Die aktuelle Kritik

Figurentheater Ute Kahmann: "Jöttlich!"

Von Reinhard Wengierek

An der Schaubude Berlin feiert komödiantisches, auch freches, groteskes und herzberührendes minimalistisches Mythentheater Premiere.

Mit dem großen Chaos ist es inzwischen vorbei, denn ein großer Gott hat daraus mit lässiger Anstrengung längst die Erde geformt. Und die ist in „Ute Kahmanns Figurentheater“ eine Art Nähkörbchen. So eins wie in Uromas Zeiten, aber mit besonders großer Öffnung, um beschädigungsfrei eine Abordnung des sagenhaften Personals heraus zu angeln, das schwer beschäftigt ist mit der Schöpfung, wie sie der römische Poet Ovid im ersten Buch seiner „Metamorphosen“ erdichtet. Wie Landmassen, Meere und der Himmel entstehen, die Luft, Blitz und Donner und schließlich der absolute göttliche Geniestreich: die Menschen – das erzählt kurzweilig knapp gefasst und mit lakonischen Pointen gewürzt Ute Kahmann in ihrer frappierend aus dem Nähkästchen geborenen Show mit den skurrilen Kurzauftritten der so unterschiedlichen, entsprechend unterschiedlich auch im Material gefertigten, Schöpfungsarbeiter.
 
Ute Kahmanns Gag dabei: In ihren (zusammen mit dem allzu zaghaften Regisseur Holger Brüns) verfassten Texten (zuweilen extemporiert sie auch pfiffig) wird zwischen Hochdeutsch und Berlinisch gewechselt. Weshalb denn auch auf dem Ticket ihres kecken, gut einstündigen Flugs über die immerhin 15 Bücher von Ovids monumentaler Mythen-Dichtung „Jöttlich!“ steht.
 
Bruhns und Kahmann (sie feiert mit dieser Produktion in der Berliner Schaubude ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum) pickten sich also aus den im ersten Jahrzehnt nach Christi Geburt entstandenen 12.000 Hexametern, die 250 antike Sagen poetisieren, das heraus, was sie sonderlich inspirierte zu – mundartlich oder nicht ‑ gewitzten Kommentaren. Aber auch: Was die Erfindungskraft der ironisch im Kleinformat formenden Figurengestalter Maarit Kreuzinger und Stephan Rätsch besonders befeuerte.
 
Was wir da auf Kahmanns simplem Tischtheater mit den von ihr unter der Tischplatte hervorgeholten und belebten Figuren und Figürchen erleben (ein Operngucker wäre hilfreich), sind abenteuerliche Geschichten von Menschen; wobei sich auffallend viel um Sex und Crime dreht, um Verrat und Treue, Freundschaft, Feindschaft, tödlicher Rache und Liebe bis in den Tod. Aber über allem schwebt das Wissen von der Vergänglichkeit halbjöttlichen oder gar jöttlichen Daseins und die Einbettung in Transzendenz: Ein Höchster Richter straft Verfehlungen oder schützt Bedrohte: durch Metamorphose – göttliche Verwandlung. Ovid: „In Neues verwandelte Wesen will ich besingen…“
 
Es ist eine amüsante, zugleich zart zauberische Stunde, in der uns Ute Kahmanns komödiantisches, auch freches, groteskes oder aber herzberührendes minimalistisches Mythentheater teilhaben lässt am ewig menschheitlichen Walten in Schrecken oder Herrlichkeit: So toben und turteln denn über das winzige Rund ihres Ausziehtischs Perseus, Andromeda, Hercules, Medusa, Poseidon, Venus, Echo, Daphne, Kronos, Aphrodite, Hera, Zeus und wie sie alle heißen. Von Adonis blieben zum Schluss nur ein paar Röschen auf der Tischplatte, und von Narcissus Papierblumen: „…da war nirgends ein Leib. Für den Leib ist sichtbar ein Blümlein. Safrangelb, um die Mitte besetzt mit schneeigen Blättern…“
 

Figurentheater Ute Kahmann

Textfassung: Ute Kahmann, Holger Brüns · Regie: Holger Brüns · Spiel: Ute Kahmann · Szenografie: Maarit Kreuzinger, Stephan Rätsch · Musik: Kai Leinweber · Dauer: ca. 70 Minuten

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