Die aktuelle Kritik

Figurentheater Chemnitz: „The Dark Trullala. Alptraum einer Puppenspielerin“

Von Andreas Herrmann

Sarah Wissner offenbart den Alptraum jeder Puppenspielerin als düster-witziges Bettgeschichtensolo.

Der Kasper ist weder Hofnarr noch permanent lustig oder gar ein Gutmensch. Nein, er ist ein gar garstiger Gesell – und als „The Dark Trullala“ im Chemnitzer Figurentheater sogar ein mordlüsterner Vasall des Bösen, der seiner Herrin ans samtene Leder, also an Haut, Gurgel und Haare will – und niemals aufgibt.

Dennoch fängt die Geschichte mit Sarah Wissner allein im Bett schlummernd an – womit drei Sachen sofort klar sind: Es wird privat und traumhaftend, aber es gibt ein Erwachen. Doch was gegen den kleinen dunklen Feind im eigenen Bett, genannt The Dark Trullala, der nächtens Regie samt Macht zu übernehmen gedenkt, als harter Alptraumkampf beginnt, wächst sich schnell zu einem veritablen Ensembleaufstand aus. Denn nachdem das Bett nach hinten gekippt ist und die Unterseite als Puppenbühne dient, kommen auch die ganzen anderen Figuren, die das tagtägliche Märchen vom Geburtstag der Prinzessin, wobei der Räuber dem Kasper die Torte klaut, die Oma alle nervend verköstigt, die Hexe ihre Zaubertränke anpreist und der Polizist keine Hilfe ist und nur das Krokodil als Geheimwaffe dient, satt haben.

Regisseur Lutz Großmann, seit 2004 als Puppenspieler, Schauspieler, Regisseur und Puppenbauer unterwegs, gilt seit seinem Solostück „Kasper tot. Schluß mit lustig?“ seit anderthalb Dekaden als Experte auf diesem Traumagebiet und unterrichtet als Gastdozent an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin und an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und führt nun die Absolventin Wissner zu einer ausgefeilten, selbstreflektierenden Performance, die auch in Sachen Licht und Musik stets die Spannung hält.

Schnell offenbart sich die Ironie der Geschichte: Alles Böse der Figuren, ja gar jedwede Moral, verdanken sie einzig und allein der Puppenspielerin – die Puppenwelt kann gar nicht besser sein als deren Kosmos. Da der Kasper in Draculamanier nicht nur seine bunte Tagesgestalt im Zweikampf meuchelt, bleibt der einsamen Heldin nur das Vertrauen in die Zauberkraft des Hexentrunkes, doch der verwandelt Wissner wider der Abmachung in Puppengröße, sie wird Gleiche unter Gleichen, aber ohne gleicher zu sein – ein Kampf, der jede Nacht aufs Neue droht.

 

Witziges Horrorszenario mit Moralinsäure

Zwei nette Nebenschausplätze heitern ungemein auf: Einerseits die Liebesgeschichte zwischen Räuber (als Handpuppe) und Gendarm (nahezu in Lebensgröße), die damit beide ihr Treiben hinreichend begründet sehen. Andererseits die Unterpräsentation der Prinzessin, die sich neben mehr Garderobe auch ein Schloss, eine echte Kutsche und andere Geschenke statt der Kaspertorte bis hin zum Prinzen wünscht.

Doch das sind nur Randgeschichten, denn der Kasper wird selbst zum Symbol der allgemeinen Moralmalaise aller darstellender Künstler: Inwiefern haben sie Verantwortung für die von ihnen geschaffenen, instruierten und belebten Figuren? Das fragte sich Wissner, seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied am Figurentheater Chemnitz, schon vor drei Jahren per Abschlussarbeit an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.

Nun baut sie „The Dark Trullala“ als „morbid-schauerhaftes Horrorszenario für eine Puppenspielerin und ihr Publikum“ mit Handpuppen, Großfiguren und Klappmaulpuppen zu einem gut gastspieltauglichen wie runden Stundenprogramm aus. So führt auch ihr Professor Lutz Großmann Regie, während sie die Ausstattung, also Bett, Nachthemd und Prinzessinnenkleidchen, selbst übernimmt. Es wartet eine unterhaltsame Stunde Selbstreflektion über die Freiheit und Zwänge der Kunst, in der Wissner viele Register ihres Könnens zeigt und auch einige erstaunliche Tricks präsentiert. Schließlich wird die Alptraumhaft als neurotische Klammerschleife witzig bis sarkastisch aufgelöst – wie, das wird nicht verraten. Auch nicht, ob dies als happy Ende zählen kann.

Damit nicht genug der Stücke für reifere bis anspruchsvollere Kinder, wobei Chemnitz in dieser Spielzeit schon mit „Aufstand der Dinge“ und „Wenn mich einer fragte“ im Herbst beachtlich vorlegte. Schon Mitte Mai feiert das nächste Solowerk Premiere: In Regie von Katharina Kummer und der Ausstattung von Julia Bosch spielt Karoline Hoffmann Janne Tellers Antikriegswerk „Nichts was im Leben wichtig ist“, in Sachsen zwar häufig gespielt, aber bislang nur als Klassenzimmerstück von Schauspielern – noch nie als Figurenspielsolo.

 

„The Dark Trullala. Alptraum einer Puppenspielerin“ (UA)

Konzeption, Ausstattung & Spiel: Sarah Wissner

Regie: Lutz Großmann

Dramaturgie: Friederike Spindler

Altersempfehlung: ab 15 Jahre

Premiere am 27. April 2019, nächste Vorstellung am 21. Juni (18 Uhr)

im Schauspielhaus Chemnitz (Kleine Bühne).

Foto: Nasser Hashemi

Netzinfos: www.theater-chemnitz.de

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