleichgewicht zu halten. Es wirkt, als sei er sich seiner eigenen Identität im Spiegelbild noch nicht ganz sicher. Dazwischen geschnitten wird eine Person in extremer Nahaufnahme, die sich ein dramatisches Augen-Makeup schminkt. Noch sind wir im Vorspann zum Live-Streaming des Stückes „1/0/1 robots“, in der Warteschleife.

 

Die Live-Aufführung beginnt mit der Person, die sich gerade noch schminkte. In vollem Drag-Queen-Outfit singt sie zu Gitarre und Live-Sampling einen Auftaktsong. Die Figur der Dragqueen etabliert damit die zweite – und wichtige – binäre Struktur, mit der sich der Abend auseinandersetzt. Als Mann, der sich in übertriebenem Maße ein Klischee von Weiblichkeit überstreift, ist die Drag-Queen eine extreme Form des binären Geschlechter-Konstruktes.

 

In einer kastenförmigen Bühne, die vor allem von einem blinkenden LED-Rahmen begrenzt wird, bestreiten Performer*innen und immer wieder die kleinen unsicher herumkurvenden Roboter die Show. Dann wird die weiß bespannte Decke des Kastens nach vorne heruntergeklappt und zum Video-Screen. Dort sind vor allem Interviews mit den Beteiligten der Produktion zu sehen, die wesentlichen Input zum thematischen Rahmen liefern. Friedericke Miller, die das Lichtdesign entwickelte etwa, erzählt von den Schwierigkeiten, die LEDs mit der Software zusammenzubringen. Dann kommt sie auf die unter Techniker*innen geläufige Bezeichnung der Stecker als „männlich“ und „weiblich“. Ein Konzept von „Stecken“ und „Aufnehmen“, von Energie geben und nehmen. Sie wünscht sich, dass dieses binäre Konzept irgendwann vielleicht aufgelöst wird durch eines, das zeitgemäßer wäre, das zum Beispiel auf Reibung basiere, mit gleichwertigen Verbindungselementen, die nicht in ein binäres Schema gepresst werden.

 

An anderer Stelle geht es um Roboter. Dass es als besonders interessant empfunden wird, wenn Roboter menschliche Emotionen zeigen, oder zu zeigen scheinen. Warum sie das überhaupt tun sollten, ist die Frage, die sich sehr berechtigt anschließt. Und gleich sind da wieder diese niedlich wackelnden Roboter, deren Diodenblinken man fast zwanghaft als emotionale Äußerung interpretiert.

 

Die Video-Zuspielungen gewinnen im Laufe des Stückes sehr an Dominanz. Die tatsächliche Performance kann nur in manchen Momenten dagegen bestehen und dem theoretischen Überbau Bildhaftigkeit entgegensetzen. Das gelingt etwa, wenn sich Performer*innen auf Hoverboards den Robotern annähern. Auf zwei Rädern balancierend nehmen sie mit dem immer vom Umfallen bedrohten elektronischen Gegenüber einen fast zärtlichen Kontakt auf. Gerade weil das Hoverboard ein Gadget ist, das fast ausschließlich auf den Spaß ausgerichtet ist, erzählt es viel von der selbstgewählten Technisierung des menschlichen Körpers.

 

Manufaktor wollen ihr Stück „1/0/1 robots“ als „Utopie-Maschine“ verstanden wissen. Wo Karel Čapek noch Roboter als „weiblich“ erdachte und sie in seiner frühen Dystopie für als „weiblich“ gedachte Tätigkeiten vorsah, setzt Manufaktor die Genderlosigkeit der Maschine entgegen. Das technologische Gegenüber bietet die Möglichkeit, binäre Strukturen zu überwinden. Wenn es dafür nicht schon zu spät ist und die Menschen den Maschinen bei der Konstruktion bereits ihre eigene begrenzte Sichtweise viel zu tief eingeschrieben haben.

 

Regie: manufaktor (Mathias Becker, Gilda Coustier, Friedericke Miller, Yasmine Salimi)
Spiel: Mathias Becker, Gilda Coustier, Friedericke Miller
Dramaturgie: Yasmine Salimi
Regieassistenz: Melanie Lyn
Video: Zé de Paiva & Kathleen Kunath
Creative Coding: Mark Mushiva
Medienkunst, Roboterbau: Benjamin Turner, Gilda Coustier
Ausstattung, Masken, Kostüm: Gonzalo Barahona, Gilda Coustier
Technische Supervision und Sounddesign: Kathleen Chen
Choreografie: Mmakgosi Kgabi
Bühne: Atelier terreclaire
Bühnenbild: Gilda Coustier, Friedericke Miller
Lichtdesign: Friedericke Miller
Produktionsleitung: Tim Sandweg
Produktion: Schaubude Berlin

Foto: Jule Sievert

www.schaubude.berlin
www.manufaktor.eu

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